Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.von seiner unermüdlichen Hand dem Bauernknaben so viel Kirchenzucht beigebracht, So kam es denn, daß die Provinz, welche die Natur mit seltnen Reichthü¬ Man hat der preußischen Regierung hänfig den Vorwurf des Zuvielrcgierens von seiner unermüdlichen Hand dem Bauernknaben so viel Kirchenzucht beigebracht, So kam es denn, daß die Provinz, welche die Natur mit seltnen Reichthü¬ Man hat der preußischen Regierung hänfig den Vorwurf des Zuvielrcgierens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279400"/> <p xml:id="ID_1252" prev="#ID_1251"> von seiner unermüdlichen Hand dem Bauernknaben so viel Kirchenzucht beigebracht,<lb/> als irgend möglich; aber vom Bau und Leben der Pflanzen und Thiere, mit denen<lb/> er künstig verkehren, von den Wirkungen der Arbeit durch die er künftig sein Brot<lb/> verdienen, von dem Wesen des Staates, dessen Bürger er werden, den er mit<lb/> Gut und Leben vertheidigen sollte, von dem Allen konnte der Knabe in der<lb/> Schule nichts lernen, denn von all diesen Dingen wußte sein Lehrer so wenig<lb/> wie er. Wohl lehrte man die armen Jungen lesen nach schönen pädagogischen<lb/> Regeln, aber durch das Gelesene sich zu belehren, das Denk- und Fassungsver¬<lb/> mögen zu schärfen, das lernte in unsern Dorfschule» unter Tausenden nicht einer!<lb/> „Wozu soll der Bauer Bücher lesen? das macht ihn nur unzufrieden mit seiner<lb/> Lage, und verleidet ihm die Arbeit!" Die neueste Zeit hat streng gerichtet! der<lb/> Bauer lernte wirklich nicht lesen, noch weniger das Gelesene verstehen, aber zu¬<lb/> friedener mit seinem Loose wurde er auch uicht. Vielmehr machte ihn die Unzu¬<lb/> friedenheit mit seiner Lage zur leichten Beute des nächsten Gauklers, dem er so<lb/> gern glaubte, weil er so sehr wenig wußte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1253"> So kam es denn, daß die Provinz, welche die Natur mit seltnen Reichthü¬<lb/> mern ausgestattet hatte, deren Bevölkerung bis auf 3 Millionen gestiegen war,<lb/> auf dem Gebiete der Landwirthschaft, mit. Ausnahme eines einzigen Zweiges, der<lb/> zur noblen Passion erhobnen Schafzucht, fast unverändert auf der Kulturstufe<lb/> verharrte, die sie bereits vor 50 Jahren, eingenommen hatte, und daß die länd¬<lb/> liche Bevölkerung derselben, welche 3 oder 4 mal so zahlreich als die städtische<lb/> ist, sich in zwei große feindliche Heerlager spaltete, von denen das eine mit un-<lb/> glaublicher Zähigkeit das formale Recht der Vorzeit vertheidigte, während das<lb/> andre im Kampfe gegen oft eingebildete Bedrückung, die durch Aufhebung der<lb/> Erbuuterthäuigkeit, durch Ablösung der Realdienste frei gewordenen Kräfte nicht<lb/> zu nutzen verstand. Beide Parteien aber konnten die Vorzeit nicht vergessen, denn<lb/> sie hatten die Gegenwart nicht begriffen! —</p><lb/> <p xml:id="ID_1254" next="#ID_1255"> Man hat der preußischen Regierung hänfig den Vorwurf des Zuvielrcgierens<lb/> gemacht; in der Landwirthschaft aber kann sie ein solcher Vorwurf nicht treffen.<lb/> Seit Friedrich II. hatte derselben kein preußischer Regent eine besondre Aufmerk¬<lb/> samkeit geschenkt; bei der Centralverwaltung war.sie unvertreten, und wenn bei<lb/> der Reorganisation der preußischen Behörden im Jahr l8I2 an die Herbeiziehung<lb/> praktischer Landwirthe zu deu Verwaltungsbehörden gedacht wurde, so kam diese<lb/> Idee doch, so viel wir wissen, nirgends zur Ausführung, ja selbst die G?neral-<lb/> commission, welche beim Beginn ihrer Wirksamkeit einige praktische Oekonomen<lb/> angestellt hatte, fand es bald bequemer, sie nach und nach dnrch Juristen ^«.er¬<lb/> setzen, von denen sie höchstens verlangte, daß sie, um mit den Worten des^Schle-<lb/> sischen Landschaftsreglements zu reden — „eine landwirthschaftliche Teinture sich<lb/> aneigneten." Erst im Jahre 1835 gelang es dem verstorbenen Minister von Alten¬<lb/> stein, einen Theil des Fond der wenig besuchten Universität Greifswald einer</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0374]
von seiner unermüdlichen Hand dem Bauernknaben so viel Kirchenzucht beigebracht,
als irgend möglich; aber vom Bau und Leben der Pflanzen und Thiere, mit denen
er künstig verkehren, von den Wirkungen der Arbeit durch die er künftig sein Brot
verdienen, von dem Wesen des Staates, dessen Bürger er werden, den er mit
Gut und Leben vertheidigen sollte, von dem Allen konnte der Knabe in der
Schule nichts lernen, denn von all diesen Dingen wußte sein Lehrer so wenig
wie er. Wohl lehrte man die armen Jungen lesen nach schönen pädagogischen
Regeln, aber durch das Gelesene sich zu belehren, das Denk- und Fassungsver¬
mögen zu schärfen, das lernte in unsern Dorfschule» unter Tausenden nicht einer!
„Wozu soll der Bauer Bücher lesen? das macht ihn nur unzufrieden mit seiner
Lage, und verleidet ihm die Arbeit!" Die neueste Zeit hat streng gerichtet! der
Bauer lernte wirklich nicht lesen, noch weniger das Gelesene verstehen, aber zu¬
friedener mit seinem Loose wurde er auch uicht. Vielmehr machte ihn die Unzu¬
friedenheit mit seiner Lage zur leichten Beute des nächsten Gauklers, dem er so
gern glaubte, weil er so sehr wenig wußte.
So kam es denn, daß die Provinz, welche die Natur mit seltnen Reichthü¬
mern ausgestattet hatte, deren Bevölkerung bis auf 3 Millionen gestiegen war,
auf dem Gebiete der Landwirthschaft, mit. Ausnahme eines einzigen Zweiges, der
zur noblen Passion erhobnen Schafzucht, fast unverändert auf der Kulturstufe
verharrte, die sie bereits vor 50 Jahren, eingenommen hatte, und daß die länd¬
liche Bevölkerung derselben, welche 3 oder 4 mal so zahlreich als die städtische
ist, sich in zwei große feindliche Heerlager spaltete, von denen das eine mit un-
glaublicher Zähigkeit das formale Recht der Vorzeit vertheidigte, während das
andre im Kampfe gegen oft eingebildete Bedrückung, die durch Aufhebung der
Erbuuterthäuigkeit, durch Ablösung der Realdienste frei gewordenen Kräfte nicht
zu nutzen verstand. Beide Parteien aber konnten die Vorzeit nicht vergessen, denn
sie hatten die Gegenwart nicht begriffen! —
Man hat der preußischen Regierung hänfig den Vorwurf des Zuvielrcgierens
gemacht; in der Landwirthschaft aber kann sie ein solcher Vorwurf nicht treffen.
Seit Friedrich II. hatte derselben kein preußischer Regent eine besondre Aufmerk¬
samkeit geschenkt; bei der Centralverwaltung war.sie unvertreten, und wenn bei
der Reorganisation der preußischen Behörden im Jahr l8I2 an die Herbeiziehung
praktischer Landwirthe zu deu Verwaltungsbehörden gedacht wurde, so kam diese
Idee doch, so viel wir wissen, nirgends zur Ausführung, ja selbst die G?neral-
commission, welche beim Beginn ihrer Wirksamkeit einige praktische Oekonomen
angestellt hatte, fand es bald bequemer, sie nach und nach dnrch Juristen ^«.er¬
setzen, von denen sie höchstens verlangte, daß sie, um mit den Worten des^Schle-
sischen Landschaftsreglements zu reden — „eine landwirthschaftliche Teinture sich
aneigneten." Erst im Jahre 1835 gelang es dem verstorbenen Minister von Alten¬
stein, einen Theil des Fond der wenig besuchten Universität Greifswald einer
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |