Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.usurpirteu Rolle, unter den Schlägen des nicht ganz erstickten Gewissens und in Doch die Ressourcensäle sind nicht die einzigen Schauplätze des Warschauer In deu öffentlichen Wirthschaften sind es natürlich nicht blos die Russen und usurpirteu Rolle, unter den Schlägen des nicht ganz erstickten Gewissens und in Doch die Ressourcensäle sind nicht die einzigen Schauplätze des Warschauer In deu öffentlichen Wirthschaften sind es natürlich nicht blos die Russen und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0488" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279514"/> <p xml:id="ID_1659" prev="#ID_1658"> usurpirteu Rolle, unter den Schlägen des nicht ganz erstickten Gewissens und in<lb/> der Furcht vor politischen Gefahren nicht irre machen. Desto schlimmer aber, daß<lb/> sie unter solchen Verhältnissen die „Hauptrolle in der Gesellschaft spielen." Wenn<lb/> ein gewisser Professor Tryglawski behauptet, daß in dem gegenwärtigen Warschau<lb/> ein gesellschaftlicher Bürgerverein unmöglich sei, ohne ein gefährliches politisches<lb/> Institut zu sein, so hat er vollkommen recht. Die Ursache davon liegt aber darin,<lb/> daß die die Gesellschaft beherrschenden Russen in Warschau eine audere als eine<lb/> politische Bedeutung in sich zu verspüren nicht im Stande sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1660"> Doch die Ressourcensäle sind nicht die einzigen Schauplätze des Warschauer<lb/> Gesellschaftslebens. Auch die öffentlichen Wirthschaften, die Kaffee- und Gast¬<lb/> häuser, die Weinkeller und ländlichen Vergnügungsorte gehören zu ihnen. Und<lb/> fast sind sie für den Beobachter noch wichtiger, da in ihnen von Statuten nicht<lb/> die Rede ist, und das Publikum ganz seinem Willen und innern Drange folgen<lb/> kann. Warschau besitzt eine entsetzliche Menge öffentlicher Wirthschaften. Sie<lb/> laufen parallel mit der Stufenfolge der Stände, verdienen auf der einen Seite<lb/> wegen ihrer Eleganz gerühmt, auf der anderen wegen ihrer Erbärmlichkeit ver¬<lb/> wünscht zu werden. Diese schlechten öffentlichen Wirthschaften, welche natürlich<lb/> nnr von der niedrigsten Classe der Einwohnerschaft besucht werde», würdige ich<lb/> hier der Erwähnung nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1661" next="#ID_1662"> In deu öffentlichen Wirthschaften sind es natürlich nicht blos die Russen und<lb/> Deutschen, welche die Gesellschaft bilden. Hier nehmen die Polen den meisten<lb/> Raum el». Die Russen aber, um mit den Polen nicht in Berührung und Rang¬<lb/> st'eit zu gerathen, halten sich zurück. ES ist selten, daß sich ein Russe von<lb/> Stande in eine öffentliche Wirthschaft verläuft. Nur da, wo seiue erste Rolle<lb/> außer Gefahr ist, befindet er sich wohl. Dagegen machen die Deutschen einen<lb/> sehr großen Theil der Gesellschaft der öffentlichen Wirthschaften aus. Hier nähert<lb/> sich das Verhältniß dem früheren natürliche» Zustande, der deutsche Gast nähert<lb/> sich freundlich dem Polen, und der Pole zeigt ihm schon in der ersten Begrüßung,<lb/> daß die Behauptung, er sei ein Feind der Deutschen, der Wahrheit ermangele.<lb/> Per Pole verwechselt den Schauplatz des politischen Lebens nie mit dem Schau¬<lb/> platze des bürgerlichen. Dort ist er Pole, hier Bürger, und wie er dort von<lb/> ganzem Herzen Pole ist, so wäre er anch hier von ganzem Herzen Bürger und<lb/> Freund jedes Gesellschaftstheilnehmers, wenn nicht von anderer Seite dem Aus¬<lb/> fluß seiner Gefühle ein gewisses Hinderniß entgegen gestellt wäre. Der Pole, in<lb/> politischem Leben der eingefleischte Aristokrat, ist hier in der bürgerlichen Gesell¬<lb/> schaft der vollkommenste Republikaner. Niemals gibt sich an ihm ein Drang<lb/> kund, die hervorragende, Ton angehende Rolle zu spielen, zu der er als der<lb/> Einheimische berechtigt ist, gleichwohl spielt er diese Rolle, doch ohne es zu wissen.<lb/> Der Deutsche drängt sie ihm in seinem natürlichen Gefühl für's Recht auf, und<lb/> desto lieber, da er sie an ihm »icht so »»angenehm, wie an dem Russen, ja gar</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0488]
usurpirteu Rolle, unter den Schlägen des nicht ganz erstickten Gewissens und in
der Furcht vor politischen Gefahren nicht irre machen. Desto schlimmer aber, daß
sie unter solchen Verhältnissen die „Hauptrolle in der Gesellschaft spielen." Wenn
ein gewisser Professor Tryglawski behauptet, daß in dem gegenwärtigen Warschau
ein gesellschaftlicher Bürgerverein unmöglich sei, ohne ein gefährliches politisches
Institut zu sein, so hat er vollkommen recht. Die Ursache davon liegt aber darin,
daß die die Gesellschaft beherrschenden Russen in Warschau eine audere als eine
politische Bedeutung in sich zu verspüren nicht im Stande sind.
Doch die Ressourcensäle sind nicht die einzigen Schauplätze des Warschauer
Gesellschaftslebens. Auch die öffentlichen Wirthschaften, die Kaffee- und Gast¬
häuser, die Weinkeller und ländlichen Vergnügungsorte gehören zu ihnen. Und
fast sind sie für den Beobachter noch wichtiger, da in ihnen von Statuten nicht
die Rede ist, und das Publikum ganz seinem Willen und innern Drange folgen
kann. Warschau besitzt eine entsetzliche Menge öffentlicher Wirthschaften. Sie
laufen parallel mit der Stufenfolge der Stände, verdienen auf der einen Seite
wegen ihrer Eleganz gerühmt, auf der anderen wegen ihrer Erbärmlichkeit ver¬
wünscht zu werden. Diese schlechten öffentlichen Wirthschaften, welche natürlich
nnr von der niedrigsten Classe der Einwohnerschaft besucht werde», würdige ich
hier der Erwähnung nicht.
In deu öffentlichen Wirthschaften sind es natürlich nicht blos die Russen und
Deutschen, welche die Gesellschaft bilden. Hier nehmen die Polen den meisten
Raum el». Die Russen aber, um mit den Polen nicht in Berührung und Rang¬
st'eit zu gerathen, halten sich zurück. ES ist selten, daß sich ein Russe von
Stande in eine öffentliche Wirthschaft verläuft. Nur da, wo seiue erste Rolle
außer Gefahr ist, befindet er sich wohl. Dagegen machen die Deutschen einen
sehr großen Theil der Gesellschaft der öffentlichen Wirthschaften aus. Hier nähert
sich das Verhältniß dem früheren natürliche» Zustande, der deutsche Gast nähert
sich freundlich dem Polen, und der Pole zeigt ihm schon in der ersten Begrüßung,
daß die Behauptung, er sei ein Feind der Deutschen, der Wahrheit ermangele.
Per Pole verwechselt den Schauplatz des politischen Lebens nie mit dem Schau¬
platze des bürgerlichen. Dort ist er Pole, hier Bürger, und wie er dort von
ganzem Herzen Pole ist, so wäre er anch hier von ganzem Herzen Bürger und
Freund jedes Gesellschaftstheilnehmers, wenn nicht von anderer Seite dem Aus¬
fluß seiner Gefühle ein gewisses Hinderniß entgegen gestellt wäre. Der Pole, in
politischem Leben der eingefleischte Aristokrat, ist hier in der bürgerlichen Gesell¬
schaft der vollkommenste Republikaner. Niemals gibt sich an ihm ein Drang
kund, die hervorragende, Ton angehende Rolle zu spielen, zu der er als der
Einheimische berechtigt ist, gleichwohl spielt er diese Rolle, doch ohne es zu wissen.
Der Deutsche drängt sie ihm in seinem natürlichen Gefühl für's Recht auf, und
desto lieber, da er sie an ihm »icht so »»angenehm, wie an dem Russen, ja gar
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