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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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seit zwanzig Jahren die mannigfachen Fremden-Privilegien in Rußland genossen
hatten, ohne dafür anderwärts staatsbürgerliche Verbindlichkeiten gehabt zu haben,
plötzlich unter das Gesetz der Knute fielen.

Die Studenten waren die ersten im russischen Publikum, welche durch eifrigere
Lectüre den Zeitungen einige Theilnahme zu zeigen anfingen. Man dachte daran,
ihnen den Besuch der Kouditorcieu, wo allein fast jene zu lesen sind, zu verbie¬
ten, nahm jedoch, die geringe Bedeutung ihrer Erregung gegen das Auffallende
der Maßregel richtig abschätzend, dieselbe sogleich wieder zurück; übrigens ist seit¬
dem durch die Erhebung einer hohen Steuer, für die Erlaubniß ausländische Zei¬
tungen auslegen zu dürfen, ihre Berbreitnng etwas erschwert. In Petersburg
aber, wo die ausländische Bevölkerung von Bedeutung ist, wurden lebhaftere Be¬
sorgnisse rege. Die Aufmerksamkeit der Polizei verdoppelte sich; das Briefgeheimniß
hat ihr gegenüber nie bestanden, jetzt aber verfiel die Korrespondenz mit dem Aus¬
land einer geschärften Controlle. Professor Hoffmann in Moskau, der sich in
einem Schreiben an seinen Bruder in Frankfurt a. M. als offenen Republikaner
zu erkennen gegeben hatte, wurde urplötzlich über die Grenze geführt, alle Russen,
welche ins Ausland verreist waren, erhielten den strengsten Befehl zur augenblick¬
lichen Umkehr, jährend Fremden der Eintritt in das russische Reich sehr er¬
schwert, und umgekehrt keinem russischen Unterthan der Austritt über die Grenze
bewilligt wurde.

Gleichzeitig erließ der Kaiser zwei Manifeste, worin er seine geliebten Unter¬
thanen im Gegensatz zu den ausländischen Aufrührern zur unverbrüchlichen Treue
gegen den Thron und das Vaterland aufrief. Diese Dokumente waren des tie¬
feren Eindruckes wegen in Kirchen-Russisch geschrieben, worin Völker und Hei¬
den gleich lautet; die offizielle deutsche Uebersetzung wählte deu letzteren Ausdruck.
Die Heiden also in halb Europa, uicht mir in Frankreich, sondern anch in den
Ländern seiner geliebten und verbündeten Brüder, des Kaisers von Oestreich und
des Königs von Preußen, seien aufgeregt durch die Umtriebe der Polen / der
Verbannten von ,1831, und obwohl sich der Kaiser in diese Unruhen, wie sehr
er sie beklage und mißbillige, nicht anders mischen würde, als wenn etwa die
bedrängten Monarchen seine Hilfe anflehen würden, so müsse er doch das ganze
russische Volk aufrufen, um pflichtgetreu zu wachen, und jeden Versuch, die Be¬
wegung oder deu Krieg auch über seine Grenzen zu tragen, in Voraus zu
vereiteln.

Die Leute, welche lese" können, sind in Rußland noch selten, darum wurden
diese Aufrufe nicht nur durch alle Zeitungen und als Plakate verbreitet, sondern
auch von den Kanzeln abgelesen. -- Die Masse des Volkes erfuhr hindurch zuerst
etwas von den Vorgängen im Anstand. In Persa (y verstanden die Mnschikcn
(die unterste Volksklasse) die Sache aber so, als wollten die Franzosen und Deut¬
schen einen Gewaltstreich gegen den Kaiser und das Reich ausführen, und sie


seit zwanzig Jahren die mannigfachen Fremden-Privilegien in Rußland genossen
hatten, ohne dafür anderwärts staatsbürgerliche Verbindlichkeiten gehabt zu haben,
plötzlich unter das Gesetz der Knute fielen.

Die Studenten waren die ersten im russischen Publikum, welche durch eifrigere
Lectüre den Zeitungen einige Theilnahme zu zeigen anfingen. Man dachte daran,
ihnen den Besuch der Kouditorcieu, wo allein fast jene zu lesen sind, zu verbie¬
ten, nahm jedoch, die geringe Bedeutung ihrer Erregung gegen das Auffallende
der Maßregel richtig abschätzend, dieselbe sogleich wieder zurück; übrigens ist seit¬
dem durch die Erhebung einer hohen Steuer, für die Erlaubniß ausländische Zei¬
tungen auslegen zu dürfen, ihre Berbreitnng etwas erschwert. In Petersburg
aber, wo die ausländische Bevölkerung von Bedeutung ist, wurden lebhaftere Be¬
sorgnisse rege. Die Aufmerksamkeit der Polizei verdoppelte sich; das Briefgeheimniß
hat ihr gegenüber nie bestanden, jetzt aber verfiel die Korrespondenz mit dem Aus¬
land einer geschärften Controlle. Professor Hoffmann in Moskau, der sich in
einem Schreiben an seinen Bruder in Frankfurt a. M. als offenen Republikaner
zu erkennen gegeben hatte, wurde urplötzlich über die Grenze geführt, alle Russen,
welche ins Ausland verreist waren, erhielten den strengsten Befehl zur augenblick¬
lichen Umkehr, jährend Fremden der Eintritt in das russische Reich sehr er¬
schwert, und umgekehrt keinem russischen Unterthan der Austritt über die Grenze
bewilligt wurde.

Gleichzeitig erließ der Kaiser zwei Manifeste, worin er seine geliebten Unter¬
thanen im Gegensatz zu den ausländischen Aufrührern zur unverbrüchlichen Treue
gegen den Thron und das Vaterland aufrief. Diese Dokumente waren des tie¬
feren Eindruckes wegen in Kirchen-Russisch geschrieben, worin Völker und Hei¬
den gleich lautet; die offizielle deutsche Uebersetzung wählte deu letzteren Ausdruck.
Die Heiden also in halb Europa, uicht mir in Frankreich, sondern anch in den
Ländern seiner geliebten und verbündeten Brüder, des Kaisers von Oestreich und
des Königs von Preußen, seien aufgeregt durch die Umtriebe der Polen / der
Verbannten von ,1831, und obwohl sich der Kaiser in diese Unruhen, wie sehr
er sie beklage und mißbillige, nicht anders mischen würde, als wenn etwa die
bedrängten Monarchen seine Hilfe anflehen würden, so müsse er doch das ganze
russische Volk aufrufen, um pflichtgetreu zu wachen, und jeden Versuch, die Be¬
wegung oder deu Krieg auch über seine Grenzen zu tragen, in Voraus zu
vereiteln.

Die Leute, welche lese» können, sind in Rußland noch selten, darum wurden
diese Aufrufe nicht nur durch alle Zeitungen und als Plakate verbreitet, sondern
auch von den Kanzeln abgelesen. — Die Masse des Volkes erfuhr hindurch zuerst
etwas von den Vorgängen im Anstand. In Persa (y verstanden die Mnschikcn
(die unterste Volksklasse) die Sache aber so, als wollten die Franzosen und Deut¬
schen einen Gewaltstreich gegen den Kaiser und das Reich ausführen, und sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/50>, abgerufen am 05.02.2025.