Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zulassen, fordere. Wer fürchtet denn in der Ressource die Klinge so sehr, die
möglicher Weise in diesem oder jenem Stocke verborgen sein könnte?

Man muß in dem Garderobezimmer oder dem nächsten Saale weilen, um die
Gesellschaft kennen zu lernen. Es erscheinen einige Männer von verschiedener Ge¬
stalt. Ihr Benehmen ist selbst vor den Garderobedienern mehr als herablassend,
fast demüthig. Sie fragen flüsternd, ob Der oder Jener schon da sei. Das Auf¬
fallendste in ihren Fragen sind die russischen Namen. Man erkundigt sich, wer
die drei Herren sind: "der Lohgerbermeister Nitzschke, der Seilermeister Arndt und
der Bergrath Lampe." Ganz hübsch, wenn die Stände keine Spaltung macheu.
Sie treten in den ersten Saal, schreiten vor bis ans den Punkt, wo sie mehre
Säle durchblicken können, halten eine schüchterne Beobachtung, und ziehen sich
nach dieser oder nach jener Seite, um sich in einem Winkel niederzulassen und die
Karte oder das Bierglas zu ergreifen.

Bald darauf erscheint ein magerer grauköpfiger Herr, der trotz der strengen
Winterkälte eiuen Frack trägt und den dünnen Hals in einem ungeheuren weißen
Halstuche verbirgt. Seine ganze Miene ist von Aristokratie erfüllr; gleichwohl
steht man ihm in jeder Bewegung seines eckigen Wesens den demüthigen Deutschen
an. Er scheint ein Künstler oder ein Narr zu sein. Wer ist er? Der Gesellschasts-
cassirer Minder, der als Maler in Deutschland uicht das Brot sür sein kleines
Leben gewinnen konnte, als Fabrikant in Warschau aber, und zwar durch die En¬
terprisen beim Festungsbau, ein Millionär geworden ist.

Endlich erblickt man Uniformen. Die Namen sind russisch. Die Leute dieser
Gattung scheinen sich schon dnrch ein späteres Erscheinen auszeichnen zu wollen.
Sie schreiten hoher Stirn dnrch alle Säle, grüßen mit einer gewissen Freundlich¬
keit nach allen Seiten hin, und die Deutschen, welche bereits Platz genommen
hatten, erheben sich so hoch als möglich, um sich desto tiefer beugen zu können.
Die Dreistigkeit, mit welcher sich die Russen hier bewegen, die Schüchternheit, in
welcher sich die Deutschen zeigen, die Freundlichkeit jener, die Verlegenheit dieser,
gibt sogleich Aufschluß über das Verhältniß, in welchem sich diese beiden Gesell¬
schaften zu einander befinden. Weder der Russe noch der Deutsche vermag sich
als ein Warschauer Bürger zu fühlen. Der Russe ist auch hier der Eroberer von
Warschau, der Deutsche auch hier der Mann, dem es gnädigst erlaubt worden ist,
w Warschau eine Speculation zu machen. Still wie Schatten sitzen die Deutschen
in diesem Zimmer beim Spieltisch, in jenem vor den Zeitungen, die durch die
Censur zerfetzt und verschmiert sind, im dritten vor dem vollen Teller. Kaum
erlauben sie sich eine andere als flüsternde Unterhaltung. Dagegen befinden sich
die Russen fortwährend auf den Füßen, ans einem Zimmer in das andere stolzirend,
bald hier herablassend in eine Karte, bald dort auf einen Teller, bald da über die
Schultern auf einen Zeituugsfetzen blickend und bei jeder Gelegenheit so laut wer-


zulassen, fordere. Wer fürchtet denn in der Ressource die Klinge so sehr, die
möglicher Weise in diesem oder jenem Stocke verborgen sein könnte?

Man muß in dem Garderobezimmer oder dem nächsten Saale weilen, um die
Gesellschaft kennen zu lernen. Es erscheinen einige Männer von verschiedener Ge¬
stalt. Ihr Benehmen ist selbst vor den Garderobedienern mehr als herablassend,
fast demüthig. Sie fragen flüsternd, ob Der oder Jener schon da sei. Das Auf¬
fallendste in ihren Fragen sind die russischen Namen. Man erkundigt sich, wer
die drei Herren sind: „der Lohgerbermeister Nitzschke, der Seilermeister Arndt und
der Bergrath Lampe." Ganz hübsch, wenn die Stände keine Spaltung macheu.
Sie treten in den ersten Saal, schreiten vor bis ans den Punkt, wo sie mehre
Säle durchblicken können, halten eine schüchterne Beobachtung, und ziehen sich
nach dieser oder nach jener Seite, um sich in einem Winkel niederzulassen und die
Karte oder das Bierglas zu ergreifen.

Bald darauf erscheint ein magerer grauköpfiger Herr, der trotz der strengen
Winterkälte eiuen Frack trägt und den dünnen Hals in einem ungeheuren weißen
Halstuche verbirgt. Seine ganze Miene ist von Aristokratie erfüllr; gleichwohl
steht man ihm in jeder Bewegung seines eckigen Wesens den demüthigen Deutschen
an. Er scheint ein Künstler oder ein Narr zu sein. Wer ist er? Der Gesellschasts-
cassirer Minder, der als Maler in Deutschland uicht das Brot sür sein kleines
Leben gewinnen konnte, als Fabrikant in Warschau aber, und zwar durch die En¬
terprisen beim Festungsbau, ein Millionär geworden ist.

Endlich erblickt man Uniformen. Die Namen sind russisch. Die Leute dieser
Gattung scheinen sich schon dnrch ein späteres Erscheinen auszeichnen zu wollen.
Sie schreiten hoher Stirn dnrch alle Säle, grüßen mit einer gewissen Freundlich¬
keit nach allen Seiten hin, und die Deutschen, welche bereits Platz genommen
hatten, erheben sich so hoch als möglich, um sich desto tiefer beugen zu können.
Die Dreistigkeit, mit welcher sich die Russen hier bewegen, die Schüchternheit, in
welcher sich die Deutschen zeigen, die Freundlichkeit jener, die Verlegenheit dieser,
gibt sogleich Aufschluß über das Verhältniß, in welchem sich diese beiden Gesell¬
schaften zu einander befinden. Weder der Russe noch der Deutsche vermag sich
als ein Warschauer Bürger zu fühlen. Der Russe ist auch hier der Eroberer von
Warschau, der Deutsche auch hier der Mann, dem es gnädigst erlaubt worden ist,
w Warschau eine Speculation zu machen. Still wie Schatten sitzen die Deutschen
in diesem Zimmer beim Spieltisch, in jenem vor den Zeitungen, die durch die
Censur zerfetzt und verschmiert sind, im dritten vor dem vollen Teller. Kaum
erlauben sie sich eine andere als flüsternde Unterhaltung. Dagegen befinden sich
die Russen fortwährend auf den Füßen, ans einem Zimmer in das andere stolzirend,
bald hier herablassend in eine Karte, bald dort auf einen Teller, bald da über die
Schultern auf einen Zeituugsfetzen blickend und bei jeder Gelegenheit so laut wer-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0485" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279511"/>
          <p xml:id="ID_1648" prev="#ID_1647"> zulassen, fordere. Wer fürchtet denn in der Ressource die Klinge so sehr, die<lb/>
möglicher Weise in diesem oder jenem Stocke verborgen sein könnte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1649"> Man muß in dem Garderobezimmer oder dem nächsten Saale weilen, um die<lb/>
Gesellschaft kennen zu lernen. Es erscheinen einige Männer von verschiedener Ge¬<lb/>
stalt. Ihr Benehmen ist selbst vor den Garderobedienern mehr als herablassend,<lb/>
fast demüthig. Sie fragen flüsternd, ob Der oder Jener schon da sei. Das Auf¬<lb/>
fallendste in ihren Fragen sind die russischen Namen. Man erkundigt sich, wer<lb/>
die drei Herren sind: &#x201E;der Lohgerbermeister Nitzschke, der Seilermeister Arndt und<lb/>
der Bergrath Lampe." Ganz hübsch, wenn die Stände keine Spaltung macheu.<lb/>
Sie treten in den ersten Saal, schreiten vor bis ans den Punkt, wo sie mehre<lb/>
Säle durchblicken können, halten eine schüchterne Beobachtung, und ziehen sich<lb/>
nach dieser oder nach jener Seite, um sich in einem Winkel niederzulassen und die<lb/>
Karte oder das Bierglas zu ergreifen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1650"> Bald darauf erscheint ein magerer grauköpfiger Herr, der trotz der strengen<lb/>
Winterkälte eiuen Frack trägt und den dünnen Hals in einem ungeheuren weißen<lb/>
Halstuche verbirgt. Seine ganze Miene ist von Aristokratie erfüllr; gleichwohl<lb/>
steht man ihm in jeder Bewegung seines eckigen Wesens den demüthigen Deutschen<lb/>
an. Er scheint ein Künstler oder ein Narr zu sein. Wer ist er? Der Gesellschasts-<lb/>
cassirer Minder, der als Maler in Deutschland uicht das Brot sür sein kleines<lb/>
Leben gewinnen konnte, als Fabrikant in Warschau aber, und zwar durch die En¬<lb/>
terprisen beim Festungsbau, ein Millionär geworden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1651" next="#ID_1652"> Endlich erblickt man Uniformen. Die Namen sind russisch. Die Leute dieser<lb/>
Gattung scheinen sich schon dnrch ein späteres Erscheinen auszeichnen zu wollen.<lb/>
Sie schreiten hoher Stirn dnrch alle Säle, grüßen mit einer gewissen Freundlich¬<lb/>
keit nach allen Seiten hin, und die Deutschen, welche bereits Platz genommen<lb/>
hatten, erheben sich so hoch als möglich, um sich desto tiefer beugen zu können.<lb/>
Die Dreistigkeit, mit welcher sich die Russen hier bewegen, die Schüchternheit, in<lb/>
welcher sich die Deutschen zeigen, die Freundlichkeit jener, die Verlegenheit dieser,<lb/>
gibt sogleich Aufschluß über das Verhältniß, in welchem sich diese beiden Gesell¬<lb/>
schaften zu einander befinden. Weder der Russe noch der Deutsche vermag sich<lb/>
als ein Warschauer Bürger zu fühlen. Der Russe ist auch hier der Eroberer von<lb/>
Warschau, der Deutsche auch hier der Mann, dem es gnädigst erlaubt worden ist,<lb/>
w Warschau eine Speculation zu machen. Still wie Schatten sitzen die Deutschen<lb/>
in diesem Zimmer beim Spieltisch, in jenem vor den Zeitungen, die durch die<lb/>
Censur zerfetzt und verschmiert sind, im dritten vor dem vollen Teller. Kaum<lb/>
erlauben sie sich eine andere als flüsternde Unterhaltung. Dagegen befinden sich<lb/>
die Russen fortwährend auf den Füßen, ans einem Zimmer in das andere stolzirend,<lb/>
bald hier herablassend in eine Karte, bald dort auf einen Teller, bald da über die<lb/>
Schultern auf einen Zeituugsfetzen blickend und bei jeder Gelegenheit so laut wer-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0485] zulassen, fordere. Wer fürchtet denn in der Ressource die Klinge so sehr, die möglicher Weise in diesem oder jenem Stocke verborgen sein könnte? Man muß in dem Garderobezimmer oder dem nächsten Saale weilen, um die Gesellschaft kennen zu lernen. Es erscheinen einige Männer von verschiedener Ge¬ stalt. Ihr Benehmen ist selbst vor den Garderobedienern mehr als herablassend, fast demüthig. Sie fragen flüsternd, ob Der oder Jener schon da sei. Das Auf¬ fallendste in ihren Fragen sind die russischen Namen. Man erkundigt sich, wer die drei Herren sind: „der Lohgerbermeister Nitzschke, der Seilermeister Arndt und der Bergrath Lampe." Ganz hübsch, wenn die Stände keine Spaltung macheu. Sie treten in den ersten Saal, schreiten vor bis ans den Punkt, wo sie mehre Säle durchblicken können, halten eine schüchterne Beobachtung, und ziehen sich nach dieser oder nach jener Seite, um sich in einem Winkel niederzulassen und die Karte oder das Bierglas zu ergreifen. Bald darauf erscheint ein magerer grauköpfiger Herr, der trotz der strengen Winterkälte eiuen Frack trägt und den dünnen Hals in einem ungeheuren weißen Halstuche verbirgt. Seine ganze Miene ist von Aristokratie erfüllr; gleichwohl steht man ihm in jeder Bewegung seines eckigen Wesens den demüthigen Deutschen an. Er scheint ein Künstler oder ein Narr zu sein. Wer ist er? Der Gesellschasts- cassirer Minder, der als Maler in Deutschland uicht das Brot sür sein kleines Leben gewinnen konnte, als Fabrikant in Warschau aber, und zwar durch die En¬ terprisen beim Festungsbau, ein Millionär geworden ist. Endlich erblickt man Uniformen. Die Namen sind russisch. Die Leute dieser Gattung scheinen sich schon dnrch ein späteres Erscheinen auszeichnen zu wollen. Sie schreiten hoher Stirn dnrch alle Säle, grüßen mit einer gewissen Freundlich¬ keit nach allen Seiten hin, und die Deutschen, welche bereits Platz genommen hatten, erheben sich so hoch als möglich, um sich desto tiefer beugen zu können. Die Dreistigkeit, mit welcher sich die Russen hier bewegen, die Schüchternheit, in welcher sich die Deutschen zeigen, die Freundlichkeit jener, die Verlegenheit dieser, gibt sogleich Aufschluß über das Verhältniß, in welchem sich diese beiden Gesell¬ schaften zu einander befinden. Weder der Russe noch der Deutsche vermag sich als ein Warschauer Bürger zu fühlen. Der Russe ist auch hier der Eroberer von Warschau, der Deutsche auch hier der Mann, dem es gnädigst erlaubt worden ist, w Warschau eine Speculation zu machen. Still wie Schatten sitzen die Deutschen in diesem Zimmer beim Spieltisch, in jenem vor den Zeitungen, die durch die Censur zerfetzt und verschmiert sind, im dritten vor dem vollen Teller. Kaum erlauben sie sich eine andere als flüsternde Unterhaltung. Dagegen befinden sich die Russen fortwährend auf den Füßen, ans einem Zimmer in das andere stolzirend, bald hier herablassend in eine Karte, bald dort auf einen Teller, bald da über die Schultern auf einen Zeituugsfetzen blickend und bei jeder Gelegenheit so laut wer-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/485
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/485>, abgerufen am 05.02.2025.