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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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wich Görgey vor Paskiewitsch, der am 29. Juli die Theiß überschritt und Szegedin
besetzte (31. Juli). So verewigten sich nun sämmtliche russische Armeekorps (1. Aug.);
ein Ausfall Klapka's aus Komorn, bis nach Raab (3. Aug.), brachte keinen dauern¬
den Gewinn; auch Haynau ging über die Theiß (4. Aug.), schlug Bem und Dem-
binski bei Temeswar und besetzte die Stadt (9. Aug.) und gleichzeitig drang Jel-
lachich vom Süden vor. Schlick, der wieder in Dienst getreten war, warf Görgey
bei Arad zurück (10. Aug.), und Kossuth sah ein, daß Alles verloren sei, um
so mehr, da unter den Insurgenten selbst Uneinigkeit ausgebrochen war. Görgey,
der wohl schon vorher, vielleicht unter englischer Vermittelung, mit den Russen
unterhandelt hatte, übernahm die Diktatur (11. Aug.), streckte bei Vilagos (l3. Aug.)
mit 30,000 Mann und 144 Geschützen vor dem russischen General Rüdiger die
Waffen, und forderte auch die übrigen Befehlshaber auf, ein Gleiches zu thun.
Kossuth, Bem und Dembinski flohen nach der Türkei (12. Ang,), wo sie bei dem
Pascha von Neu Orsova eine Zuflucht fanden. Arad ergab sich an Pcmiutin
(17. Aug.), dis Bem'sche Corps an Lüders (18. Aug.), die Reste der Armee in
Siebenbürgen an Rüdiger et'1. Aug.). So konnte Paskiewitsch an seinen Kaiser
schreiben, daß ganz Ungarn zu den Füßen Sr. Majestät liege, und Haynau konnte
für die ungarischen Truppen, vorläufig mit Ausschluß der Offiziere, Amnestie
verkünden (Temeswar, 18. August). Doch kamen noch immer Hinrichtungen vor
(so Baron Aussenberg zu Arad, 23. August).

Der ungarische Krieg ist also zu Ende; Komorn, das letzte Asyl der Ma¬
gyaren, kann sich in seiner Vereinzelung nicht lange mehr halten. Ob damit die
Charte vom 4. März für Ungarn anwendbar wird, steht dennoch sehr in Frage;
vielmehr läßt die Wendung, welche das Cabinet in der deutschen Angelegenheit
genommen hat, so wie der mächtige Einfluß des russischen Alliirten erwarten, daß
irgend ein Compromiß zu Stande kommt, der Ungarn, vielleicht mit Abtretung
der slavischen Comitate und Siebenbürgens eine eigene Verfassung gibt, die con-
servativer ist, als die absolutistisch-revolutionäre des Cabinets. -- Wir wenden
uns nun nach Italien.

Den 14. März 1849 überbrachte ein piemontesischer Offizier die Aufkündigung
des Waffenstillstandes und gleichzeitig begab sich Carl Albert ins Hauptquartier
zu Alessandria. Mit der gesammten Truppenmacht, ohne irgend eine erhebliche
Besatzung zurückzulassen, brach Feldmarschall Radetzki von Mailand auf, überschritt
den Gravellone (20. März), schlug die piemontestsche Vorhut bei Mortara (21. März)
und vernichtete die feindliche Armee in dem glänzenden Siege bei Novara (23. März).
Noch in derselben Nacht legte Carl Albert seine Krone zu Gunsten seines Sohnes
Victor Eman u el nieder und entfloh nach Oporto, wo er (28. Juli) starb. Mit
dem neuen König wurde den 26. März ein Waffenstillstand abgeschlossen und bald
darauf (7. April) zu Mailand dnrch den Minister Brück die Friedensunterhand-
lungen eröffnet, die (24. April) wegen der eigenmächtigen Besetzung AlessaudriaS


wich Görgey vor Paskiewitsch, der am 29. Juli die Theiß überschritt und Szegedin
besetzte (31. Juli). So verewigten sich nun sämmtliche russische Armeekorps (1. Aug.);
ein Ausfall Klapka's aus Komorn, bis nach Raab (3. Aug.), brachte keinen dauern¬
den Gewinn; auch Haynau ging über die Theiß (4. Aug.), schlug Bem und Dem-
binski bei Temeswar und besetzte die Stadt (9. Aug.) und gleichzeitig drang Jel-
lachich vom Süden vor. Schlick, der wieder in Dienst getreten war, warf Görgey
bei Arad zurück (10. Aug.), und Kossuth sah ein, daß Alles verloren sei, um
so mehr, da unter den Insurgenten selbst Uneinigkeit ausgebrochen war. Görgey,
der wohl schon vorher, vielleicht unter englischer Vermittelung, mit den Russen
unterhandelt hatte, übernahm die Diktatur (11. Aug.), streckte bei Vilagos (l3. Aug.)
mit 30,000 Mann und 144 Geschützen vor dem russischen General Rüdiger die
Waffen, und forderte auch die übrigen Befehlshaber auf, ein Gleiches zu thun.
Kossuth, Bem und Dembinski flohen nach der Türkei (12. Ang,), wo sie bei dem
Pascha von Neu Orsova eine Zuflucht fanden. Arad ergab sich an Pcmiutin
(17. Aug.), dis Bem'sche Corps an Lüders (18. Aug.), die Reste der Armee in
Siebenbürgen an Rüdiger et'1. Aug.). So konnte Paskiewitsch an seinen Kaiser
schreiben, daß ganz Ungarn zu den Füßen Sr. Majestät liege, und Haynau konnte
für die ungarischen Truppen, vorläufig mit Ausschluß der Offiziere, Amnestie
verkünden (Temeswar, 18. August). Doch kamen noch immer Hinrichtungen vor
(so Baron Aussenberg zu Arad, 23. August).

Der ungarische Krieg ist also zu Ende; Komorn, das letzte Asyl der Ma¬
gyaren, kann sich in seiner Vereinzelung nicht lange mehr halten. Ob damit die
Charte vom 4. März für Ungarn anwendbar wird, steht dennoch sehr in Frage;
vielmehr läßt die Wendung, welche das Cabinet in der deutschen Angelegenheit
genommen hat, so wie der mächtige Einfluß des russischen Alliirten erwarten, daß
irgend ein Compromiß zu Stande kommt, der Ungarn, vielleicht mit Abtretung
der slavischen Comitate und Siebenbürgens eine eigene Verfassung gibt, die con-
servativer ist, als die absolutistisch-revolutionäre des Cabinets. — Wir wenden
uns nun nach Italien.

Den 14. März 1849 überbrachte ein piemontesischer Offizier die Aufkündigung
des Waffenstillstandes und gleichzeitig begab sich Carl Albert ins Hauptquartier
zu Alessandria. Mit der gesammten Truppenmacht, ohne irgend eine erhebliche
Besatzung zurückzulassen, brach Feldmarschall Radetzki von Mailand auf, überschritt
den Gravellone (20. März), schlug die piemontestsche Vorhut bei Mortara (21. März)
und vernichtete die feindliche Armee in dem glänzenden Siege bei Novara (23. März).
Noch in derselben Nacht legte Carl Albert seine Krone zu Gunsten seines Sohnes
Victor Eman u el nieder und entfloh nach Oporto, wo er (28. Juli) starb. Mit
dem neuen König wurde den 26. März ein Waffenstillstand abgeschlossen und bald
darauf (7. April) zu Mailand dnrch den Minister Brück die Friedensunterhand-
lungen eröffnet, die (24. April) wegen der eigenmächtigen Besetzung AlessaudriaS


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/453>, abgerufen am 05.02.2025.