Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.ständniß, aber desto mehr Respekt besaßen, gelegentlich die Nichtigkeit des Ratio¬ Aus der andern Seite erfreut sich anch diese Philosophie wesentlicher Unter- Noch aber waren die Zügel des Kirchenregiments in den Händen des Natio¬ Grenzboten. u>. 1849. ,, 4Z
ständniß, aber desto mehr Respekt besaßen, gelegentlich die Nichtigkeit des Ratio¬ Aus der andern Seite erfreut sich anch diese Philosophie wesentlicher Unter- Noch aber waren die Zügel des Kirchenregiments in den Händen des Natio¬ Grenzboten. u>. 1849. ,, 4Z
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279355"/> <p xml:id="ID_1081" prev="#ID_1080"> ständniß, aber desto mehr Respekt besaßen, gelegentlich die Nichtigkeit des Ratio¬<lb/> nalismus und die vollkommene Harmonie der symbolischen Bücher mit dem mo¬<lb/> dernsten Extract des speculativen Geistes in vornehmen Orakelsprüchen kund that.</p><lb/> <p xml:id="ID_1082"> Aus der andern Seite erfreut sich anch diese Philosophie wesentlicher Unter-<lb/> stüjzuugcu der Orthodoxen. Sie erklärten schon damals feierlich, daß jedes an¬<lb/> dere System, insbesondere das Hegel'sche, von dem damals hin und her ein<lb/> Windstoß aus den Norden ein loses Blatt nach Baiern führte, -für gemeinschädlich<lb/> ja gotteslästerlich gehalten werden müsse.</p><lb/> <p xml:id="ID_1083" next="#ID_1084"> Noch aber waren die Zügel des Kirchenregiments in den Händen des Natio¬<lb/> nalismus, das Münchner Oberconsistorium — die Behörde, welche an die Stelle<lb/> des Kirchen- und Schulraths getreten war und eine Art von protestantischen Kul¬<lb/> tusministerium vorstellte — die einzelnen Proviuzialcousistoncu, die Universität<lb/> Erlangen, ja fast alle Pfarrstellen im Lande mit puren Nationalisten besetzt und<lb/> die Bevölkerung durchweg ebenso gesinnt und wie ihre geistlichen Hirten sehr mi߬<lb/> trauisch gegen die neuen Auserwählten des Herrn, sür welche mau zu der Zeit<lb/> den Namen Pietisten aufbrachte. Streng historisch betrachtet war er in diesem<lb/> Falle natürlich falsch angewandt, aber der gesunde Instinkt des Weltgeistes hatte<lb/> ganz gut nach ihm gegriffen, um deu exclusiver geistlichen Hochmuth dieser Apostel<lb/> der Orthodoxie in den rationalistischen Wüsteneien Baierns zu charakterisiren. —<lb/> Die Partei, fast ausschließlich ans jüngeren Leuten bestehend, befand sich also<lb/> dazumal recht übel zwischen zwei Feuern und mußte sich für mancherlei kränkende<lb/> Zurücksetzungen, die sie von oben, und verschiedenen bald humoristischen bald bru¬<lb/> talen Verfolgungen die sie von unten her erlitt, allein mit der Hoffnung auf einen<lb/> Wechsel im Regierungssystem trösten, der mit dem Tode des Königs Max sicherer<lb/> Erwartung nach eintreten würde, und auch ihnen wie anderen Malkontenten zu<lb/> Statten kommen sollte. Darin täuschte sie sich auch nicht. Denn kaum hatte der<lb/> alte König die Augen geschlossen, so wurde in Baiern auch alles anders, aber<lb/> nur weniges z.B. der Staatshaushalt besser und dieser für kurze Zeit. — Auf kirch¬<lb/> lichem Gebiete machte sich der Umschwung der Zeit zwar nicht so auffallend, aber<lb/> desto nachhaltiger geltend. — Man muß gestehen, daß die Partei, die in Kö¬<lb/> nig Ludwig einen offenkundiger Beschützer hatte, ihren Sieg mit anscheinend grö¬<lb/> ßerer Mäßigung aber desto größerem Erfolge zu benutzen verstand, als die Pie¬<lb/> tisten, die doch nur sehr entfernte Ansprüche auf eine Begünstigung von oben<lb/> aufweisen konnten, ihre Hoffnungen ausbeutete». — Die nächsten Jahre brachten<lb/> keine Klagen über Unduldsamkeit des strengern Katholicismus gegen den indiffe¬<lb/> renten oder gegen deu Protestantismus, geschweige denn über offenbare Eingriffe<lb/> in Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Ultramontanen hielten sich in dieser^<lb/> Beziehung noch streng an dem Buchstaben der Gesetze und der Landesverfassung,.'<lb/> wie sie bisher factisch verstände» worden war. Hie und da ließen sie wohl einen'</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. u>. 1849. ,, 4Z</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0329]
ständniß, aber desto mehr Respekt besaßen, gelegentlich die Nichtigkeit des Ratio¬
nalismus und die vollkommene Harmonie der symbolischen Bücher mit dem mo¬
dernsten Extract des speculativen Geistes in vornehmen Orakelsprüchen kund that.
Aus der andern Seite erfreut sich anch diese Philosophie wesentlicher Unter-
stüjzuugcu der Orthodoxen. Sie erklärten schon damals feierlich, daß jedes an¬
dere System, insbesondere das Hegel'sche, von dem damals hin und her ein
Windstoß aus den Norden ein loses Blatt nach Baiern führte, -für gemeinschädlich
ja gotteslästerlich gehalten werden müsse.
Noch aber waren die Zügel des Kirchenregiments in den Händen des Natio¬
nalismus, das Münchner Oberconsistorium — die Behörde, welche an die Stelle
des Kirchen- und Schulraths getreten war und eine Art von protestantischen Kul¬
tusministerium vorstellte — die einzelnen Proviuzialcousistoncu, die Universität
Erlangen, ja fast alle Pfarrstellen im Lande mit puren Nationalisten besetzt und
die Bevölkerung durchweg ebenso gesinnt und wie ihre geistlichen Hirten sehr mi߬
trauisch gegen die neuen Auserwählten des Herrn, sür welche mau zu der Zeit
den Namen Pietisten aufbrachte. Streng historisch betrachtet war er in diesem
Falle natürlich falsch angewandt, aber der gesunde Instinkt des Weltgeistes hatte
ganz gut nach ihm gegriffen, um deu exclusiver geistlichen Hochmuth dieser Apostel
der Orthodoxie in den rationalistischen Wüsteneien Baierns zu charakterisiren. —
Die Partei, fast ausschließlich ans jüngeren Leuten bestehend, befand sich also
dazumal recht übel zwischen zwei Feuern und mußte sich für mancherlei kränkende
Zurücksetzungen, die sie von oben, und verschiedenen bald humoristischen bald bru¬
talen Verfolgungen die sie von unten her erlitt, allein mit der Hoffnung auf einen
Wechsel im Regierungssystem trösten, der mit dem Tode des Königs Max sicherer
Erwartung nach eintreten würde, und auch ihnen wie anderen Malkontenten zu
Statten kommen sollte. Darin täuschte sie sich auch nicht. Denn kaum hatte der
alte König die Augen geschlossen, so wurde in Baiern auch alles anders, aber
nur weniges z.B. der Staatshaushalt besser und dieser für kurze Zeit. — Auf kirch¬
lichem Gebiete machte sich der Umschwung der Zeit zwar nicht so auffallend, aber
desto nachhaltiger geltend. — Man muß gestehen, daß die Partei, die in Kö¬
nig Ludwig einen offenkundiger Beschützer hatte, ihren Sieg mit anscheinend grö¬
ßerer Mäßigung aber desto größerem Erfolge zu benutzen verstand, als die Pie¬
tisten, die doch nur sehr entfernte Ansprüche auf eine Begünstigung von oben
aufweisen konnten, ihre Hoffnungen ausbeutete». — Die nächsten Jahre brachten
keine Klagen über Unduldsamkeit des strengern Katholicismus gegen den indiffe¬
renten oder gegen deu Protestantismus, geschweige denn über offenbare Eingriffe
in Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Ultramontanen hielten sich in dieser^
Beziehung noch streng an dem Buchstaben der Gesetze und der Landesverfassung,.'
wie sie bisher factisch verstände» worden war. Hie und da ließen sie wohl einen'
Grenzboten. u>. 1849. ,, 4Z
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