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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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ausgeschlossen hätte. Als die Partei Gagern's den Entschluß faßte, ihre Mit¬
glieder aus den verschiedenen Theilen Deutschlands zusammen zu rufen, machte sie
sich keine Illusion über den Vortheil und den Einfluß ihrer Parteiversammlung
auf die deutscheu Angelegenheiten; ihre Absicht war eine dreifache. Die Mit¬
glieder, welche durch das lange Zusammenleben in Frankfurt fast alle einander
menschlich nahe getreten sind, sollten sich wiedersehn und ihre Ansichten und Ein¬
drücke, welche seitdem in den verschiedenen Theilen Deutschlands gewonnen waren,
gegen einander austauschen; ferner sollte die Stellung, welche die alte Majorität
des Frankfurter Parlaments, gegenüber dem preußischen Verfassungsentwurf ein¬
zunehmen habe, besprochen werden, und drittens sollten die ersten Schritte zur
Organisation einer große" deutschen Partei in Deutschland gethan werden.

Die Mitglieder, welche sämmtlich durch Briefe eingeladen waren, hatten sich
zahlreich eingefunden. Unter deu hundert fünfzig Gekommenen fehlten nur wenige
der Autoritäten, deren Worte von der Redncrlmhue der Paulskirche durch Deutsch¬
land geflogen waren, beide Gagern, Vincke, Dahlmann, Baseler, Simson, Riesser,
Mathy und die andern bekannten Namen wurden mit Freude und Respekt be¬
trachtet, gezeigt, gegrüßt und erklärt. Aus Oestreich war unser Freund Rösler
aus Wien gekommen, auch unsere Leipziger Deputirten, Biedermann, Laube,
Koch, waren vorhanden. In den Räumen der Gasthöfe bewegten sich am Mittag¬
tisch und in den Abendstunden die Mitglieder der Versammlung und ihre Freunde
treuherzig und vergnügt, und es gereichte dem zugereiste" Fremden uivd den Go-
thaer Honoratiore" z" recht inniger Erbauung, die Helden seiner Politik so nahe
sehn und hören zu können. Für die Mitglieder selbst war es eine Art Bedürfniß,
sich unter einander wieder einmal die Hände zu schütteln und den menschlichen
Zusammenhang mit deu Andern zu empfinden. Hatten sie doch Alle das größte
Jahr ihres Lebens gemeinschaftlich verlebt und sich an den freien Verkehr bei
großen Interesse" so sehr gewöhnt, daß sie in der Heimath seine" Mangel als
einen großen Verlust empfinden mußten. Da wir Deutsche wohl immer gemüth¬
liche Politiker bleiben werden, soll man auch deu Genuß, welchen die Versamm¬
lung in Gotha für die Mitglieder und ihre Freunde hatte, nicht gering an¬
schlagen.

Das offizielle Resultat der Versammlung war die Erklärung, welche aus den
Zeitungen bekannt ist. Die 130 Unterzeichner erklären darin ihre Bereitwilligkeit
bei der gegenwärtigen verzweifelten Lage der den'sehen Einheitsbestrebungen den
preußischen Verfassungsentwurf, als die relativ beste unter den noch vorhandenen
Möglichkeiten anerkennen und in ihren Kreise sür die Necilisiruug desselben wirken
zu wollen. Durch diese Erklärung brachten die Männer der Paulskirche ein Opfer
und Niemand soll leugnen, daß es mit großem Sinn und mit Selbstverleugnung
gebracht wurde. Welche Wichtigkeit diese Erklärung für die gute Sache haben
wird, müssen wir abwarten, jedenfalls war sie nützlich, ja nothwendig. Allerdings


ausgeschlossen hätte. Als die Partei Gagern's den Entschluß faßte, ihre Mit¬
glieder aus den verschiedenen Theilen Deutschlands zusammen zu rufen, machte sie
sich keine Illusion über den Vortheil und den Einfluß ihrer Parteiversammlung
auf die deutscheu Angelegenheiten; ihre Absicht war eine dreifache. Die Mit¬
glieder, welche durch das lange Zusammenleben in Frankfurt fast alle einander
menschlich nahe getreten sind, sollten sich wiedersehn und ihre Ansichten und Ein¬
drücke, welche seitdem in den verschiedenen Theilen Deutschlands gewonnen waren,
gegen einander austauschen; ferner sollte die Stellung, welche die alte Majorität
des Frankfurter Parlaments, gegenüber dem preußischen Verfassungsentwurf ein¬
zunehmen habe, besprochen werden, und drittens sollten die ersten Schritte zur
Organisation einer große» deutschen Partei in Deutschland gethan werden.

Die Mitglieder, welche sämmtlich durch Briefe eingeladen waren, hatten sich
zahlreich eingefunden. Unter deu hundert fünfzig Gekommenen fehlten nur wenige
der Autoritäten, deren Worte von der Redncrlmhue der Paulskirche durch Deutsch¬
land geflogen waren, beide Gagern, Vincke, Dahlmann, Baseler, Simson, Riesser,
Mathy und die andern bekannten Namen wurden mit Freude und Respekt be¬
trachtet, gezeigt, gegrüßt und erklärt. Aus Oestreich war unser Freund Rösler
aus Wien gekommen, auch unsere Leipziger Deputirten, Biedermann, Laube,
Koch, waren vorhanden. In den Räumen der Gasthöfe bewegten sich am Mittag¬
tisch und in den Abendstunden die Mitglieder der Versammlung und ihre Freunde
treuherzig und vergnügt, und es gereichte dem zugereiste» Fremden uivd den Go-
thaer Honoratiore» z» recht inniger Erbauung, die Helden seiner Politik so nahe
sehn und hören zu können. Für die Mitglieder selbst war es eine Art Bedürfniß,
sich unter einander wieder einmal die Hände zu schütteln und den menschlichen
Zusammenhang mit deu Andern zu empfinden. Hatten sie doch Alle das größte
Jahr ihres Lebens gemeinschaftlich verlebt und sich an den freien Verkehr bei
großen Interesse» so sehr gewöhnt, daß sie in der Heimath seine» Mangel als
einen großen Verlust empfinden mußten. Da wir Deutsche wohl immer gemüth¬
liche Politiker bleiben werden, soll man auch deu Genuß, welchen die Versamm¬
lung in Gotha für die Mitglieder und ihre Freunde hatte, nicht gering an¬
schlagen.

Das offizielle Resultat der Versammlung war die Erklärung, welche aus den
Zeitungen bekannt ist. Die 130 Unterzeichner erklären darin ihre Bereitwilligkeit
bei der gegenwärtigen verzweifelten Lage der den'sehen Einheitsbestrebungen den
preußischen Verfassungsentwurf, als die relativ beste unter den noch vorhandenen
Möglichkeiten anerkennen und in ihren Kreise sür die Necilisiruug desselben wirken
zu wollen. Durch diese Erklärung brachten die Männer der Paulskirche ein Opfer
und Niemand soll leugnen, daß es mit großem Sinn und mit Selbstverleugnung
gebracht wurde. Welche Wichtigkeit diese Erklärung für die gute Sache haben
wird, müssen wir abwarten, jedenfalls war sie nützlich, ja nothwendig. Allerdings


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/64>, abgerufen am 05.02.2025.