Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Stimmung des Volkes in Rußland.
Von einem Deutschen aus Moskau.



Die Politik Rußlands ist seit Jahren eine glückliche oder, um dies Wort
nicht zu mißbrauchen, eine erfolgreiche gewesen; zumeist deshalb, weil sie mit dem
Wesen und Wollen des von ihr gelenkten Volkes in Uebereinstimmung steht. Auch,
jetzt dürfen wir überzeugt sei", daß die Wirkungen der neuesten europäischen Re¬
volution auf das Innere Rußlands für dessen Gegenwirkung nach außen größte!.-
theils maßgebend sein werden.

Die erste Nachricht von der Entthronung Louis Philipps und der Errichtung
einer neuen französischen Republik wurde in Moskau von allen fremden mit dem
gespanntesten Interesse aufgenommen. Das helle Licht fliegt schneller als der dunkle
Nebel. Das Erste, was mir über Deutschland in die Hände kam, waren die
großartigen Ansprachen und Aufrufe Friedrich WilhelmIV. nach den verhängnis¬
vollen Märztagen; damit eilte der Eine zum Andern, in den Konditoreien drängte
man sich, um mit eigenen Augen die Evangelien zu schauen; Toaste erschall¬
ten auf Kaiser Friedrich Wilhelm dem Ersten. Die hohe Polizei nahm dein-
Anschein nach keine weitere Notiz von dem Allen, als daß sie den Franzosen,
welche alle persönlich vorgefordert wurden, die offizielle Eröffnung machte, daß
Se. Majestät der Kaiser die neue Regierung in Frankreich vorläufig nicht an¬
erkenne, und deren Unterthanen, als solche, in Rußland für jetzt keinen Schutz
fänden. Es wurde ihnen daher die Alternative gestellt, entweder sogleich in ihr
Vaterland zurückzukehren, jedoch mit der Bedingung, nie wieder nach Rußland
zu kommen, den Unbemittelten wurde dazu sogar Unterstützung vou Seiten der
k. Negierung zugesagt, oder sich so lange unter das russische Gesetz zu steilen,
bis die diplomatische" Verhältnisse zwischen beiden Staaten wieder geordnet seien.
Nur sehr Wenige zogen das Erstere vor, da richtig vorausgesetzt wurde, daß jene
Annäherung und Anerkennung in kürzerer oder längerer Zeit doch wieder erfolgen
würde. Die Preußen dagegen wurden der Art gesichtet, daß die große Anzahl der
eigentlich Heimatlosen, d. h. derjenige", die nicht aus den letzten drei Jahren eine;"
Heimatschein besaßen, und die deshalb nach preußischem Gesetz in ihrer eigenen
Heimat nicht mehr als Angehörige betrachtet werden, gezwungen wurden, sofort
in die russische Unterthanenschaft zu treten, wodurch Zehntausend, die zum Theil


Grenzboten. in. 1849. 6
Die Stimmung des Volkes in Rußland.
Von einem Deutschen aus Moskau.



Die Politik Rußlands ist seit Jahren eine glückliche oder, um dies Wort
nicht zu mißbrauchen, eine erfolgreiche gewesen; zumeist deshalb, weil sie mit dem
Wesen und Wollen des von ihr gelenkten Volkes in Uebereinstimmung steht. Auch,
jetzt dürfen wir überzeugt sei», daß die Wirkungen der neuesten europäischen Re¬
volution auf das Innere Rußlands für dessen Gegenwirkung nach außen größte!.-
theils maßgebend sein werden.

Die erste Nachricht von der Entthronung Louis Philipps und der Errichtung
einer neuen französischen Republik wurde in Moskau von allen fremden mit dem
gespanntesten Interesse aufgenommen. Das helle Licht fliegt schneller als der dunkle
Nebel. Das Erste, was mir über Deutschland in die Hände kam, waren die
großartigen Ansprachen und Aufrufe Friedrich WilhelmIV. nach den verhängnis¬
vollen Märztagen; damit eilte der Eine zum Andern, in den Konditoreien drängte
man sich, um mit eigenen Augen die Evangelien zu schauen; Toaste erschall¬
ten auf Kaiser Friedrich Wilhelm dem Ersten. Die hohe Polizei nahm dein-
Anschein nach keine weitere Notiz von dem Allen, als daß sie den Franzosen,
welche alle persönlich vorgefordert wurden, die offizielle Eröffnung machte, daß
Se. Majestät der Kaiser die neue Regierung in Frankreich vorläufig nicht an¬
erkenne, und deren Unterthanen, als solche, in Rußland für jetzt keinen Schutz
fänden. Es wurde ihnen daher die Alternative gestellt, entweder sogleich in ihr
Vaterland zurückzukehren, jedoch mit der Bedingung, nie wieder nach Rußland
zu kommen, den Unbemittelten wurde dazu sogar Unterstützung vou Seiten der
k. Negierung zugesagt, oder sich so lange unter das russische Gesetz zu steilen,
bis die diplomatische» Verhältnisse zwischen beiden Staaten wieder geordnet seien.
Nur sehr Wenige zogen das Erstere vor, da richtig vorausgesetzt wurde, daß jene
Annäherung und Anerkennung in kürzerer oder längerer Zeit doch wieder erfolgen
würde. Die Preußen dagegen wurden der Art gesichtet, daß die große Anzahl der
eigentlich Heimatlosen, d. h. derjenige», die nicht aus den letzten drei Jahren eine;»
Heimatschein besaßen, und die deshalb nach preußischem Gesetz in ihrer eigenen
Heimat nicht mehr als Angehörige betrachtet werden, gezwungen wurden, sofort
in die russische Unterthanenschaft zu treten, wodurch Zehntausend, die zum Theil


Grenzboten. in. 1849. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279075"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Stimmung des Volkes in Rußland.<lb/><note type="byline"> Von einem Deutschen aus Moskau.</note></head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_128"> Die Politik Rußlands ist seit Jahren eine glückliche oder, um dies Wort<lb/>
nicht zu mißbrauchen, eine erfolgreiche gewesen; zumeist deshalb, weil sie mit dem<lb/>
Wesen und Wollen des von ihr gelenkten Volkes in Uebereinstimmung steht. Auch,<lb/>
jetzt dürfen wir überzeugt sei», daß die Wirkungen der neuesten europäischen Re¬<lb/>
volution auf das Innere Rußlands für dessen Gegenwirkung nach außen größte!.-<lb/>
theils maßgebend sein werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_129" next="#ID_130"> Die erste Nachricht von der Entthronung Louis Philipps und der Errichtung<lb/>
einer neuen französischen Republik wurde in Moskau von allen fremden mit dem<lb/>
gespanntesten Interesse aufgenommen. Das helle Licht fliegt schneller als der dunkle<lb/>
Nebel. Das Erste, was mir über Deutschland in die Hände kam, waren die<lb/>
großartigen Ansprachen und Aufrufe Friedrich WilhelmIV. nach den verhängnis¬<lb/>
vollen Märztagen; damit eilte der Eine zum Andern, in den Konditoreien drängte<lb/>
man sich, um mit eigenen Augen die Evangelien zu schauen; Toaste erschall¬<lb/>
ten auf Kaiser Friedrich Wilhelm dem Ersten.  Die hohe Polizei nahm dein-<lb/>
Anschein nach keine weitere Notiz von dem Allen, als daß sie den Franzosen,<lb/>
welche alle persönlich vorgefordert wurden, die offizielle Eröffnung machte, daß<lb/>
Se. Majestät der Kaiser die neue Regierung in Frankreich vorläufig nicht an¬<lb/>
erkenne, und deren Unterthanen, als solche, in Rußland für jetzt keinen Schutz<lb/>
fänden.  Es wurde ihnen daher die Alternative gestellt, entweder sogleich in ihr<lb/>
Vaterland zurückzukehren, jedoch mit der Bedingung, nie wieder nach Rußland<lb/>
zu kommen, den Unbemittelten wurde dazu sogar Unterstützung vou Seiten der<lb/>
k. Negierung zugesagt, oder sich so lange unter das russische Gesetz zu steilen,<lb/>
bis die diplomatische» Verhältnisse zwischen beiden Staaten wieder geordnet seien.<lb/>
Nur sehr Wenige zogen das Erstere vor, da richtig vorausgesetzt wurde, daß jene<lb/>
Annäherung und Anerkennung in kürzerer oder längerer Zeit doch wieder erfolgen<lb/>
würde. Die Preußen dagegen wurden der Art gesichtet, daß die große Anzahl der<lb/>
eigentlich Heimatlosen, d. h. derjenige», die nicht aus den letzten drei Jahren eine;»<lb/>
Heimatschein besaßen, und die deshalb nach preußischem Gesetz in ihrer eigenen<lb/>
Heimat nicht mehr als Angehörige betrachtet werden, gezwungen wurden, sofort<lb/>
in die russische Unterthanenschaft zu treten, wodurch Zehntausend, die zum Theil</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. in. 1849. 6</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Die Stimmung des Volkes in Rußland. Von einem Deutschen aus Moskau. Die Politik Rußlands ist seit Jahren eine glückliche oder, um dies Wort nicht zu mißbrauchen, eine erfolgreiche gewesen; zumeist deshalb, weil sie mit dem Wesen und Wollen des von ihr gelenkten Volkes in Uebereinstimmung steht. Auch, jetzt dürfen wir überzeugt sei», daß die Wirkungen der neuesten europäischen Re¬ volution auf das Innere Rußlands für dessen Gegenwirkung nach außen größte!.- theils maßgebend sein werden. Die erste Nachricht von der Entthronung Louis Philipps und der Errichtung einer neuen französischen Republik wurde in Moskau von allen fremden mit dem gespanntesten Interesse aufgenommen. Das helle Licht fliegt schneller als der dunkle Nebel. Das Erste, was mir über Deutschland in die Hände kam, waren die großartigen Ansprachen und Aufrufe Friedrich WilhelmIV. nach den verhängnis¬ vollen Märztagen; damit eilte der Eine zum Andern, in den Konditoreien drängte man sich, um mit eigenen Augen die Evangelien zu schauen; Toaste erschall¬ ten auf Kaiser Friedrich Wilhelm dem Ersten. Die hohe Polizei nahm dein- Anschein nach keine weitere Notiz von dem Allen, als daß sie den Franzosen, welche alle persönlich vorgefordert wurden, die offizielle Eröffnung machte, daß Se. Majestät der Kaiser die neue Regierung in Frankreich vorläufig nicht an¬ erkenne, und deren Unterthanen, als solche, in Rußland für jetzt keinen Schutz fänden. Es wurde ihnen daher die Alternative gestellt, entweder sogleich in ihr Vaterland zurückzukehren, jedoch mit der Bedingung, nie wieder nach Rußland zu kommen, den Unbemittelten wurde dazu sogar Unterstützung vou Seiten der k. Negierung zugesagt, oder sich so lange unter das russische Gesetz zu steilen, bis die diplomatische» Verhältnisse zwischen beiden Staaten wieder geordnet seien. Nur sehr Wenige zogen das Erstere vor, da richtig vorausgesetzt wurde, daß jene Annäherung und Anerkennung in kürzerer oder längerer Zeit doch wieder erfolgen würde. Die Preußen dagegen wurden der Art gesichtet, daß die große Anzahl der eigentlich Heimatlosen, d. h. derjenige», die nicht aus den letzten drei Jahren eine;» Heimatschein besaßen, und die deshalb nach preußischem Gesetz in ihrer eigenen Heimat nicht mehr als Angehörige betrachtet werden, gezwungen wurden, sofort in die russische Unterthanenschaft zu treten, wodurch Zehntausend, die zum Theil Grenzboten. in. 1849. 6

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/49
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/49>, abgerufen am 05.02.2025.