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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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gemeinschaftlich sein sollen, so sehr verwirren, daß jeder Unterschied zwischen
dem materiell Nothwendigen und phantastisch Schönen in ein Nichts verschwimmt,
oder, wenn man nur die goldene Mitte zwischen beiden verfehlt, eine Art Carri-
katur -- sei es der mißbrauchten Freiheit oder reaktionären Obscurantismus >--
zum Vorschein kommt. Und eben eine solche Erscheinung unerquicklich und schwer¬
fällig zugleich ist der Siebenund sechzig er.

Seinen Ursprung verdankt der Name, wie bekannt, jener gutgesinnten Peti¬
tion, worin im Jahre der Swornost 67 Prager Bürger dem Fürsten Windischgrätz
um gnädige Verlängerung des verschwörungShemmenden Belagerungszustandes an¬
flehten. Der strategische Jung - und fürstliche Altgeselle in Einer Person stutzte
selbst über solche klägliche Bornirtheit und Wohldienerei von 67 bürgerlichen Krea¬
turen, mit denen wohl noch einige Tausend in dieser Stadt stillschweigend einver¬
standen waren, und seit dieser Zeit ist die genannte spezifische Zahl im Inlands
sprichwörtlich, im Auslande bekannt geworden; an den meisten Häusern Prags
prangt sie in Niesenzissern von spvttlustiger Kreide gezeichnet; ein jedes Kind weiß
Ihnen schmunzelnd etwas darüber zu erzählen und macht nicht selten seine Glossen
dabei; das hartköpfige Swornostsöhnchen schilt seinen deutschen Schulkameraden,
wenn dieser fleißig und gesittet zu sein, die Anlagen hat, einen Sicbenundsechziger;
der kleine gute Michel weint bitter über die unerhörte Beschimpfung und klagt es
ebenso trübselig zu Hause seinem zärtlichen Erzeuger, der sich jedoch vielleicht selbst
denselben Taufnamen in einem öffentlichen Blatte gefallen lassen muß. Das ist
dann nun ein gutgesinntes Miserere, eine wahre göttliche Prüfung, aus der der
Papa mit dem erhabenen Selbstbewußtsein hervorgeht: "Ich bin stolz darauf,
ein Siebenundsechziger zu sein."

Halten Sie aber den Siebenundsechziger keineswegs für ein ausschließlich höh¬
nisches Monopol; denn Sie finden seine sympathisirenden Genossen, "so weit die
deutsche Zunge klingt und die deutsche Flotte ihre Flaggen sendet;" er ist so ein
ruhefreundlichcr Gutgesinnter, wie er anch im Berliner Treubünde und in der
Stuttgarter Bürgerwehr, im Wiener Gemeinderäthe und in der Münchener Kneipe
zu Hause ist; der lokale Name ändert an der Gesinnung und Sache nichts, welche
gewiß so lange dauern wird als der Besitz. -- Charakteristisch aufgefaßt ist der
Siebenundsechziger durch und durch materieller Mensch, bei dem eigentlich im Leben
nichts als sein Ich einen unbedingten Werth hat, nach welchem er daher auch
Alles auf der Welt geregelt und gerichtet wissen will. Dieses Ich ist bei ihm we¬
niger als Resultat höherer Geistesthätigkeit, denn die Summe sinnlicher Empfin¬
dungen zu betrachten, weniger mit dem Typus der Leidenschaft, als mit dem Mantel
pedantischer Laune behaftet. Von Selbstständigkeit, von. frei entwickeltem Cha¬
rakter sind bei ihm wenig Spuren zu finden; Haß und Freundschaft wechseln in
seinem Gemüthe wie Fieberwärme, je nachdem er sie braucht und ein oder der
andere Zustand seinen persönlichen Interessen mehr dienlich ist. Er ruft heute


gemeinschaftlich sein sollen, so sehr verwirren, daß jeder Unterschied zwischen
dem materiell Nothwendigen und phantastisch Schönen in ein Nichts verschwimmt,
oder, wenn man nur die goldene Mitte zwischen beiden verfehlt, eine Art Carri-
katur — sei es der mißbrauchten Freiheit oder reaktionären Obscurantismus >—
zum Vorschein kommt. Und eben eine solche Erscheinung unerquicklich und schwer¬
fällig zugleich ist der Siebenund sechzig er.

Seinen Ursprung verdankt der Name, wie bekannt, jener gutgesinnten Peti¬
tion, worin im Jahre der Swornost 67 Prager Bürger dem Fürsten Windischgrätz
um gnädige Verlängerung des verschwörungShemmenden Belagerungszustandes an¬
flehten. Der strategische Jung - und fürstliche Altgeselle in Einer Person stutzte
selbst über solche klägliche Bornirtheit und Wohldienerei von 67 bürgerlichen Krea¬
turen, mit denen wohl noch einige Tausend in dieser Stadt stillschweigend einver¬
standen waren, und seit dieser Zeit ist die genannte spezifische Zahl im Inlands
sprichwörtlich, im Auslande bekannt geworden; an den meisten Häusern Prags
prangt sie in Niesenzissern von spvttlustiger Kreide gezeichnet; ein jedes Kind weiß
Ihnen schmunzelnd etwas darüber zu erzählen und macht nicht selten seine Glossen
dabei; das hartköpfige Swornostsöhnchen schilt seinen deutschen Schulkameraden,
wenn dieser fleißig und gesittet zu sein, die Anlagen hat, einen Sicbenundsechziger;
der kleine gute Michel weint bitter über die unerhörte Beschimpfung und klagt es
ebenso trübselig zu Hause seinem zärtlichen Erzeuger, der sich jedoch vielleicht selbst
denselben Taufnamen in einem öffentlichen Blatte gefallen lassen muß. Das ist
dann nun ein gutgesinntes Miserere, eine wahre göttliche Prüfung, aus der der
Papa mit dem erhabenen Selbstbewußtsein hervorgeht: „Ich bin stolz darauf,
ein Siebenundsechziger zu sein."

Halten Sie aber den Siebenundsechziger keineswegs für ein ausschließlich höh¬
nisches Monopol; denn Sie finden seine sympathisirenden Genossen, „so weit die
deutsche Zunge klingt und die deutsche Flotte ihre Flaggen sendet;" er ist so ein
ruhefreundlichcr Gutgesinnter, wie er anch im Berliner Treubünde und in der
Stuttgarter Bürgerwehr, im Wiener Gemeinderäthe und in der Münchener Kneipe
zu Hause ist; der lokale Name ändert an der Gesinnung und Sache nichts, welche
gewiß so lange dauern wird als der Besitz. — Charakteristisch aufgefaßt ist der
Siebenundsechziger durch und durch materieller Mensch, bei dem eigentlich im Leben
nichts als sein Ich einen unbedingten Werth hat, nach welchem er daher auch
Alles auf der Welt geregelt und gerichtet wissen will. Dieses Ich ist bei ihm we¬
niger als Resultat höherer Geistesthätigkeit, denn die Summe sinnlicher Empfin¬
dungen zu betrachten, weniger mit dem Typus der Leidenschaft, als mit dem Mantel
pedantischer Laune behaftet. Von Selbstständigkeit, von. frei entwickeltem Cha¬
rakter sind bei ihm wenig Spuren zu finden; Haß und Freundschaft wechseln in
seinem Gemüthe wie Fieberwärme, je nachdem er sie braucht und ein oder der
andere Zustand seinen persönlichen Interessen mehr dienlich ist. Er ruft heute


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/104>, abgerufen am 15.01.2025.