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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Schwung zu bringen. Die Raubritter von ehemals brieten die Juden an gelin¬
dem Feuer bis sie zahlten, in Ungarn drohet man ihnen heute mit Kerker und
Strick und behandelt sie sogar als Solidarbegriff, das ist der Fortschritt von ehe¬
mals zu heute. Ju Wien, wo man sich in Hinrichtungen endlich gesättigt, ge¬
stattet General Melden der Presse sogar, die Vorgänge des Kriegsgerichtes in tief¬
ster Devotion ganz unterthänigst zu tadeln, in Prag dagegen sperrt General Ke-
venhiller die Redakteure ein, weil sie die ostdeutsche Post getadelt und die Auf¬
hebung des Belagcrungsstandes bescheiden gewünscht, in Galizien endlich regiert
der General rusflschcvnstitutionell ganz nach hohem Belieben.

Die Verfechter des Föderativsystems mögen darin Trost und Beruhigung fin¬
den, daß selbst die Regierung der Gewalt sich nach Sitte und Gebrauch der ein¬
zelnen Kronländer verschieden gestaltet; wir aber sehen nach der verkohlten Hoff-
nungstanne hinauf und verzweifeln an einem freien Oestreich. Wir sind nicht
wählig, uns ist die Freiheit willkommen, ob sie uns die Centralisation, ob sie die
Föderation uns verbürge, aber verbürgt wollen wir sie, und nirgend bietet sich
uns die Bürgschaft in heutigem Oestreich.

Mag jener oktrovirte Reichstag wirklich zusammentreten, ein Reichstag von
Völkern beschickt, die sich eben bekriegten, zerfleischte", zu vernichten drohten, und
dennoch alle den gleichen Grimm gegen das Ministerium der Gewalt im Herzen
tragen, angenommen, dieser Grimm vereinigt sie momentan gegen den gemeinsa¬
men Feind, ist es denkbar, daß dieser dem Beschlusse der Volksvertretung weicht?
Dieser Feind, der vor kurzen ein gemäßigtes Parlament heimgesendet, schimpflich,
unter gleißnerischen Vorwand? nimmer weicht dieser Feind, und er negirt durch
sein Bleiben das constitutionelle Princip.

Angenommen die Völker bescheiden sich, und wollen ernst und kräftig den
Umbau des Staatsgebäudes berathen, scheitert dann nicht der Wille an jenem
obersten Gedanken, an der Sprachenverwirrung, an der unausweichlichen, wohl auch
Perfid genährten Erhitzung der Parteien, der Stämme, deren einer die Skalpe des
andern als Siegestrophäe am Gürtel trägt? Ist es möglich, daß ein östreichisches
Gesammtbcwußtsein entsteige aus den Gräbern der Schlachtfelder, ans den Richt-
stätlen, auf welchen die Prevo.talhöse das blutige Handwerk getrieben? Nimmer¬
mehr, sie tragen alle den Krieg, die Brutalität, den Vandalismus, vom Schlacht¬
felde in das Parlament.

Oestreichs Parlement wird das merkwürdige Schauspiel bieten, einer sich sel¬
ber Aegirendm Staatsrcpräscntation. Der Lombarde, der Venetianer, der Ma-
gyare, der Szekler, der Pole, sie alle treten ein mit dem brennenden Wunsche:
ein Oestreich werde ferner unmöglich , der Kroate, der Serbe, der Walache, der
soldatgeborene Grenzer bringt mir die Kampfeslust mit, diese allein ist seine Po¬
litik, er kennt nicht die friedliche Toga, nur im Saguin weiß er sich zu bewegen,
der Czeche, er agitirte und kämpfte bisher nur für seine Stammverwandten im


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Schwung zu bringen. Die Raubritter von ehemals brieten die Juden an gelin¬
dem Feuer bis sie zahlten, in Ungarn drohet man ihnen heute mit Kerker und
Strick und behandelt sie sogar als Solidarbegriff, das ist der Fortschritt von ehe¬
mals zu heute. Ju Wien, wo man sich in Hinrichtungen endlich gesättigt, ge¬
stattet General Melden der Presse sogar, die Vorgänge des Kriegsgerichtes in tief¬
ster Devotion ganz unterthänigst zu tadeln, in Prag dagegen sperrt General Ke-
venhiller die Redakteure ein, weil sie die ostdeutsche Post getadelt und die Auf¬
hebung des Belagcrungsstandes bescheiden gewünscht, in Galizien endlich regiert
der General rusflschcvnstitutionell ganz nach hohem Belieben.

Die Verfechter des Föderativsystems mögen darin Trost und Beruhigung fin¬
den, daß selbst die Regierung der Gewalt sich nach Sitte und Gebrauch der ein¬
zelnen Kronländer verschieden gestaltet; wir aber sehen nach der verkohlten Hoff-
nungstanne hinauf und verzweifeln an einem freien Oestreich. Wir sind nicht
wählig, uns ist die Freiheit willkommen, ob sie uns die Centralisation, ob sie die
Föderation uns verbürge, aber verbürgt wollen wir sie, und nirgend bietet sich
uns die Bürgschaft in heutigem Oestreich.

Mag jener oktrovirte Reichstag wirklich zusammentreten, ein Reichstag von
Völkern beschickt, die sich eben bekriegten, zerfleischte», zu vernichten drohten, und
dennoch alle den gleichen Grimm gegen das Ministerium der Gewalt im Herzen
tragen, angenommen, dieser Grimm vereinigt sie momentan gegen den gemeinsa¬
men Feind, ist es denkbar, daß dieser dem Beschlusse der Volksvertretung weicht?
Dieser Feind, der vor kurzen ein gemäßigtes Parlament heimgesendet, schimpflich,
unter gleißnerischen Vorwand? nimmer weicht dieser Feind, und er negirt durch
sein Bleiben das constitutionelle Princip.

Angenommen die Völker bescheiden sich, und wollen ernst und kräftig den
Umbau des Staatsgebäudes berathen, scheitert dann nicht der Wille an jenem
obersten Gedanken, an der Sprachenverwirrung, an der unausweichlichen, wohl auch
Perfid genährten Erhitzung der Parteien, der Stämme, deren einer die Skalpe des
andern als Siegestrophäe am Gürtel trägt? Ist es möglich, daß ein östreichisches
Gesammtbcwußtsein entsteige aus den Gräbern der Schlachtfelder, ans den Richt-
stätlen, auf welchen die Prevo.talhöse das blutige Handwerk getrieben? Nimmer¬
mehr, sie tragen alle den Krieg, die Brutalität, den Vandalismus, vom Schlacht¬
felde in das Parlament.

Oestreichs Parlement wird das merkwürdige Schauspiel bieten, einer sich sel¬
ber Aegirendm Staatsrcpräscntation. Der Lombarde, der Venetianer, der Ma-
gyare, der Szekler, der Pole, sie alle treten ein mit dem brennenden Wunsche:
ein Oestreich werde ferner unmöglich , der Kroate, der Serbe, der Walache, der
soldatgeborene Grenzer bringt mir die Kampfeslust mit, diese allein ist seine Po¬
litik, er kennt nicht die friedliche Toga, nur im Saguin weiß er sich zu bewegen,
der Czeche, er agitirte und kämpfte bisher nur für seine Stammverwandten im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/499>, abgerufen am 05.02.2025.