Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.ludion, welche der Wiener Kongreß dem Königreich gegeben hatte, unfähig eine Das natürliche Verhältniß der gesellschaftlichen Elemente zu einander war der So finden sich schon die beiden wichtigsten Elemente der Warschauer Gesell¬ 61*
ludion, welche der Wiener Kongreß dem Königreich gegeben hatte, unfähig eine Das natürliche Verhältniß der gesellschaftlichen Elemente zu einander war der So finden sich schon die beiden wichtigsten Elemente der Warschauer Gesell¬ 61*
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ludion, welche der Wiener Kongreß dem Königreich gegeben hatte, unfähig eine
andere, als eine secundäre Stellung in Anspruch zu nehmen. Die willkürlichen
Eingriffe des Großfürsten Constantin in den rechtlichen Gang des Staatswesens
brachten keine Hemmung in der Entwicklung des gesellschaftlichen Zustandes hervor,
denn sie trugen alle das Gepräge seiner Individualität, reichten nicht weit und
wurden kaum außerhalb der politischen Sphäre gefühlt. Heiterer als je war das
Leben, gleichwohl veredelte sich die Sittlichkeit. Die Polen waren bessere Bürger,
die Deutschen mehr als Spekulanten, die Juden Besseres als Schacherer, die
Russen weniger geworden, als zu sein sie sich vielleicht im Jahre 18l4 berechtigt
gewähnt haben mochten. Wer zu Warschau in jener Periode gelebt, bezeugt, daß
damals eine zum schönsten Glück entwickelte Volksgesellschaft bestanden habe, und
Zeuge dessen ist selbst die damalige Warschauer Literatur. Sie hatte einen außer¬
ordentlichen Aufschwung gewonnen. Wie hätte es anders sein können? Die Freund¬
lichkeit des Lebens hatte alle geistigen Kräfte geweckt, und ihnen entsprangen un-
zähliche Schöpfungen, welche als Monumente nicht blos darauf hindeuten, wessen
die Vergangenheit schon fähig geworden, sondern auch, wessen die Zukunft bei
gleicher Fortentwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse noch fähig werden konnte.
Das natürliche Verhältniß der gesellschaftlichen Elemente zu einander war der
Urquell des gesellschaftlichen Glückes, aber dieses Verhältniß änderte sich gänzlich
durch den unglücklichen Ausgang der polnischen Revolution im Jahre 1831, durch
welchen Polen der Willkür des Czaren anheimfiel, seiner Konstitution verlustig
ging und das Recht verlor, ein Besitzthum seiner Eingebornen zu sein. Von da
ab übernahmen die Russen die Rolle, welche vor der Revolution die Polen gespielt
hatten. Jede Annäherung an sie erinnert die Polen schmerzlich an den Verlust
ihrer Rechte. Darum weichen sie lieber zurück und entzögen sich gern ganz der
öffentlichen Gesellschaft. In gleichem Maße aber drängen sich die Russen von den
Polen ab. Doch fühlend, daß sich darin gerade die Ungerechtigkeit des Besitz-
thums ihrer gesellschaftlichen Rechte bekunde, bäumen sie sich in isolirter Stellung
desto höher auf, um ihren Rechten einen Schein der Gerechtigkeit zu verleihen,
wobei sich aber ihre natürliche Verlegenheit anf vielfache unvermeidliche Weise
sichtbar macht.
So finden sich schon die beiden wichtigsten Elemente der Warschauer Gesell¬
schaft von einander getrennt. Jede ihrer Berührungen ist fugaler Natur. Drängt
die Nothwendigkeit sie aneinander, so weichen sie von einander desto weiter zurück,
so bald die Nothwendigkeit verschwunden ist. Das eine Element ist voll von fal¬
schem Streben, das andere ohne Streben, das eine wirkt verderblich für die Ge¬
sellschaft, das andere gar nicht. Die Gemeinsamkeit ist durch die widernatürliche
Stellung beider Elemente verhindert. Schlösser sich nun auch der dritte und vierte
Hauptbestandtheil der Warschauer Gesellschaft den Russen als dem Stamm noch
eng an, so würde jener Spalt nicht auszufüllen und das aus ihm hervorgehende
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