Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wie Frankreich und England werden allen Theorien zum Trotz die letzten Gründe
der politischen Erscheinungen zum großen Theil auf diesem Gebiete suchen müssen.
Das nächste Postulat dieser Anschauungsweise ist die Erzielung einer vollständi¬
gen Centralisation. Wir finden also die "Presse" auf dem Wahlplatz in den Rei¬
hen der Kämpfer für unbedingte Centralisation. Ob nun dieses Beginnen, und
mit ihm das ganze nationalökonomische Gebäude der "Presse" auch -bei uns ein
wahrhaft praktisches ist, ob namentlich die Mittel, welche sie für den Bau vor¬
schlägt ehrbar und zweckmäßig sind, wird ein großer Theil ihrer Leser sehr
bezweifeln.

Nach dem October vorigen Jahres war die "Presse" das Organ des Hrn.
von Stadion. Dieser Staatsmann scheint in seinen vor- und nachmärzlichen Be¬
strebungen die Negierungsthätigkeit des Kaiser Joseph mit einigen zeitgemäßen
Schnörkeln vor Augen gehabt zu haben. Sein Streben war gewiß ehrlich, allein
die Reaction ging über ihn weg. Man sagt, und es hat die größte Wahrschein¬
lichkeit für sich, daß er seinen Posten in dem Augenblick verließ, als die russische
Intervention wider seinen Willen im Cabinet durchgesetzt war. Er mochte fühlen,
daß nun seine Pläne für Oestreichs Wohlstand und Kraft zu nichte würden, und
daß seine ganze Politik ihren Halt und Werth verloren. Wir sind zwar der
Ueberzeugung, daß die russische Intervention nach den taktlosen Maneuvres des
Fürsten Windischgrätz eine unvermeidliche Folge der Centralisationsbestrebungen
war, denn wir sehen, die Unzufriedenheit der übrigen Provinzen ungerechnet, wel¬
cher Aufwand von Macht erforderlich war, den ungarischen Aufstand bei der kur¬
zen Zeit, welche seinen Häuptern zur Organisirung gegönnt war, niederzudrücken.
Wäre sie aber nicht nöthig gewesen, so hätte allerdings die Politik des Grafen Stadion
viele Chancen des Neussirens gehabt. Denn unter dieser Voraussetzung hätte der
östreichische Staat Kraft genug besessen, nach innen und nach außen seine national-
ökonomischen Interessen zu wahren. Diese Kraft wäre zugleich das Resultat und
der Beweis der Thatsache gewesen, daß die Negierung eine constitutionelle und
auf ihrer Seite, den stolzen Magyarenadel ausgenommen, die Mehrheit der öst¬
reichischen Bevölkerung stehe. Daß sich aber die Negierung diese Kraft nicht zu¬
traute, und nicht zutrauen konnte, würde schon an sich, ohne andere Gründe den
Beweis liefern, daß sie auf die Unterstützung im Volk nur wenig rechnen kann.
Doch gleichviel -- der Minister Stadion trat ab, als er einsah, daß seine Poli¬
tik unmöglich wurde. Die "Presse" aber trat nicht ab.

Die Thatsache der russischen Intervention fällt freilich nicht der "Presse" zur
Last, allein sie sollte begreifen, daß ihre Politik von früher in keinem Fall mehr
"praktisch" ist. Denn bei der bekannten Richtung der russischen Politik, läßt sich
kaum erwarten, daß Kaiser Nikolaus auf die Theorie der "Presse" bezüglich des
Donaubeckens viel Rücksicht nehmen wird. Er betrachtet vielmehr die Centrali¬
sation als gutes Mittel, die Unzufriedenheit im Innern, welcher nun kein über-


wie Frankreich und England werden allen Theorien zum Trotz die letzten Gründe
der politischen Erscheinungen zum großen Theil auf diesem Gebiete suchen müssen.
Das nächste Postulat dieser Anschauungsweise ist die Erzielung einer vollständi¬
gen Centralisation. Wir finden also die „Presse" auf dem Wahlplatz in den Rei¬
hen der Kämpfer für unbedingte Centralisation. Ob nun dieses Beginnen, und
mit ihm das ganze nationalökonomische Gebäude der „Presse" auch -bei uns ein
wahrhaft praktisches ist, ob namentlich die Mittel, welche sie für den Bau vor¬
schlägt ehrbar und zweckmäßig sind, wird ein großer Theil ihrer Leser sehr
bezweifeln.

Nach dem October vorigen Jahres war die „Presse" das Organ des Hrn.
von Stadion. Dieser Staatsmann scheint in seinen vor- und nachmärzlichen Be¬
strebungen die Negierungsthätigkeit des Kaiser Joseph mit einigen zeitgemäßen
Schnörkeln vor Augen gehabt zu haben. Sein Streben war gewiß ehrlich, allein
die Reaction ging über ihn weg. Man sagt, und es hat die größte Wahrschein¬
lichkeit für sich, daß er seinen Posten in dem Augenblick verließ, als die russische
Intervention wider seinen Willen im Cabinet durchgesetzt war. Er mochte fühlen,
daß nun seine Pläne für Oestreichs Wohlstand und Kraft zu nichte würden, und
daß seine ganze Politik ihren Halt und Werth verloren. Wir sind zwar der
Ueberzeugung, daß die russische Intervention nach den taktlosen Maneuvres des
Fürsten Windischgrätz eine unvermeidliche Folge der Centralisationsbestrebungen
war, denn wir sehen, die Unzufriedenheit der übrigen Provinzen ungerechnet, wel¬
cher Aufwand von Macht erforderlich war, den ungarischen Aufstand bei der kur¬
zen Zeit, welche seinen Häuptern zur Organisirung gegönnt war, niederzudrücken.
Wäre sie aber nicht nöthig gewesen, so hätte allerdings die Politik des Grafen Stadion
viele Chancen des Neussirens gehabt. Denn unter dieser Voraussetzung hätte der
östreichische Staat Kraft genug besessen, nach innen und nach außen seine national-
ökonomischen Interessen zu wahren. Diese Kraft wäre zugleich das Resultat und
der Beweis der Thatsache gewesen, daß die Negierung eine constitutionelle und
auf ihrer Seite, den stolzen Magyarenadel ausgenommen, die Mehrheit der öst¬
reichischen Bevölkerung stehe. Daß sich aber die Negierung diese Kraft nicht zu¬
traute, und nicht zutrauen konnte, würde schon an sich, ohne andere Gründe den
Beweis liefern, daß sie auf die Unterstützung im Volk nur wenig rechnen kann.
Doch gleichviel — der Minister Stadion trat ab, als er einsah, daß seine Poli¬
tik unmöglich wurde. Die „Presse" aber trat nicht ab.

Die Thatsache der russischen Intervention fällt freilich nicht der „Presse" zur
Last, allein sie sollte begreifen, daß ihre Politik von früher in keinem Fall mehr
„praktisch" ist. Denn bei der bekannten Richtung der russischen Politik, läßt sich
kaum erwarten, daß Kaiser Nikolaus auf die Theorie der „Presse" bezüglich des
Donaubeckens viel Rücksicht nehmen wird. Er betrachtet vielmehr die Centrali¬
sation als gutes Mittel, die Unzufriedenheit im Innern, welcher nun kein über-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279412"/>
          <p xml:id="ID_1297" prev="#ID_1296"> wie Frankreich und England werden allen Theorien zum Trotz die letzten Gründe<lb/>
der politischen Erscheinungen zum großen Theil auf diesem Gebiete suchen müssen.<lb/>
Das nächste Postulat dieser Anschauungsweise ist die Erzielung einer vollständi¬<lb/>
gen Centralisation. Wir finden also die &#x201E;Presse" auf dem Wahlplatz in den Rei¬<lb/>
hen der Kämpfer für unbedingte Centralisation. Ob nun dieses Beginnen, und<lb/>
mit ihm das ganze nationalökonomische Gebäude der &#x201E;Presse" auch -bei uns ein<lb/>
wahrhaft praktisches ist, ob namentlich die Mittel, welche sie für den Bau vor¬<lb/>
schlägt ehrbar und zweckmäßig sind, wird ein großer Theil ihrer Leser sehr<lb/>
bezweifeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1298"> Nach dem October vorigen Jahres war die &#x201E;Presse" das Organ des Hrn.<lb/>
von Stadion. Dieser Staatsmann scheint in seinen vor- und nachmärzlichen Be¬<lb/>
strebungen die Negierungsthätigkeit des Kaiser Joseph mit einigen zeitgemäßen<lb/>
Schnörkeln vor Augen gehabt zu haben. Sein Streben war gewiß ehrlich, allein<lb/>
die Reaction ging über ihn weg. Man sagt, und es hat die größte Wahrschein¬<lb/>
lichkeit für sich, daß er seinen Posten in dem Augenblick verließ, als die russische<lb/>
Intervention wider seinen Willen im Cabinet durchgesetzt war. Er mochte fühlen,<lb/>
daß nun seine Pläne für Oestreichs Wohlstand und Kraft zu nichte würden, und<lb/>
daß seine ganze Politik ihren Halt und Werth verloren. Wir sind zwar der<lb/>
Ueberzeugung, daß die russische Intervention nach den taktlosen Maneuvres des<lb/>
Fürsten Windischgrätz eine unvermeidliche Folge der Centralisationsbestrebungen<lb/>
war, denn wir sehen, die Unzufriedenheit der übrigen Provinzen ungerechnet, wel¬<lb/>
cher Aufwand von Macht erforderlich war, den ungarischen Aufstand bei der kur¬<lb/>
zen Zeit, welche seinen Häuptern zur Organisirung gegönnt war, niederzudrücken.<lb/>
Wäre sie aber nicht nöthig gewesen, so hätte allerdings die Politik des Grafen Stadion<lb/>
viele Chancen des Neussirens gehabt. Denn unter dieser Voraussetzung hätte der<lb/>
östreichische Staat Kraft genug besessen, nach innen und nach außen seine national-<lb/>
ökonomischen Interessen zu wahren. Diese Kraft wäre zugleich das Resultat und<lb/>
der Beweis der Thatsache gewesen, daß die Negierung eine constitutionelle und<lb/>
auf ihrer Seite, den stolzen Magyarenadel ausgenommen, die Mehrheit der öst¬<lb/>
reichischen Bevölkerung stehe. Daß sich aber die Negierung diese Kraft nicht zu¬<lb/>
traute, und nicht zutrauen konnte, würde schon an sich, ohne andere Gründe den<lb/>
Beweis liefern, daß sie auf die Unterstützung im Volk nur wenig rechnen kann.<lb/>
Doch gleichviel &#x2014; der Minister Stadion trat ab, als er einsah, daß seine Poli¬<lb/>
tik unmöglich wurde. Die &#x201E;Presse" aber trat nicht ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1299" next="#ID_1300"> Die Thatsache der russischen Intervention fällt freilich nicht der &#x201E;Presse" zur<lb/>
Last, allein sie sollte begreifen, daß ihre Politik von früher in keinem Fall mehr<lb/>
&#x201E;praktisch" ist. Denn bei der bekannten Richtung der russischen Politik, läßt sich<lb/>
kaum erwarten, daß Kaiser Nikolaus auf die Theorie der &#x201E;Presse" bezüglich des<lb/>
Donaubeckens viel Rücksicht nehmen wird. Er betrachtet vielmehr die Centrali¬<lb/>
sation als gutes Mittel, die Unzufriedenheit im Innern, welcher nun kein über-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0386] wie Frankreich und England werden allen Theorien zum Trotz die letzten Gründe der politischen Erscheinungen zum großen Theil auf diesem Gebiete suchen müssen. Das nächste Postulat dieser Anschauungsweise ist die Erzielung einer vollständi¬ gen Centralisation. Wir finden also die „Presse" auf dem Wahlplatz in den Rei¬ hen der Kämpfer für unbedingte Centralisation. Ob nun dieses Beginnen, und mit ihm das ganze nationalökonomische Gebäude der „Presse" auch -bei uns ein wahrhaft praktisches ist, ob namentlich die Mittel, welche sie für den Bau vor¬ schlägt ehrbar und zweckmäßig sind, wird ein großer Theil ihrer Leser sehr bezweifeln. Nach dem October vorigen Jahres war die „Presse" das Organ des Hrn. von Stadion. Dieser Staatsmann scheint in seinen vor- und nachmärzlichen Be¬ strebungen die Negierungsthätigkeit des Kaiser Joseph mit einigen zeitgemäßen Schnörkeln vor Augen gehabt zu haben. Sein Streben war gewiß ehrlich, allein die Reaction ging über ihn weg. Man sagt, und es hat die größte Wahrschein¬ lichkeit für sich, daß er seinen Posten in dem Augenblick verließ, als die russische Intervention wider seinen Willen im Cabinet durchgesetzt war. Er mochte fühlen, daß nun seine Pläne für Oestreichs Wohlstand und Kraft zu nichte würden, und daß seine ganze Politik ihren Halt und Werth verloren. Wir sind zwar der Ueberzeugung, daß die russische Intervention nach den taktlosen Maneuvres des Fürsten Windischgrätz eine unvermeidliche Folge der Centralisationsbestrebungen war, denn wir sehen, die Unzufriedenheit der übrigen Provinzen ungerechnet, wel¬ cher Aufwand von Macht erforderlich war, den ungarischen Aufstand bei der kur¬ zen Zeit, welche seinen Häuptern zur Organisirung gegönnt war, niederzudrücken. Wäre sie aber nicht nöthig gewesen, so hätte allerdings die Politik des Grafen Stadion viele Chancen des Neussirens gehabt. Denn unter dieser Voraussetzung hätte der östreichische Staat Kraft genug besessen, nach innen und nach außen seine national- ökonomischen Interessen zu wahren. Diese Kraft wäre zugleich das Resultat und der Beweis der Thatsache gewesen, daß die Negierung eine constitutionelle und auf ihrer Seite, den stolzen Magyarenadel ausgenommen, die Mehrheit der öst¬ reichischen Bevölkerung stehe. Daß sich aber die Negierung diese Kraft nicht zu¬ traute, und nicht zutrauen konnte, würde schon an sich, ohne andere Gründe den Beweis liefern, daß sie auf die Unterstützung im Volk nur wenig rechnen kann. Doch gleichviel — der Minister Stadion trat ab, als er einsah, daß seine Poli¬ tik unmöglich wurde. Die „Presse" aber trat nicht ab. Die Thatsache der russischen Intervention fällt freilich nicht der „Presse" zur Last, allein sie sollte begreifen, daß ihre Politik von früher in keinem Fall mehr „praktisch" ist. Denn bei der bekannten Richtung der russischen Politik, läßt sich kaum erwarten, daß Kaiser Nikolaus auf die Theorie der „Presse" bezüglich des Donaubeckens viel Rücksicht nehmen wird. Er betrachtet vielmehr die Centrali¬ sation als gutes Mittel, die Unzufriedenheit im Innern, welcher nun kein über-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/386
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/386>, abgerufen am 10.02.2025.