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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Für die kirchlichen Verhältnisse hatte jener so triumphirend ausposaunte Sturz
Adels und der Ultramontanen allerdings keine nachhaltige Bedeutung, indessen ath¬
meten doch die bisher furchtbar geknechteten freieren Elemente in beiden Kirchen
, wieder etwas auf. In der katholischen Kirche war noch ein großer Theil der älte¬
ren Geistlichen aus der Schule der Aufklärungsperiode des vorigen Jahrhunderts,
die in Baiern wie gewöhnlich um ein Menschenalter später als im übrigen Deutsch¬
land angebrochen war. Vor dem finsterem Zelvtiömnö ihrer Bischöfe und ihrer
jüngeren College" hatten sie sich in den, letzten zwanzig Jahren ganz zurückgezo¬
gen, einige auch wohl es für passend gefunden, mit den Wölfen zu heulen. So
fiel es z. B. im Jahre 1845 einem siebzigjährigen Dechant in einer von Katho¬
liken und Protestanten bewohnten Stadt in Franken, der sein ganzes Leben lang
mit seinen andersgläubigen College" auf dem Lande und Nachbarn in der Stadt
im besten Vernehmen gestanden hatte, plötzlich ein, einem Lutheraner das ehrliche
Begräbniß ans dem Friedhofe des Orts, welcher früher ausschließlich katholisch
gewesen war, zu verweigern. Er und viele seiner Amtsbruder mögen sich zu
einem ähnlichen Benehmen mit schwerem Herzen verstanden haben, dessen waren
sie von nun an überhoben. Ebenso mäßigem sich die jüngeren wirklichen Zelo¬
ten doch überall sehr merklich; freilich bedurfte es hie und da eine nachdrückliche
Mahnung zum Frieden von Seite der Localbehörden, aber daß diese jetzt gewagt oder
nicht mit einer Klage beim Minister beantwortet wurde, war allem eine Folge
jeuer Katastrophe. Auch verschwanden die krassen Kundgebungen des katholischen
Eifers, die in den letzten Jahren den Spott des Auslandes besonders erregt hat¬
ten, diese Messen von Kapuzinern und Franziskanern, diese hundertnamigcn und far-
bigen Bruder- und Schwesterschaften, diese scandalösen Missions- und Ablaßpre¬
digten, etwas von der Straße. An der Organisation der Partei und in ihren
Prinzipien änderte sich freilich nichts, sie trat wie gesagt, nur etwas glimpflicher auf.

Die Protestanten waren wenigstens der Vexationen überhoben, die man ihnen in
der Kniebeugungsfrage und sonst bereitet hatte. Ans die innere Entwicklung ihrer
Kirche wirkte jene Katastrophe fast noch weniger als auf die des Katholicismus.
Herr von Noth blieb nach wie vor ihr allmächtiger Gebieter und das neuerrichtete
Cultusministerium ließ ihn ebenso ungestört schalten, wie den früheren Minister des
Innern, wenn er seinen Vertilgungskrieg gegen die letzten Neste des Nationalis¬
mus unermüdlich fortsetzte, treulich unterstützt von den Provinzialevnfistorien, der
theologischen Fakultät zu Erlangen und einer Legion jüngerer uach seiner Vorschrift
zugestutztem Geistlichen.

Die eigentliche Masse des Volkes beider Konfessionen verhielt sich bei jenem
Umsturz sehr passiv. Die fanatisirten Katholiken waren niemals sehr zahlreich ge¬
wesen; außer dem Pöbel der größeren Städte gab es uur einig? Striche von
Altbaiern und der Oberpfalz, die dem ultramontanen Clerus von Herzen und
nicht blos ans Furcht vor seiner weltlichen Macht oder ans anderen äußeren


Für die kirchlichen Verhältnisse hatte jener so triumphirend ausposaunte Sturz
Adels und der Ultramontanen allerdings keine nachhaltige Bedeutung, indessen ath¬
meten doch die bisher furchtbar geknechteten freieren Elemente in beiden Kirchen
, wieder etwas auf. In der katholischen Kirche war noch ein großer Theil der älte¬
ren Geistlichen aus der Schule der Aufklärungsperiode des vorigen Jahrhunderts,
die in Baiern wie gewöhnlich um ein Menschenalter später als im übrigen Deutsch¬
land angebrochen war. Vor dem finsterem Zelvtiömnö ihrer Bischöfe und ihrer
jüngeren College» hatten sie sich in den, letzten zwanzig Jahren ganz zurückgezo¬
gen, einige auch wohl es für passend gefunden, mit den Wölfen zu heulen. So
fiel es z. B. im Jahre 1845 einem siebzigjährigen Dechant in einer von Katho¬
liken und Protestanten bewohnten Stadt in Franken, der sein ganzes Leben lang
mit seinen andersgläubigen College» auf dem Lande und Nachbarn in der Stadt
im besten Vernehmen gestanden hatte, plötzlich ein, einem Lutheraner das ehrliche
Begräbniß ans dem Friedhofe des Orts, welcher früher ausschließlich katholisch
gewesen war, zu verweigern. Er und viele seiner Amtsbruder mögen sich zu
einem ähnlichen Benehmen mit schwerem Herzen verstanden haben, dessen waren
sie von nun an überhoben. Ebenso mäßigem sich die jüngeren wirklichen Zelo¬
ten doch überall sehr merklich; freilich bedurfte es hie und da eine nachdrückliche
Mahnung zum Frieden von Seite der Localbehörden, aber daß diese jetzt gewagt oder
nicht mit einer Klage beim Minister beantwortet wurde, war allem eine Folge
jeuer Katastrophe. Auch verschwanden die krassen Kundgebungen des katholischen
Eifers, die in den letzten Jahren den Spott des Auslandes besonders erregt hat¬
ten, diese Messen von Kapuzinern und Franziskanern, diese hundertnamigcn und far-
bigen Bruder- und Schwesterschaften, diese scandalösen Missions- und Ablaßpre¬
digten, etwas von der Straße. An der Organisation der Partei und in ihren
Prinzipien änderte sich freilich nichts, sie trat wie gesagt, nur etwas glimpflicher auf.

Die Protestanten waren wenigstens der Vexationen überhoben, die man ihnen in
der Kniebeugungsfrage und sonst bereitet hatte. Ans die innere Entwicklung ihrer
Kirche wirkte jene Katastrophe fast noch weniger als auf die des Katholicismus.
Herr von Noth blieb nach wie vor ihr allmächtiger Gebieter und das neuerrichtete
Cultusministerium ließ ihn ebenso ungestört schalten, wie den früheren Minister des
Innern, wenn er seinen Vertilgungskrieg gegen die letzten Neste des Nationalis¬
mus unermüdlich fortsetzte, treulich unterstützt von den Provinzialevnfistorien, der
theologischen Fakultät zu Erlangen und einer Legion jüngerer uach seiner Vorschrift
zugestutztem Geistlichen.

Die eigentliche Masse des Volkes beider Konfessionen verhielt sich bei jenem
Umsturz sehr passiv. Die fanatisirten Katholiken waren niemals sehr zahlreich ge¬
wesen; außer dem Pöbel der größeren Städte gab es uur einig? Striche von
Altbaiern und der Oberpfalz, die dem ultramontanen Clerus von Herzen und
nicht blos ans Furcht vor seiner weltlichen Macht oder ans anderen äußeren


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[0336] Für die kirchlichen Verhältnisse hatte jener so triumphirend ausposaunte Sturz Adels und der Ultramontanen allerdings keine nachhaltige Bedeutung, indessen ath¬ meten doch die bisher furchtbar geknechteten freieren Elemente in beiden Kirchen , wieder etwas auf. In der katholischen Kirche war noch ein großer Theil der älte¬ ren Geistlichen aus der Schule der Aufklärungsperiode des vorigen Jahrhunderts, die in Baiern wie gewöhnlich um ein Menschenalter später als im übrigen Deutsch¬ land angebrochen war. Vor dem finsterem Zelvtiömnö ihrer Bischöfe und ihrer jüngeren College» hatten sie sich in den, letzten zwanzig Jahren ganz zurückgezo¬ gen, einige auch wohl es für passend gefunden, mit den Wölfen zu heulen. So fiel es z. B. im Jahre 1845 einem siebzigjährigen Dechant in einer von Katho¬ liken und Protestanten bewohnten Stadt in Franken, der sein ganzes Leben lang mit seinen andersgläubigen College» auf dem Lande und Nachbarn in der Stadt im besten Vernehmen gestanden hatte, plötzlich ein, einem Lutheraner das ehrliche Begräbniß ans dem Friedhofe des Orts, welcher früher ausschließlich katholisch gewesen war, zu verweigern. Er und viele seiner Amtsbruder mögen sich zu einem ähnlichen Benehmen mit schwerem Herzen verstanden haben, dessen waren sie von nun an überhoben. Ebenso mäßigem sich die jüngeren wirklichen Zelo¬ ten doch überall sehr merklich; freilich bedurfte es hie und da eine nachdrückliche Mahnung zum Frieden von Seite der Localbehörden, aber daß diese jetzt gewagt oder nicht mit einer Klage beim Minister beantwortet wurde, war allem eine Folge jeuer Katastrophe. Auch verschwanden die krassen Kundgebungen des katholischen Eifers, die in den letzten Jahren den Spott des Auslandes besonders erregt hat¬ ten, diese Messen von Kapuzinern und Franziskanern, diese hundertnamigcn und far- bigen Bruder- und Schwesterschaften, diese scandalösen Missions- und Ablaßpre¬ digten, etwas von der Straße. An der Organisation der Partei und in ihren Prinzipien änderte sich freilich nichts, sie trat wie gesagt, nur etwas glimpflicher auf. Die Protestanten waren wenigstens der Vexationen überhoben, die man ihnen in der Kniebeugungsfrage und sonst bereitet hatte. Ans die innere Entwicklung ihrer Kirche wirkte jene Katastrophe fast noch weniger als auf die des Katholicismus. Herr von Noth blieb nach wie vor ihr allmächtiger Gebieter und das neuerrichtete Cultusministerium ließ ihn ebenso ungestört schalten, wie den früheren Minister des Innern, wenn er seinen Vertilgungskrieg gegen die letzten Neste des Nationalis¬ mus unermüdlich fortsetzte, treulich unterstützt von den Provinzialevnfistorien, der theologischen Fakultät zu Erlangen und einer Legion jüngerer uach seiner Vorschrift zugestutztem Geistlichen. Die eigentliche Masse des Volkes beider Konfessionen verhielt sich bei jenem Umsturz sehr passiv. Die fanatisirten Katholiken waren niemals sehr zahlreich ge¬ wesen; außer dem Pöbel der größeren Städte gab es uur einig? Striche von Altbaiern und der Oberpfalz, die dem ultramontanen Clerus von Herzen und nicht blos ans Furcht vor seiner weltlichen Macht oder ans anderen äußeren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/336>, abgerufen am 05.02.2025.