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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Brück, auf den die Italiener am meisten gerechnet hatten, machte gleich An¬
fangs gegen ihre Abscheiduugsgeluste auf das Ernstlichste Opposition und ließ sich
von seinem Eifer so weit hinreißen, daß er, ich weiß nicht, bei welcher Gelegen¬
heit, vor einer großen Volksmenge ein mit dem Namen eines italienischen Nevo-
lutioushelden geziertes, frisch aufgehängtes Schild von der Thür eines Kaffeehauses
herunterschlug.

Die Leute fielen wie rasend über thu her; er entkam nur mit genauer Noth
und mußte sich eine Zeit lang verborgen halten, da man ihm förmlich uach dem
Leben trachtete. Trotzdem wurde er bei den bald darauf stattfindenden Frankfurter
Wahlen zum Deputirten für die deutsche Nationalversammlung gewählt.

Wie er dort Anfangs als Vorstand des Marineausschusses und später bei der
Centralgewalt thätig war, ist hier nicht der Ort weiter auszuführen.

Ich besuchte ihn in Frankfurt kurze Zeit nach Eröffnung des Parlaments.
Er war entzückt über das ungewohnte Leben und Treiben um ihn her, und sprach
mit unbefangener Anerkennung von den Rednern der Rechten wie der Linken.

"Welch eine Welt vou Intelligenz -- sagte er -- schließt diese Paulskirche
in sich ein! Ich möchte unsere Triestiner Bürger auf ein paar Wochen herein-
sctzen in diese frische Bewegung; sie würden mit ganz neuen Anschauungen und
geheilt von manchem Vorurtheil zurückkehren an die Adria.

"Aber wie die SaGen stehen, habe ich einen schweren Stand; denn folge ich
meinen Gefühlen, so komme ich in den bedenklichsten Conflict mit meinem Man¬
dat und meinen Wählern -- und folge ich den Willen dieser, so komme ick in
Conflict mit dem Geiste, der die Nationalversammlung ins Leben gerufen hat."
-- Was wollen denn die Triestiner? --

"Sie wollen am Ende nichts anderes, als was alle Andern auch wollen:
ihren Vortheil! Und damit bin ich vollkommen einverstanden; der Meinungsun-
terschied besteht mir in der Feststellung des Begriffs. Die Triestiner sehen ihren
Vortheil vor Allem in der Aufrechterhaltung all ihrer alten Privilegien und Frei¬
heiten ; sie wollen nicht begreife", daß die Freiheit alle Freiheiten entbehrlich und
alle Privilegien unmöglich machte. Von gleich beschränkter Auffassung sind die
meisten unserer Industriellen und Fabrikanten im Kaiserstaat, die in dem Fallen
der Zollschranken auch das Fallen ihres Wohlstandes, eine bedrohliche Erschütte¬
rung der Fabriken, des Handels und der Gewerbe sehen würden. Sie begreifen
nicht, daß jede Uebergangsperiode Opfer erheischt, oder sie schlagen wenigstens
diese leicht zu berechnende" Opfer höher an, als die unzuberechnenden Vortheile,
welche ihnen in Zukunft daraus erwachsen würden. Im Princip sind die Leute
entschieden im Unrecht; in der Praxis aber kann man nicht umhin, den faktischen
Zuständen, selbst wenn sie aus Irrthümern beruhen, gebührende Rechnung zu
tragen."


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Brück, auf den die Italiener am meisten gerechnet hatten, machte gleich An¬
fangs gegen ihre Abscheiduugsgeluste auf das Ernstlichste Opposition und ließ sich
von seinem Eifer so weit hinreißen, daß er, ich weiß nicht, bei welcher Gelegen¬
heit, vor einer großen Volksmenge ein mit dem Namen eines italienischen Nevo-
lutioushelden geziertes, frisch aufgehängtes Schild von der Thür eines Kaffeehauses
herunterschlug.

Die Leute fielen wie rasend über thu her; er entkam nur mit genauer Noth
und mußte sich eine Zeit lang verborgen halten, da man ihm förmlich uach dem
Leben trachtete. Trotzdem wurde er bei den bald darauf stattfindenden Frankfurter
Wahlen zum Deputirten für die deutsche Nationalversammlung gewählt.

Wie er dort Anfangs als Vorstand des Marineausschusses und später bei der
Centralgewalt thätig war, ist hier nicht der Ort weiter auszuführen.

Ich besuchte ihn in Frankfurt kurze Zeit nach Eröffnung des Parlaments.
Er war entzückt über das ungewohnte Leben und Treiben um ihn her, und sprach
mit unbefangener Anerkennung von den Rednern der Rechten wie der Linken.

„Welch eine Welt vou Intelligenz — sagte er — schließt diese Paulskirche
in sich ein! Ich möchte unsere Triestiner Bürger auf ein paar Wochen herein-
sctzen in diese frische Bewegung; sie würden mit ganz neuen Anschauungen und
geheilt von manchem Vorurtheil zurückkehren an die Adria.

„Aber wie die SaGen stehen, habe ich einen schweren Stand; denn folge ich
meinen Gefühlen, so komme ich in den bedenklichsten Conflict mit meinem Man¬
dat und meinen Wählern — und folge ich den Willen dieser, so komme ick in
Conflict mit dem Geiste, der die Nationalversammlung ins Leben gerufen hat."
-- Was wollen denn die Triestiner? —

„Sie wollen am Ende nichts anderes, als was alle Andern auch wollen:
ihren Vortheil! Und damit bin ich vollkommen einverstanden; der Meinungsun-
terschied besteht mir in der Feststellung des Begriffs. Die Triestiner sehen ihren
Vortheil vor Allem in der Aufrechterhaltung all ihrer alten Privilegien und Frei¬
heiten ; sie wollen nicht begreife», daß die Freiheit alle Freiheiten entbehrlich und
alle Privilegien unmöglich machte. Von gleich beschränkter Auffassung sind die
meisten unserer Industriellen und Fabrikanten im Kaiserstaat, die in dem Fallen
der Zollschranken auch das Fallen ihres Wohlstandes, eine bedrohliche Erschütte¬
rung der Fabriken, des Handels und der Gewerbe sehen würden. Sie begreifen
nicht, daß jede Uebergangsperiode Opfer erheischt, oder sie schlagen wenigstens
diese leicht zu berechnende« Opfer höher an, als die unzuberechnenden Vortheile,
welche ihnen in Zukunft daraus erwachsen würden. Im Princip sind die Leute
entschieden im Unrecht; in der Praxis aber kann man nicht umhin, den faktischen
Zuständen, selbst wenn sie aus Irrthümern beruhen, gebührende Rechnung zu
tragen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/75>, abgerufen am 05.02.2025.