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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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ungenannten Zahlen, und verloren den Werth derselben, die Culturstufe der Völker
aus den Augen.

Wohl rühmten sie sich eines praktischen Blickes und Griffes, der sich nicht
mit Pedanterien und Theoremen wie der Deutsche abgäbe, sie überlegten und be¬
rechneten Alles klug voraus, und dennoch war ihr Facit falsch; nicht etwa, weil
sie schlecht addirt hatten, sondern weil ihr Ansatz schlecht war. So griffen und
folgten hier Fehler und Leidenschaften in- und auseinander und stellten die czechi-
sche Nation als compakte Phalanx der Regierung an die Seite, um die Gegner der
letztern zu bekämpfen und zu bezwinge.,. Da hierin die Pläne der Hofpartei mit
denen der Czechen Hand in Hand gingen, so stieß ein solches Bündniß auf keinerlei
Schwierigkeiten.

Es klingt aber wie Ironie, wenn man uns die Loyalität der Czechen vor¬
führt, weil ihr Wahlspruch ein "großes, freies, einiges Oestreich" war. Deutsche
und Magyaren erschienen ihnen nur als Treibhauspflanzen, die in Oestreich exo¬
tisch wären; daher der Uebermuth und der Spott, deu diese Nationen von ihnen
zu erfahren hatten.

Durch alle diese Mißverhältnisse sowohl im Charakter als in der politischen
Anschauungsweise der Czechen geschah es, daß ihr Ideal, das Föderationssystem,
eines slavischen Oestreichs in Trümmern zerfiel. Wie dieses geschah, ist bekannt,
zur Zeit des constituirenden Reichstags, durch Schuld der Czechen. -- Jetzt,
wo wir die Nachwehen tief empfinde", wo der Staat auf einem Zerrbild von
Verfassung gebant wird, und nach Besiegung der angefeindeten Stämme auch die
Slaven und die Czechen sich getäuscht sehen, jetzt klirren sie freilich scheu mit den
Ketten, knirrschen erbittert mit den Zähnen, aber ob sie klüger geworden sind?

Zum 19. Geburtstage unseres Kaisers wurden in Prag, wie in jeder ehr¬
samen Stadt große Festlichkeiten vorbereitet. Ich hatte unter andern von einer
Neichskrone etwas munkeln gehört, welche der Director der hiesigen Gasanstalt
am Altane des Rathhauses in 1000 Gasflammen darstellen wollte, weil auch die
ganze Stadt beleuchtet werden sollte. Menschenmassen stehen an allen Plätzen ge¬
drängt beisammen, da erscheint in der Dämmerung die telegraphische Depesche
von Görgey's Kapitulation an den Ecken. -- Der Psychologe hätte da wahrlich
reichlichen Stoff zu den tiefsten Forschungen gefunden. Man sah kaum Ein An¬
gesicht, das nach der Lesung der Depesche seine frühere Miene behalten hätte.
Und welche Aeußerungen hörte man da mitunter! Der Lithograph Hennig, das
Prototyp unserer deutschen Gutgesinntenznust, rief verzückt: "Hoch das Ministe¬
rium! Nieder mit Palmerston! Nieder mit der Londoner City!" Ein reicher Jude
wiederholte neben mir mit besonderem Wohlgefallen den Haynau'schen Fluch "Re¬
bellenhäuptling" wohl ein Dutzeudmal. Die czechisch-nationalen Patrioten hin¬
gegen machten lange Gesichter, an denen die erzwungene Heiterkeit, wenn sie mit
einem psauenartig aufgeblasenen Gutgesinnten sprachen, leicht zu erkennen war,


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ungenannten Zahlen, und verloren den Werth derselben, die Culturstufe der Völker
aus den Augen.

Wohl rühmten sie sich eines praktischen Blickes und Griffes, der sich nicht
mit Pedanterien und Theoremen wie der Deutsche abgäbe, sie überlegten und be¬
rechneten Alles klug voraus, und dennoch war ihr Facit falsch; nicht etwa, weil
sie schlecht addirt hatten, sondern weil ihr Ansatz schlecht war. So griffen und
folgten hier Fehler und Leidenschaften in- und auseinander und stellten die czechi-
sche Nation als compakte Phalanx der Regierung an die Seite, um die Gegner der
letztern zu bekämpfen und zu bezwinge.,. Da hierin die Pläne der Hofpartei mit
denen der Czechen Hand in Hand gingen, so stieß ein solches Bündniß auf keinerlei
Schwierigkeiten.

Es klingt aber wie Ironie, wenn man uns die Loyalität der Czechen vor¬
führt, weil ihr Wahlspruch ein „großes, freies, einiges Oestreich" war. Deutsche
und Magyaren erschienen ihnen nur als Treibhauspflanzen, die in Oestreich exo¬
tisch wären; daher der Uebermuth und der Spott, deu diese Nationen von ihnen
zu erfahren hatten.

Durch alle diese Mißverhältnisse sowohl im Charakter als in der politischen
Anschauungsweise der Czechen geschah es, daß ihr Ideal, das Föderationssystem,
eines slavischen Oestreichs in Trümmern zerfiel. Wie dieses geschah, ist bekannt,
zur Zeit des constituirenden Reichstags, durch Schuld der Czechen. — Jetzt,
wo wir die Nachwehen tief empfinde», wo der Staat auf einem Zerrbild von
Verfassung gebant wird, und nach Besiegung der angefeindeten Stämme auch die
Slaven und die Czechen sich getäuscht sehen, jetzt klirren sie freilich scheu mit den
Ketten, knirrschen erbittert mit den Zähnen, aber ob sie klüger geworden sind?

Zum 19. Geburtstage unseres Kaisers wurden in Prag, wie in jeder ehr¬
samen Stadt große Festlichkeiten vorbereitet. Ich hatte unter andern von einer
Neichskrone etwas munkeln gehört, welche der Director der hiesigen Gasanstalt
am Altane des Rathhauses in 1000 Gasflammen darstellen wollte, weil auch die
ganze Stadt beleuchtet werden sollte. Menschenmassen stehen an allen Plätzen ge¬
drängt beisammen, da erscheint in der Dämmerung die telegraphische Depesche
von Görgey's Kapitulation an den Ecken. — Der Psychologe hätte da wahrlich
reichlichen Stoff zu den tiefsten Forschungen gefunden. Man sah kaum Ein An¬
gesicht, das nach der Lesung der Depesche seine frühere Miene behalten hätte.
Und welche Aeußerungen hörte man da mitunter! Der Lithograph Hennig, das
Prototyp unserer deutschen Gutgesinntenznust, rief verzückt: „Hoch das Ministe¬
rium! Nieder mit Palmerston! Nieder mit der Londoner City!" Ein reicher Jude
wiederholte neben mir mit besonderem Wohlgefallen den Haynau'schen Fluch „Re¬
bellenhäuptling" wohl ein Dutzeudmal. Die czechisch-nationalen Patrioten hin¬
gegen machten lange Gesichter, an denen die erzwungene Heiterkeit, wenn sie mit
einem psauenartig aufgeblasenen Gutgesinnten sprachen, leicht zu erkennen war,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/379>, abgerufen am 05.02.2025.