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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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politische Vergangenheit jedes Einzelnen knüpft, so vervielfacht und so verwickelt,
daß es ihm schwer werden wird, sich danach zu richten, und daß er sich wohl
oder übel nach einem andern Maßstab seiner Handlungsweise wird umsehn müssen.

Mit Recht erklärt man das Festhalten am Prinzip für das Kriterium eines
politischen Charakters. Aber das Prinzip ist nicht diejenige Seite, die am un¬
mittelbarsten in die Augen springt; nicht die Cocarde, die man wohlfeil ans jedem
Markte tauft. Der Gebildete trägt nicht gern ein solches Zeichen, das ihn schein¬
bar an ein Prinzip und an eine Partei, eigentlich aber an eine. Gesellschaft, eine
Clique bindet. Sich zu den ">>!>,"-'"" oder den "killer's" zu schlage", ist einfach,
zu ihnen halten, bequem, denu die Farben sind im Augenblick zu unterscheiden;
am, Wesen der Sache festzuhalten ist ungleich schwieriger, weil es nicht blos die
gute Gesinnung, sondern zugleich deu Verstand in Anspruch nimmt.

Wer ist in unserer Bewegung consequent gewesen? -- Die Thadden-Tricglaff
und die Schlosse!. Natürlich! sie wußten heute nichts anderes zu sagen, als
gestern; sie hatten nur Eine Phrase gelernt, und waren unermüdlich genug, sie
alle Tage zu wiederholen. Der Eigensinn der Bornirtheit und der Fanatismus
der Abstraction wechselt nie, weil er nicht entwicklungsfähig, weil er eigentlich
leblos ist: denn im Geistigen, wie im Physischen heißt Leben nichts anderes, als
Verarbeitung des wechselnden Stoffes nach dem immanenten Gesetz des Organis¬
mus. Herr v. Thadden sagt: hängt alle Literaten und Bummler, dann kommt
die Welt in Ordnung; Schlosse! sagt: hängt alle Aristokraten und Geldsäcke, dann
bricht das goldene Zeitalter an. Sie sagen es heute und morgen, wie Cato sein
^etorum censvo, und das gerührte Publikum erklärt: der Mensch ist zwar nicht
recht bei Sinnen, aber er ist ein Charakter.

Bleiben wir bei der deutschen Bewegung; sie ist das beste Medium, das
Verhältniß der wirklichen Apostasie zur blos scheinbaren anschaulich zu mache".
Als einen Charakter, der je nachdem man das Prinzip auffaßt, in die eine oder
die andere Kategorie gehört, führe ich einen Politiker an, dem Niemand das
Prädicat eines Mannes wird streitig machen; eine knorrige, harte Gestalt, ganz
der Gegensatz zu dem immer eleganten und geschmeidigen Lamartine: Friedrich
Römer. Was für eine Masse von Widersprüchen springen sogleich bei dem
ersten Anblick in die Augen! Er bekämpft viele Pnnkte der Verfassung, nament¬
lich aber das Erbkaiserthum und die preußische Hegemonie, mit leidenschaftlicher
Hartnäckigkeit, als sie aber gegeben ist, wendet er moralischen Zwang gegen den
König an, um ihn zur Anerkennung des Ganzen, und namentlich der von ihm
selber so lebhaft angefochtenen Pnnkte zu bewegen. In dem Conflict der Könige
mit dem Parlament erklärt er sich sür das letztere, wirft es aber gleich darauf,
als es sich in Stuttgart ansiedeln will, zur Thür hinaus. Er erkennt in der
Theorie die Rechtmäßigkeit seiner Beschlüsse an, versagt ihnen aber in der Praxis
den Gehorsam. Und eben so behandelt er die Schöpfungen desselben, die "Cen-


politische Vergangenheit jedes Einzelnen knüpft, so vervielfacht und so verwickelt,
daß es ihm schwer werden wird, sich danach zu richten, und daß er sich wohl
oder übel nach einem andern Maßstab seiner Handlungsweise wird umsehn müssen.

Mit Recht erklärt man das Festhalten am Prinzip für das Kriterium eines
politischen Charakters. Aber das Prinzip ist nicht diejenige Seite, die am un¬
mittelbarsten in die Augen springt; nicht die Cocarde, die man wohlfeil ans jedem
Markte tauft. Der Gebildete trägt nicht gern ein solches Zeichen, das ihn schein¬
bar an ein Prinzip und an eine Partei, eigentlich aber an eine. Gesellschaft, eine
Clique bindet. Sich zu den „>>!>,«-'«" oder den „killer's" zu schlage», ist einfach,
zu ihnen halten, bequem, denu die Farben sind im Augenblick zu unterscheiden;
am, Wesen der Sache festzuhalten ist ungleich schwieriger, weil es nicht blos die
gute Gesinnung, sondern zugleich deu Verstand in Anspruch nimmt.

Wer ist in unserer Bewegung consequent gewesen? — Die Thadden-Tricglaff
und die Schlosse!. Natürlich! sie wußten heute nichts anderes zu sagen, als
gestern; sie hatten nur Eine Phrase gelernt, und waren unermüdlich genug, sie
alle Tage zu wiederholen. Der Eigensinn der Bornirtheit und der Fanatismus
der Abstraction wechselt nie, weil er nicht entwicklungsfähig, weil er eigentlich
leblos ist: denn im Geistigen, wie im Physischen heißt Leben nichts anderes, als
Verarbeitung des wechselnden Stoffes nach dem immanenten Gesetz des Organis¬
mus. Herr v. Thadden sagt: hängt alle Literaten und Bummler, dann kommt
die Welt in Ordnung; Schlosse! sagt: hängt alle Aristokraten und Geldsäcke, dann
bricht das goldene Zeitalter an. Sie sagen es heute und morgen, wie Cato sein
^etorum censvo, und das gerührte Publikum erklärt: der Mensch ist zwar nicht
recht bei Sinnen, aber er ist ein Charakter.

Bleiben wir bei der deutschen Bewegung; sie ist das beste Medium, das
Verhältniß der wirklichen Apostasie zur blos scheinbaren anschaulich zu mache«.
Als einen Charakter, der je nachdem man das Prinzip auffaßt, in die eine oder
die andere Kategorie gehört, führe ich einen Politiker an, dem Niemand das
Prädicat eines Mannes wird streitig machen; eine knorrige, harte Gestalt, ganz
der Gegensatz zu dem immer eleganten und geschmeidigen Lamartine: Friedrich
Römer. Was für eine Masse von Widersprüchen springen sogleich bei dem
ersten Anblick in die Augen! Er bekämpft viele Pnnkte der Verfassung, nament¬
lich aber das Erbkaiserthum und die preußische Hegemonie, mit leidenschaftlicher
Hartnäckigkeit, als sie aber gegeben ist, wendet er moralischen Zwang gegen den
König an, um ihn zur Anerkennung des Ganzen, und namentlich der von ihm
selber so lebhaft angefochtenen Pnnkte zu bewegen. In dem Conflict der Könige
mit dem Parlament erklärt er sich sür das letztere, wirft es aber gleich darauf,
als es sich in Stuttgart ansiedeln will, zur Thür hinaus. Er erkennt in der
Theorie die Rechtmäßigkeit seiner Beschlüsse an, versagt ihnen aber in der Praxis
den Gehorsam. Und eben so behandelt er die Schöpfungen desselben, die „Cen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/60>, abgerufen am 11.02.2025.