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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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zu halten und that sehr wenig für die Uebung in Waffen, welche er über der
Menge eitler Aufzüge vernachlässigte. Sein Hauptgeschäft war, in einer glänzen¬
den, mit Silberstickerei überladenen Nationaltracht, welche dem schlanken jungen
Manne recht wohl anstand, in den Straßen Prags zu stolziren und zu commandire".
Bei den einzelnen Emeuten war er niemals betheiligt, that aber auch so gut wie
nichts zu deren Hintertreibung. Vielleicht war er trotz seiner Kommandantur nicht
selbstständig und unabhängig genug? -- In der vorjährigen Junirevolte will man
Villani nur am ersten Tage an der Spitze einer Abtheilung Swornost gesehen ha¬
ben. An einem der folgenden Kampftage ward er von Grenadieren in Civilklei¬
dern in einem Versteck auf der Kleinseite gefunden und als Gefangener aus das
Prager Schloß gebracht, wo er mehrere Monate bis zu seiner Freisprechung in
Untersuchung saß. Eine mittelgroße, schlanke Figur, ein schmales, kleines Gesicht,
blaß, mit schwärmerischem Ausdruck, braunem Schnurr- und Knebelbart, starke, etwas
heisere Kommandostimme. Im gewöhnlichen Leben ist Villani's Persönlichkeit nicht
bedeutend, noch auffallend, er brauchte der Ueberladung im Kostüm, um eklatant
Auflesen zu machen. Kleider machen Leute! --




Die Siebemmdfechziger.



In der Czechenstadt berühren sich die Extreme. Wenn Sie Ihren Blick un¬
muthig von dem verknöcherten Trotz, von der starren alterthümlichen Phantasterei
geheimnißvoller Hussiteulogiker abwenden, so wird er schnell von den biegsamen
Kniegelenken, von dem langweiligen Servilismus der Siebenund sechzig er ge¬
fesselt. Die Ziffern scheinen Ihnen wohl alt, doch die Zahl ist nen und ihre Be¬
deutung historisch. -- Prüfen wir sie, da es doch eine ebenso interessante als be¬
lehrende Aufgabe ist, die psychologischen Eigenthümlichkeiten gewisser Menschenkate¬
gorien zu nutersttchen, das Ernste und Lächerliche an ihnen herauszufinden, ihre
bisweilen historisch wichtigen Einflüsse auf den Lauf der Zeitbegebenheiten unter
das Objektivglas billiger Beurtheilung zu legen, und diese -- selbst bis in die
Träumereien zurückzuführen, denen sich die Zeit der erwachenden Freiheit hingab.
Unsere Epoche ist an solchen Stoff überhaupt eine unerschöpfliche Fundgrube. Sie
ist gleichsam die Krisis der Psychologie in politischer Hinsicht, eine öffentliche Prü¬
fung der Seelen, welche sich in der Gesellschaft verbinden oder abstoßen, je nachdem
ihre Apperception im Staatsleben von denselben Triebfedern geleitet wird, oder
nicht. Es ist eine verhängnißvolle Zeit, wo Geist und Herz nicht selten in Op¬
position gegen einander treten und das menschliche Ich, dessen Faktore sie doch


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zu halten und that sehr wenig für die Uebung in Waffen, welche er über der
Menge eitler Aufzüge vernachlässigte. Sein Hauptgeschäft war, in einer glänzen¬
den, mit Silberstickerei überladenen Nationaltracht, welche dem schlanken jungen
Manne recht wohl anstand, in den Straßen Prags zu stolziren und zu commandire».
Bei den einzelnen Emeuten war er niemals betheiligt, that aber auch so gut wie
nichts zu deren Hintertreibung. Vielleicht war er trotz seiner Kommandantur nicht
selbstständig und unabhängig genug? — In der vorjährigen Junirevolte will man
Villani nur am ersten Tage an der Spitze einer Abtheilung Swornost gesehen ha¬
ben. An einem der folgenden Kampftage ward er von Grenadieren in Civilklei¬
dern in einem Versteck auf der Kleinseite gefunden und als Gefangener aus das
Prager Schloß gebracht, wo er mehrere Monate bis zu seiner Freisprechung in
Untersuchung saß. Eine mittelgroße, schlanke Figur, ein schmales, kleines Gesicht,
blaß, mit schwärmerischem Ausdruck, braunem Schnurr- und Knebelbart, starke, etwas
heisere Kommandostimme. Im gewöhnlichen Leben ist Villani's Persönlichkeit nicht
bedeutend, noch auffallend, er brauchte der Ueberladung im Kostüm, um eklatant
Auflesen zu machen. Kleider machen Leute! —




Die Siebemmdfechziger.



In der Czechenstadt berühren sich die Extreme. Wenn Sie Ihren Blick un¬
muthig von dem verknöcherten Trotz, von der starren alterthümlichen Phantasterei
geheimnißvoller Hussiteulogiker abwenden, so wird er schnell von den biegsamen
Kniegelenken, von dem langweiligen Servilismus der Siebenund sechzig er ge¬
fesselt. Die Ziffern scheinen Ihnen wohl alt, doch die Zahl ist nen und ihre Be¬
deutung historisch. — Prüfen wir sie, da es doch eine ebenso interessante als be¬
lehrende Aufgabe ist, die psychologischen Eigenthümlichkeiten gewisser Menschenkate¬
gorien zu nutersttchen, das Ernste und Lächerliche an ihnen herauszufinden, ihre
bisweilen historisch wichtigen Einflüsse auf den Lauf der Zeitbegebenheiten unter
das Objektivglas billiger Beurtheilung zu legen, und diese — selbst bis in die
Träumereien zurückzuführen, denen sich die Zeit der erwachenden Freiheit hingab.
Unsere Epoche ist an solchen Stoff überhaupt eine unerschöpfliche Fundgrube. Sie
ist gleichsam die Krisis der Psychologie in politischer Hinsicht, eine öffentliche Prü¬
fung der Seelen, welche sich in der Gesellschaft verbinden oder abstoßen, je nachdem
ihre Apperception im Staatsleben von denselben Triebfedern geleitet wird, oder
nicht. Es ist eine verhängnißvolle Zeit, wo Geist und Herz nicht selten in Op¬
position gegen einander treten und das menschliche Ich, dessen Faktore sie doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/103>, abgerufen am 15.01.2025.