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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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einander wetteifern, wer am meisten ministeriell gesinnt sei. Das hat sich vorzüg¬
lich so in der deutschen Frage herausgestellt.

Wenn in dieser Frage die Männer von Frankfurt und Gotha durch die Vorlagen
des Ministeriums, und namentlich durch die Rede des königlichen Commissarius,
Herrn v. Nadvwitz, so umgestimmt sind, daß sie der seit dem Mai befolgten
Politik ihre unbedingte Billigung geben, und sie dringend ernähren, auf dem
betretenen Wege zu verharren, so konnte das Wunder nehmen, denn weder in
den Vorlagen, noch in jener Rede ist etwas Neues enthalten, was man ans den
bekannten Verhandlungen nicht wenigstens hätte schließen können. Dennoch ist
diese Umstimmung sehr begreiflich, einmal aus der veränderten Luft -- es ist doch
ein Unterschied, ob man in Frankfurt, dem Centrum eines blos in der Einbildung
vorhandenen Staats, oder in Berlin, mitten im Markt des wirklichen Lebens, zu
Rath sitzt -- dann auch ans den veränderten Zeitumständen. Die Niederlage des
Aufstandes in Baden, Sachsen, anch in Ungarn, verrücken freilich den Gesichts"
Punkt sehr wesentlich.

Auf der andern Seite ist es eben so wunderlich, wenn die Großdeutschen
aus jenen Ackerstücken die Hoffnung schöpfen, die preußische Negierung habe ihren
Plan fallen lassen und rede ihm nur uoch >"o den-nur das Wort, um nachher die
Hände in Unschuld waschen zu können, als ob sie daS Ihrige gewissenhaft gethan
habe, und nur durch die Intriguen der Uebclgesiuutcu an der Vollendung ihres
Werkes gehindert sei. Von einer solchen Resignation finde ich in den Erklärungen
des Ministeriums doch keine Spur.

Um ein richtiges Urtheil zu gewinnen, muß man zweierlei unterscheiden. Ein¬
mal das absolut Vernünftige, das sich in deu verschiedenen Plänen mehr oder
minder bestimmt aussprechen und endlich nothwendiger Weise zur Geltung bringen
muß, und dann das Verhältniß, in der jeder einzelne bestimmte Entwurf zur
augenblicklichen Lage der Dinge steht.

Das absolut Vernünftige ist: Trennung der politischen Monstrosität, die man
früher heiliges römisches Reich, später deutscher Bund genannt hat, in zwei sou-
veräne Staatsgebiete, von denen jedes eine wirkliche, d. h. eigene oder selbststän¬
dige Politik verfolgen kann.

Die Nothwendigkeit dieser Trennung -- welche die Revolution des vorigen
Jahres, ihrem romantischen Charakter gemäß, in der umgekehrten Form der Ein¬
heit anstrebte -- ergibt sich aus der Existenz zweier souveräner, europäischer Staaten,
die ihrer geographischen Lage wie ihre Geschichte nach eine verschiedene (nicht
etwa eine feindliche) Politik verfolgen müssen und seit dem 30jährigen Kriege
auch immer verfolgt haben, und der Lage einer Masse unberechtigter Klein- und
Mittelstaaten zwischen ihnen, die den beiden Großstaaten entweder willenlos ge¬
horchen, wie es seit der Bundesacte der Fall war, oder dem Auslande dazu
dienen, einen Keil in das Gefüge Preußens und Oestreichs einzuschieben, um


einander wetteifern, wer am meisten ministeriell gesinnt sei. Das hat sich vorzüg¬
lich so in der deutschen Frage herausgestellt.

Wenn in dieser Frage die Männer von Frankfurt und Gotha durch die Vorlagen
des Ministeriums, und namentlich durch die Rede des königlichen Commissarius,
Herrn v. Nadvwitz, so umgestimmt sind, daß sie der seit dem Mai befolgten
Politik ihre unbedingte Billigung geben, und sie dringend ernähren, auf dem
betretenen Wege zu verharren, so konnte das Wunder nehmen, denn weder in
den Vorlagen, noch in jener Rede ist etwas Neues enthalten, was man ans den
bekannten Verhandlungen nicht wenigstens hätte schließen können. Dennoch ist
diese Umstimmung sehr begreiflich, einmal aus der veränderten Luft — es ist doch
ein Unterschied, ob man in Frankfurt, dem Centrum eines blos in der Einbildung
vorhandenen Staats, oder in Berlin, mitten im Markt des wirklichen Lebens, zu
Rath sitzt — dann auch ans den veränderten Zeitumständen. Die Niederlage des
Aufstandes in Baden, Sachsen, anch in Ungarn, verrücken freilich den Gesichts»
Punkt sehr wesentlich.

Auf der andern Seite ist es eben so wunderlich, wenn die Großdeutschen
aus jenen Ackerstücken die Hoffnung schöpfen, die preußische Negierung habe ihren
Plan fallen lassen und rede ihm nur uoch >„o den-nur das Wort, um nachher die
Hände in Unschuld waschen zu können, als ob sie daS Ihrige gewissenhaft gethan
habe, und nur durch die Intriguen der Uebclgesiuutcu an der Vollendung ihres
Werkes gehindert sei. Von einer solchen Resignation finde ich in den Erklärungen
des Ministeriums doch keine Spur.

Um ein richtiges Urtheil zu gewinnen, muß man zweierlei unterscheiden. Ein¬
mal das absolut Vernünftige, das sich in deu verschiedenen Plänen mehr oder
minder bestimmt aussprechen und endlich nothwendiger Weise zur Geltung bringen
muß, und dann das Verhältniß, in der jeder einzelne bestimmte Entwurf zur
augenblicklichen Lage der Dinge steht.

Das absolut Vernünftige ist: Trennung der politischen Monstrosität, die man
früher heiliges römisches Reich, später deutscher Bund genannt hat, in zwei sou-
veräne Staatsgebiete, von denen jedes eine wirkliche, d. h. eigene oder selbststän¬
dige Politik verfolgen kann.

Die Nothwendigkeit dieser Trennung — welche die Revolution des vorigen
Jahres, ihrem romantischen Charakter gemäß, in der umgekehrten Form der Ein¬
heit anstrebte — ergibt sich aus der Existenz zweier souveräner, europäischer Staaten,
die ihrer geographischen Lage wie ihre Geschichte nach eine verschiedene (nicht
etwa eine feindliche) Politik verfolgen müssen und seit dem 30jährigen Kriege
auch immer verfolgt haben, und der Lage einer Masse unberechtigter Klein- und
Mittelstaaten zwischen ihnen, die den beiden Großstaaten entweder willenlos ge¬
horchen, wie es seit der Bundesacte der Fall war, oder dem Auslande dazu
dienen, einen Keil in das Gefüge Preußens und Oestreichs einzuschieben, um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/468>, abgerufen am 05.02.2025.