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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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thums ergreifen, und ihr werdet sehen, wie jene posenschen Bauern, jene eassn-
bischen und oberschlesischen Söldner, an deren Lauheit die blutige Erhebung des
vorigen Jahres scheiterte, auf einmal ganz Feuer und Flamme werde", und alle
eure Robot- und Zehntenablösung, alle eure unparteiische Justiz und eure sorg¬
same Administration vergessen, über den einzigen Schrei "Tod den Wienern."

Es gibt also kein anderes Vertheidigungsmittel als eine Beseitigung dieser
Feinde im voraus, d. h. mit andern Worten eine durchgreifende Germanisirung
jener Gegenden. Nicht nationaler Fanatismus, nicht maßlose Eroberungssucht,
sondern eine nüchterne, kaltverstäudige Erwägung der Thatsachen und die bloße
Nothwehr führen zu diesem Resultate, das die Maxime jedes deutscheu oder preu¬
ßischen Staatsmannes sein muß. Bei dem vorläufigen gänzlichen Mangel an sol¬
chen hat glücklicherweise der Vvlksiustinkt diese Aufgabe selbst übernommen und sie
in dem slavischen Westpreußen und Posen wenigstens thetlweise schon entweder ge¬
löst oder der Lösung nahe gebracht. Aber der Vvlksiustinkt allein kann nie eine
große cultu historische Aufgabe genügend lösen, dazu bedarf es immer der mit
vollem und reifem Bewußtsein eingreifenden und nachhelfenden Hand des Staats¬
mannes, und es wäre auch in dieser Beziehung für Preußen und Deutschland hohe
Zeit, wen" sich eine solche baldigst der Leitung des Staates annähme.

Aehnlich ist es in Oberschlesten. Wer Schlesiens commercielle und industrielle
Lage kennt, weiß, daß gerade jene von dem classischen Geblüte der Kiolbassas
und Michel Mrvsse bewohnten sogenannten Wasserpollackischen Gegenden noch einer
unendlich reichen Culturentwicklung sähig sind. Dort sind unermeßliche Wälder und
Kohlenlager und große Metallschätze, so wie ein für den Ackerbau sehr geeigneter
Boden. Es ist ein Land, das bei einigermaßen verständiger und großartiger
Handelspolitik für Deutschland eine Art Belgien werden kann. Bis jetzt befindet
sich dort freilich alles noch in den ersten Entwicklungsstadien. Sollten wir solche
Schätze, an denen wahrlich in Deutschland kein Ueberfluß ist, und dazu den be¬
sten Raum für eine innere Kolonisation den Sarmaren oder Russen überlassen, oder,
bei cuicm zukünftigen Zusammenstoß es dem Belieben der dort wohnenden Halb¬
barbaren anheimstellen, ob sie unsere großen Etablissements vernichten, unsere
Eisenbahnen zerstören, unsere Oder sperren wollen?

Dagegen wäre es im höchsten Grade abgeschmackt, wenn wir den Bewohnern
der slavischen Sprachinsel, die sich mitten im deutschen Gebiete innerhalb der säch-
sisiuen und preußischen Lausitz das Leben gefristet hat, nicht den Spaß gönnen
wollte", in einem barbarischen Patois zu Hause, auf der Straße, in Kirche und
Schule und allenfalls auch vor dem Amtmanne und dem Richter zu reden. Wenn
es ihnen Vergnügen macht, ihren Kindern anßer dem Deutschen, womit sie allein
in der Welr fortkommen können, auch noch jene starren und rohen Trümmer ihrer
Nationalsprache einzulernen, so mögen sie es immerhin haben. Diese zweihundert-
taufind künstliche und natürliche Wenden -- denn auch hier gibt es jene überall


thums ergreifen, und ihr werdet sehen, wie jene posenschen Bauern, jene eassn-
bischen und oberschlesischen Söldner, an deren Lauheit die blutige Erhebung des
vorigen Jahres scheiterte, auf einmal ganz Feuer und Flamme werde», und alle
eure Robot- und Zehntenablösung, alle eure unparteiische Justiz und eure sorg¬
same Administration vergessen, über den einzigen Schrei „Tod den Wienern."

Es gibt also kein anderes Vertheidigungsmittel als eine Beseitigung dieser
Feinde im voraus, d. h. mit andern Worten eine durchgreifende Germanisirung
jener Gegenden. Nicht nationaler Fanatismus, nicht maßlose Eroberungssucht,
sondern eine nüchterne, kaltverstäudige Erwägung der Thatsachen und die bloße
Nothwehr führen zu diesem Resultate, das die Maxime jedes deutscheu oder preu¬
ßischen Staatsmannes sein muß. Bei dem vorläufigen gänzlichen Mangel an sol¬
chen hat glücklicherweise der Vvlksiustinkt diese Aufgabe selbst übernommen und sie
in dem slavischen Westpreußen und Posen wenigstens thetlweise schon entweder ge¬
löst oder der Lösung nahe gebracht. Aber der Vvlksiustinkt allein kann nie eine
große cultu historische Aufgabe genügend lösen, dazu bedarf es immer der mit
vollem und reifem Bewußtsein eingreifenden und nachhelfenden Hand des Staats¬
mannes, und es wäre auch in dieser Beziehung für Preußen und Deutschland hohe
Zeit, wen» sich eine solche baldigst der Leitung des Staates annähme.

Aehnlich ist es in Oberschlesten. Wer Schlesiens commercielle und industrielle
Lage kennt, weiß, daß gerade jene von dem classischen Geblüte der Kiolbassas
und Michel Mrvsse bewohnten sogenannten Wasserpollackischen Gegenden noch einer
unendlich reichen Culturentwicklung sähig sind. Dort sind unermeßliche Wälder und
Kohlenlager und große Metallschätze, so wie ein für den Ackerbau sehr geeigneter
Boden. Es ist ein Land, das bei einigermaßen verständiger und großartiger
Handelspolitik für Deutschland eine Art Belgien werden kann. Bis jetzt befindet
sich dort freilich alles noch in den ersten Entwicklungsstadien. Sollten wir solche
Schätze, an denen wahrlich in Deutschland kein Ueberfluß ist, und dazu den be¬
sten Raum für eine innere Kolonisation den Sarmaren oder Russen überlassen, oder,
bei cuicm zukünftigen Zusammenstoß es dem Belieben der dort wohnenden Halb¬
barbaren anheimstellen, ob sie unsere großen Etablissements vernichten, unsere
Eisenbahnen zerstören, unsere Oder sperren wollen?

Dagegen wäre es im höchsten Grade abgeschmackt, wenn wir den Bewohnern
der slavischen Sprachinsel, die sich mitten im deutschen Gebiete innerhalb der säch-
sisiuen und preußischen Lausitz das Leben gefristet hat, nicht den Spaß gönnen
wollte», in einem barbarischen Patois zu Hause, auf der Straße, in Kirche und
Schule und allenfalls auch vor dem Amtmanne und dem Richter zu reden. Wenn
es ihnen Vergnügen macht, ihren Kindern anßer dem Deutschen, womit sie allein
in der Welr fortkommen können, auch noch jene starren und rohen Trümmer ihrer
Nationalsprache einzulernen, so mögen sie es immerhin haben. Diese zweihundert-
taufind künstliche und natürliche Wenden — denn auch hier gibt es jene überall


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[0418] thums ergreifen, und ihr werdet sehen, wie jene posenschen Bauern, jene eassn- bischen und oberschlesischen Söldner, an deren Lauheit die blutige Erhebung des vorigen Jahres scheiterte, auf einmal ganz Feuer und Flamme werde», und alle eure Robot- und Zehntenablösung, alle eure unparteiische Justiz und eure sorg¬ same Administration vergessen, über den einzigen Schrei „Tod den Wienern." Es gibt also kein anderes Vertheidigungsmittel als eine Beseitigung dieser Feinde im voraus, d. h. mit andern Worten eine durchgreifende Germanisirung jener Gegenden. Nicht nationaler Fanatismus, nicht maßlose Eroberungssucht, sondern eine nüchterne, kaltverstäudige Erwägung der Thatsachen und die bloße Nothwehr führen zu diesem Resultate, das die Maxime jedes deutscheu oder preu¬ ßischen Staatsmannes sein muß. Bei dem vorläufigen gänzlichen Mangel an sol¬ chen hat glücklicherweise der Vvlksiustinkt diese Aufgabe selbst übernommen und sie in dem slavischen Westpreußen und Posen wenigstens thetlweise schon entweder ge¬ löst oder der Lösung nahe gebracht. Aber der Vvlksiustinkt allein kann nie eine große cultu historische Aufgabe genügend lösen, dazu bedarf es immer der mit vollem und reifem Bewußtsein eingreifenden und nachhelfenden Hand des Staats¬ mannes, und es wäre auch in dieser Beziehung für Preußen und Deutschland hohe Zeit, wen» sich eine solche baldigst der Leitung des Staates annähme. Aehnlich ist es in Oberschlesten. Wer Schlesiens commercielle und industrielle Lage kennt, weiß, daß gerade jene von dem classischen Geblüte der Kiolbassas und Michel Mrvsse bewohnten sogenannten Wasserpollackischen Gegenden noch einer unendlich reichen Culturentwicklung sähig sind. Dort sind unermeßliche Wälder und Kohlenlager und große Metallschätze, so wie ein für den Ackerbau sehr geeigneter Boden. Es ist ein Land, das bei einigermaßen verständiger und großartiger Handelspolitik für Deutschland eine Art Belgien werden kann. Bis jetzt befindet sich dort freilich alles noch in den ersten Entwicklungsstadien. Sollten wir solche Schätze, an denen wahrlich in Deutschland kein Ueberfluß ist, und dazu den be¬ sten Raum für eine innere Kolonisation den Sarmaren oder Russen überlassen, oder, bei cuicm zukünftigen Zusammenstoß es dem Belieben der dort wohnenden Halb¬ barbaren anheimstellen, ob sie unsere großen Etablissements vernichten, unsere Eisenbahnen zerstören, unsere Oder sperren wollen? Dagegen wäre es im höchsten Grade abgeschmackt, wenn wir den Bewohnern der slavischen Sprachinsel, die sich mitten im deutschen Gebiete innerhalb der säch- sisiuen und preußischen Lausitz das Leben gefristet hat, nicht den Spaß gönnen wollte», in einem barbarischen Patois zu Hause, auf der Straße, in Kirche und Schule und allenfalls auch vor dem Amtmanne und dem Richter zu reden. Wenn es ihnen Vergnügen macht, ihren Kindern anßer dem Deutschen, womit sie allein in der Welr fortkommen können, auch noch jene starren und rohen Trümmer ihrer Nationalsprache einzulernen, so mögen sie es immerhin haben. Diese zweihundert- taufind künstliche und natürliche Wenden — denn auch hier gibt es jene überall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/418>, abgerufen am 05.02.2025.