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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Wir stehen am Wendepunkt der alten bisher geübten Politik, die alten Künste
der Diplomatie, der Kongresse, sind abgenutzt, aller Klage über Reaktion und ihren
Gelingen zum Trotz, faßt dennoch die große Idee stets festeren Fuß und schreitet
unaufhaltsam dem Ziele zu, momentanes stagniren beschleunigt, beflügelt das
Schwungrad der Zeit, es zerschmettert die Pigmäen, die schwarzgelben, weiß-
schwarzen und rothen, die es gewagt einzugreifen in die Speichen.

Eine neue, im Volke wurzelnde, von diesem anerkannte Politik, ein neues
Europa erflehet, wir halten die Formung der neuen, durch das Nolksgefühl ge¬
botenen Staatsorganismen nicht ans, über uns alle hinweg schreitet mächtig die Zeit.

Preußen, bisher nnr eines großen Staates Bauriß und Plan, erfüllt un¬
aufhaltsam seine Mission, die ihm der Weltgeist gegeben, die Größe strebet es
an, sie ist ihm unwiderstehlich Bedürfniß geworden, es wird sie erreichen, wie
jeder Organismus in der Natur seine Bestimmung erfüllt und erreicht.

Preußen wird zu Deutschland, ob Preußen in Deutschland, ob dieses in
jenem aufgehe, worüber die Herren sich streiten, gilt ganz gleich dem Geschicke,
ihm sind die Namen fremd, die wir nur erfunden, Preußen ist die Lawine, die
über Deutschland niederrvllt, und allem was deutsch ist, und die kleinen Souve¬
ränitätsgehöfte erdrückt ohne Erbarmen, seiner selbst unbewußt.

Rußland, wir sehen das komme", rückt immer näher dem Ziele, das ihm
das allbeherrschende Fatum gesteckt; früher, als wir es ahnen, herrscht der Czar
w Stambul und ist Herr des slavischen Nordens und Ostens, das große Slaven¬
reich des Panslavismus wird zur vollendeten That und dann erst geht in diesem
die Sonne der Freiheit auf.

Oestreich aber hat seine geschichtliche, seine staatsorganische Misston erfüllt,
^ hat gelebt!

Was heute noch Leben scheint, ist Agonie, ist letzter Krampf des Verschei-
b°"s, es stirbt an der Hilfe des Nordens, die ihm geworden, und Staaten ster¬
be" langer als Menschen.

Oestreich ist lebensunfähig, weil es freiheitsunfähig ist. Nur Freiheit ist
A. Miller. Leben!




Bemerkung zu dem vorigen Aufsatz.



Die Redaction kann sich nicht versagen, eine psychologische Bemerkung zu den
vorstehenden Zeilen zu machen. Diese kommen ans der Feder einer politischen
Kapacität Oestreichs, deren Artikel einst, vor der Revolution, im Kaiserstaat
großes Anflehn erregten und für den besten Schmuck dieses Blattes galten.---


Wir stehen am Wendepunkt der alten bisher geübten Politik, die alten Künste
der Diplomatie, der Kongresse, sind abgenutzt, aller Klage über Reaktion und ihren
Gelingen zum Trotz, faßt dennoch die große Idee stets festeren Fuß und schreitet
unaufhaltsam dem Ziele zu, momentanes stagniren beschleunigt, beflügelt das
Schwungrad der Zeit, es zerschmettert die Pigmäen, die schwarzgelben, weiß-
schwarzen und rothen, die es gewagt einzugreifen in die Speichen.

Eine neue, im Volke wurzelnde, von diesem anerkannte Politik, ein neues
Europa erflehet, wir halten die Formung der neuen, durch das Nolksgefühl ge¬
botenen Staatsorganismen nicht ans, über uns alle hinweg schreitet mächtig die Zeit.

Preußen, bisher nnr eines großen Staates Bauriß und Plan, erfüllt un¬
aufhaltsam seine Mission, die ihm der Weltgeist gegeben, die Größe strebet es
an, sie ist ihm unwiderstehlich Bedürfniß geworden, es wird sie erreichen, wie
jeder Organismus in der Natur seine Bestimmung erfüllt und erreicht.

Preußen wird zu Deutschland, ob Preußen in Deutschland, ob dieses in
jenem aufgehe, worüber die Herren sich streiten, gilt ganz gleich dem Geschicke,
ihm sind die Namen fremd, die wir nur erfunden, Preußen ist die Lawine, die
über Deutschland niederrvllt, und allem was deutsch ist, und die kleinen Souve¬
ränitätsgehöfte erdrückt ohne Erbarmen, seiner selbst unbewußt.

Rußland, wir sehen das komme», rückt immer näher dem Ziele, das ihm
das allbeherrschende Fatum gesteckt; früher, als wir es ahnen, herrscht der Czar
w Stambul und ist Herr des slavischen Nordens und Ostens, das große Slaven¬
reich des Panslavismus wird zur vollendeten That und dann erst geht in diesem
die Sonne der Freiheit auf.

Oestreich aber hat seine geschichtliche, seine staatsorganische Misston erfüllt,
^ hat gelebt!

Was heute noch Leben scheint, ist Agonie, ist letzter Krampf des Verschei-
b°"s, es stirbt an der Hilfe des Nordens, die ihm geworden, und Staaten ster¬
be" langer als Menschen.

Oestreich ist lebensunfähig, weil es freiheitsunfähig ist. Nur Freiheit ist
A. Miller. Leben!




Bemerkung zu dem vorigen Aufsatz.



Die Redaction kann sich nicht versagen, eine psychologische Bemerkung zu den
vorstehenden Zeilen zu machen. Diese kommen ans der Feder einer politischen
Kapacität Oestreichs, deren Artikel einst, vor der Revolution, im Kaiserstaat
großes Anflehn erregten und für den besten Schmuck dieses Blattes galten.---


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[0501] Wir stehen am Wendepunkt der alten bisher geübten Politik, die alten Künste der Diplomatie, der Kongresse, sind abgenutzt, aller Klage über Reaktion und ihren Gelingen zum Trotz, faßt dennoch die große Idee stets festeren Fuß und schreitet unaufhaltsam dem Ziele zu, momentanes stagniren beschleunigt, beflügelt das Schwungrad der Zeit, es zerschmettert die Pigmäen, die schwarzgelben, weiß- schwarzen und rothen, die es gewagt einzugreifen in die Speichen. Eine neue, im Volke wurzelnde, von diesem anerkannte Politik, ein neues Europa erflehet, wir halten die Formung der neuen, durch das Nolksgefühl ge¬ botenen Staatsorganismen nicht ans, über uns alle hinweg schreitet mächtig die Zeit. Preußen, bisher nnr eines großen Staates Bauriß und Plan, erfüllt un¬ aufhaltsam seine Mission, die ihm der Weltgeist gegeben, die Größe strebet es an, sie ist ihm unwiderstehlich Bedürfniß geworden, es wird sie erreichen, wie jeder Organismus in der Natur seine Bestimmung erfüllt und erreicht. Preußen wird zu Deutschland, ob Preußen in Deutschland, ob dieses in jenem aufgehe, worüber die Herren sich streiten, gilt ganz gleich dem Geschicke, ihm sind die Namen fremd, die wir nur erfunden, Preußen ist die Lawine, die über Deutschland niederrvllt, und allem was deutsch ist, und die kleinen Souve¬ ränitätsgehöfte erdrückt ohne Erbarmen, seiner selbst unbewußt. Rußland, wir sehen das komme», rückt immer näher dem Ziele, das ihm das allbeherrschende Fatum gesteckt; früher, als wir es ahnen, herrscht der Czar w Stambul und ist Herr des slavischen Nordens und Ostens, das große Slaven¬ reich des Panslavismus wird zur vollendeten That und dann erst geht in diesem die Sonne der Freiheit auf. Oestreich aber hat seine geschichtliche, seine staatsorganische Misston erfüllt, ^ hat gelebt! Was heute noch Leben scheint, ist Agonie, ist letzter Krampf des Verschei- b°"s, es stirbt an der Hilfe des Nordens, die ihm geworden, und Staaten ster¬ be" langer als Menschen. Oestreich ist lebensunfähig, weil es freiheitsunfähig ist. Nur Freiheit ist A. Miller. Leben! Bemerkung zu dem vorigen Aufsatz. Die Redaction kann sich nicht versagen, eine psychologische Bemerkung zu den vorstehenden Zeilen zu machen. Diese kommen ans der Feder einer politischen Kapacität Oestreichs, deren Artikel einst, vor der Revolution, im Kaiserstaat großes Anflehn erregten und für den besten Schmuck dieses Blattes galten.---

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/501>, abgerufen am 05.02.2025.