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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Volks entweder für sie äußerlich gewonnen, oder gänzlich indifferent und mit
lahmer Passivität allen Zwang über sich ergehen ließ, da es in den protestanti¬
schen Gegenden zwar etwas aber doch nicht viel besser stand, so schien am Ende
der dreißig Jahre das große Ziel erreicht zu sein, nach welchem beide Parteien
gerungen hatten.

Daher war es sehr natürlich, daß sie von nun an selbst mit einander zerfie¬
len. Denn von Seite der Ultramontanen war die Allianz eben nur zeitweilig ein¬
gegangen worden, als äußerstes Ziel stand ihnen nicht blos die Bekämpfung des
katholischen und protestantischen Indifferentismus, sondern die Vernichtung des
ganzen Protestantismus vor Augen. In diese letzte Kategorie gehörten doch anch
ihre bisherigen treuen Schildknappen, mochten sie sich auch noch so viel Mühe gegeben
haben, das Lebensprincip ihrer Konfession zu verleugnen und zu Boden zu treten.
Im blinden Kampfeseifer gegen den innern Feind hatten sie an diese letzte Kon¬
sequenz ihrer Verbündeten nicht gedacht, oder sich selbst für stark genug gehal¬
ten, sie abzuwehren.

Es zeigte sich bald, daß sie es nicht waren. Dieselbe Taktik, die von dem
Protestantischen Oberconsistorhim innerhalb der eigenen Kirche ausgeübt wurde,
sahen sie uun überall in allen Zweigen des öffentlichen Lebens gegen den Prote¬
stantismus überhaupt, sowohl den orthodoxen wie den rationalistischen angewandt.
Abel verstand es, als Minister des Innern erst alle höheren Stellen in der
Staatsverwaltung, in den Gerichten, ja sogar im Militär in die Hände von
Katholiken zu bringen. Höchstens duldete man noch solche Protestanten, die in
Pflichtschuldigster Devotion alles über sich ergehen ließen, ohne zu mucksen. Bald
zeigte sich auch in den niedern Stellen eine unleugbare Begünstigung der katholi¬
schen Aspiranten als solcher. Selbst bei der Ertheilung vou Gewerbscheiuen und
Heimathsberechtigungen hatten sie den Vorzug, und wehe den Beamten, welche
sich dem nicht etwa aus protestantischen Eifer sondern ans purem Nechtsstnne wi¬
dersetzten. Außerdem, daß ihnen alle Aussichten auf die Zukunft abgeschnitten
wurden, folgte gewöhnlich eine Versetzung in den Böhmer Wald oder in irgend
eine Mvosgcgend von Oberbaiern, wo sie Zeit und Weile hatten, über den in
der Dieustpragmcttik vorgeschriebenen unbedingten Gehorsam gegen die höchste Be¬
hörde nachzudenken.

Kurz in allem und jedem Stücke trat das rückhaltlose Bestreben hervor,
Baiern zu einem katholischen Staate umzuformen, was es weder staatsrechtlich
noch Misch gewesen war. Da mau den Protestantismus nicht mit einem Male
ausrotten konnte, so suchte man ihn wenigstens so viel als möglich rechtlos zu
machen, und im Innern alle Adern zu unterbinden. Bei dem letzten Geschäft
half die orthodoxe Partei treulich mit, gegen das erste erhob sie sich nach langem
stillem Grollen seit dem Jahre zu offener Opposition, die bis 1847 ohne


Volks entweder für sie äußerlich gewonnen, oder gänzlich indifferent und mit
lahmer Passivität allen Zwang über sich ergehen ließ, da es in den protestanti¬
schen Gegenden zwar etwas aber doch nicht viel besser stand, so schien am Ende
der dreißig Jahre das große Ziel erreicht zu sein, nach welchem beide Parteien
gerungen hatten.

Daher war es sehr natürlich, daß sie von nun an selbst mit einander zerfie¬
len. Denn von Seite der Ultramontanen war die Allianz eben nur zeitweilig ein¬
gegangen worden, als äußerstes Ziel stand ihnen nicht blos die Bekämpfung des
katholischen und protestantischen Indifferentismus, sondern die Vernichtung des
ganzen Protestantismus vor Augen. In diese letzte Kategorie gehörten doch anch
ihre bisherigen treuen Schildknappen, mochten sie sich auch noch so viel Mühe gegeben
haben, das Lebensprincip ihrer Konfession zu verleugnen und zu Boden zu treten.
Im blinden Kampfeseifer gegen den innern Feind hatten sie an diese letzte Kon¬
sequenz ihrer Verbündeten nicht gedacht, oder sich selbst für stark genug gehal¬
ten, sie abzuwehren.

Es zeigte sich bald, daß sie es nicht waren. Dieselbe Taktik, die von dem
Protestantischen Oberconsistorhim innerhalb der eigenen Kirche ausgeübt wurde,
sahen sie uun überall in allen Zweigen des öffentlichen Lebens gegen den Prote¬
stantismus überhaupt, sowohl den orthodoxen wie den rationalistischen angewandt.
Abel verstand es, als Minister des Innern erst alle höheren Stellen in der
Staatsverwaltung, in den Gerichten, ja sogar im Militär in die Hände von
Katholiken zu bringen. Höchstens duldete man noch solche Protestanten, die in
Pflichtschuldigster Devotion alles über sich ergehen ließen, ohne zu mucksen. Bald
zeigte sich auch in den niedern Stellen eine unleugbare Begünstigung der katholi¬
schen Aspiranten als solcher. Selbst bei der Ertheilung vou Gewerbscheiuen und
Heimathsberechtigungen hatten sie den Vorzug, und wehe den Beamten, welche
sich dem nicht etwa aus protestantischen Eifer sondern ans purem Nechtsstnne wi¬
dersetzten. Außerdem, daß ihnen alle Aussichten auf die Zukunft abgeschnitten
wurden, folgte gewöhnlich eine Versetzung in den Böhmer Wald oder in irgend
eine Mvosgcgend von Oberbaiern, wo sie Zeit und Weile hatten, über den in
der Dieustpragmcttik vorgeschriebenen unbedingten Gehorsam gegen die höchste Be¬
hörde nachzudenken.

Kurz in allem und jedem Stücke trat das rückhaltlose Bestreben hervor,
Baiern zu einem katholischen Staate umzuformen, was es weder staatsrechtlich
noch Misch gewesen war. Da mau den Protestantismus nicht mit einem Male
ausrotten konnte, so suchte man ihn wenigstens so viel als möglich rechtlos zu
machen, und im Innern alle Adern zu unterbinden. Bei dem letzten Geschäft
half die orthodoxe Partei treulich mit, gegen das erste erhob sie sich nach langem
stillem Grollen seit dem Jahre zu offener Opposition, die bis 1847 ohne


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[0333] Volks entweder für sie äußerlich gewonnen, oder gänzlich indifferent und mit lahmer Passivität allen Zwang über sich ergehen ließ, da es in den protestanti¬ schen Gegenden zwar etwas aber doch nicht viel besser stand, so schien am Ende der dreißig Jahre das große Ziel erreicht zu sein, nach welchem beide Parteien gerungen hatten. Daher war es sehr natürlich, daß sie von nun an selbst mit einander zerfie¬ len. Denn von Seite der Ultramontanen war die Allianz eben nur zeitweilig ein¬ gegangen worden, als äußerstes Ziel stand ihnen nicht blos die Bekämpfung des katholischen und protestantischen Indifferentismus, sondern die Vernichtung des ganzen Protestantismus vor Augen. In diese letzte Kategorie gehörten doch anch ihre bisherigen treuen Schildknappen, mochten sie sich auch noch so viel Mühe gegeben haben, das Lebensprincip ihrer Konfession zu verleugnen und zu Boden zu treten. Im blinden Kampfeseifer gegen den innern Feind hatten sie an diese letzte Kon¬ sequenz ihrer Verbündeten nicht gedacht, oder sich selbst für stark genug gehal¬ ten, sie abzuwehren. Es zeigte sich bald, daß sie es nicht waren. Dieselbe Taktik, die von dem Protestantischen Oberconsistorhim innerhalb der eigenen Kirche ausgeübt wurde, sahen sie uun überall in allen Zweigen des öffentlichen Lebens gegen den Prote¬ stantismus überhaupt, sowohl den orthodoxen wie den rationalistischen angewandt. Abel verstand es, als Minister des Innern erst alle höheren Stellen in der Staatsverwaltung, in den Gerichten, ja sogar im Militär in die Hände von Katholiken zu bringen. Höchstens duldete man noch solche Protestanten, die in Pflichtschuldigster Devotion alles über sich ergehen ließen, ohne zu mucksen. Bald zeigte sich auch in den niedern Stellen eine unleugbare Begünstigung der katholi¬ schen Aspiranten als solcher. Selbst bei der Ertheilung vou Gewerbscheiuen und Heimathsberechtigungen hatten sie den Vorzug, und wehe den Beamten, welche sich dem nicht etwa aus protestantischen Eifer sondern ans purem Nechtsstnne wi¬ dersetzten. Außerdem, daß ihnen alle Aussichten auf die Zukunft abgeschnitten wurden, folgte gewöhnlich eine Versetzung in den Böhmer Wald oder in irgend eine Mvosgcgend von Oberbaiern, wo sie Zeit und Weile hatten, über den in der Dieustpragmcttik vorgeschriebenen unbedingten Gehorsam gegen die höchste Be¬ hörde nachzudenken. Kurz in allem und jedem Stücke trat das rückhaltlose Bestreben hervor, Baiern zu einem katholischen Staate umzuformen, was es weder staatsrechtlich noch Misch gewesen war. Da mau den Protestantismus nicht mit einem Male ausrotten konnte, so suchte man ihn wenigstens so viel als möglich rechtlos zu machen, und im Innern alle Adern zu unterbinden. Bei dem letzten Geschäft half die orthodoxe Partei treulich mit, gegen das erste erhob sie sich nach langem stillem Grollen seit dem Jahre zu offener Opposition, die bis 1847 ohne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/333>, abgerufen am 05.02.2025.