Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.Ländliche Zustände der Provinz Schlesien. I. Vor dem Jahr 1 848. Als Friedrich II. im Hubertsburger Frieden mit Schlesien dem Königreich Preußen Grenzboten. in. 1849. 47
Ländliche Zustände der Provinz Schlesien. I. Vor dem Jahr 1 848. Als Friedrich II. im Hubertsburger Frieden mit Schlesien dem Königreich Preußen Grenzboten. in. 1849. 47
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Ländliche Zustände der Provinz Schlesien.
I. Vor dem Jahr 1 848.
Als Friedrich II. im Hubertsburger Frieden mit Schlesien dem Königreich Preußen
einen Flächenraum von 742 Quadratmeilen hinzugefügt hatte, war die Provinz von
wenig mehr als 1 Million Einwohner bewohnt; Handel und Gewerbe lagen danieder,
den Zustand des Landes beschreibt der Eroberer selbst als einen traurigen. Der größere
Grundbesitz befand sich in den Händen eines verschuldeten, heruntergekommenen Adels,
der vom fürstlichen Standesherrn bis zum Dorfjuuker herab sich viel von dem Wesen
des famosen Hans von Schweinichen und alle Abstufungen feudaler Titel bewahrt
hatte. Das kleinere oder bäuerliche Grundeigenthum war im lassitischen Besitz
eines von Spann- und Handdiensten und den mannigfaltigsten Gutsabgaben ge¬
drückten Bauernstandes. Zwar hatte das Hörigkeitsverhältniß bereits die mildere
Form der Erbunterthänigkeit angenommen und drückte wenig in den Händen eines
wohlwollenden Grundherren, aber es öffnete dem Geiz, der Brutalität, dem
übertriebenen Diensteifer herrschaftlicher Rentbeamter Thor und Thür zu tausend
Plackereien. Rittergüter mit einem Areal von Tausenden von Morgen hielten oft
nicht ein Zugthier, außer etwa zum persönlichen Gebrauch, denn der Bauer mußte
nicht nur das Feld bestellen, die Producte verfahren u. s. w., sondern er mußte
auch den Gerichtshalter, den Arzt, oder wen sonst die Geschäfte des Grundherrn
aufs Land riefen, herbeiholen; mit seinem Gespann die Straßen bessern, Vor¬
spann leisten und gelegentlich auch wohl die Frau Amtmännin in die Kirche oder
sonst wohin fahren, kurzum zu jeder mit Recht oder Unrecht geforderten Dienst¬
leistung bereit sein, wollte er sich nicht die Ungnade seines Grundherrn, oder
was oft noch gefährlicher, eines seiner Satalliten zuziehen.' Neben einem in der
Regel nicht sehr beträchtlichen Erb- oder Grundzins hatte der Bauer dabei die
verschiedenartigsten Naturalien an die Gutsherrschaft zu liefern, die in späterer
Zeit fast sämmtlich in Geldbeträge umgewandelt, uns ein ziemlich treues Bild
eines grundherrlichen Hausstandes geben. Da wurden Eier, Hühner, Gänse,
von Fleischern ganze Schweineschultern, von Krämern Kolonialwaaren und der¬
gleichen geliefert, da mußten die Müller Jagdhunde füttern, ja wohl gar Schweine
mästen und oft daneben noch sehr beträchtliche Mühlenzinsen entrichten, die weib¬
liche Einwohnerschaft aber hatte die Verpflichtung, den auf herrschaftlichen Grund
und Boden im Schweiße ihres Angesichts erbauten Flachs zu verspinnen, um der
gnädigen Herrschaft das Material für ihren Bedarf an Wäsche oder zur Ausstat¬
tung der „Fräuleins" zu liefern.
Grenzboten. in. 1849. 47
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