Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

entwickeln, schon an sich bedenklich, wenn aber die Negierung mit der einen Hand
eine Masse neuer Neformgesetze uuterschreib', mit der andern Hand nach allen Ge¬
genden höchst tyrannische und blutige Dekrete souveräner Willkür schleudert, wenn
die faktische Gewalt nicht in den Händen der bürgerlichen Obrigkeit, sondern der
Generäle und Soldaten ist, so werden solche constitutionelle Gesetze ein Hohn,
welcher das Volk verwundet und aufregt, statt zu beruhigen. Seit einem Jahr
klafft der Abgrund des Mißtrauens zwischen Regierung nud Volk, immer größer
ist der Riß geworden, immer problematischer seine Ausfüllung. Man wendet ein,
der gegenwärtige Ausnahmezustand sei eben so nothwendig, als vorübergehend.
Das ist unwahr. Die unwürdige Verhöhnung aller Rechtsgrundsätze, welche Per¬
son und Eigenthum schützen sollen, war nicht nothwendig. Die Negierung hat
aufgehört, Herrin zu sei", welche gerecht über Schuld und Unschuld richtet und
mit starker Hand das Recht vertheilt zwischen Geliebten und Mißliebigen, es
gibt kein unparteiisches Recht mehr im Staate Oestreich, keine Ehrfurcht vor
Prinzipien, vor Rechtsbegriffen; eine herrschende Partei rächt mit Pulver und
Blei, mit Erpressungen und Verfolgungen den Schmerz, den sie erfuhr, die Be¬
leidigungen, die sie erlitt. Oestreich ist zurückgesunken in die Schrecken eines
mittelalterlichen Staats, aus dem es jene große Theresia erhob; die ethische Würde
der Gesetze ist geschwunden, die Sittlichkeit des Rechts wird verachtet von der
Regierung, getödtet im Volk. Wie sollen da bogenlange organische Reformen hel¬
fen; jeder Brigadier tritt sie mit Füßen, jede neue Laune der Regierung kann
morgen wieder aufheben, was sie heut befohlen hat. Drei Konstitutionen in
einem Jahr, und die letzte die uubrauchbarste vou Allen, und auf diese Ver¬
fassung stützen sich alle neuen Gesetze! -- In einem halben Jahr sind die Verfassung
und ihre Supplemente wieder unbrauchbar geworden.

Aber das Volk ist todtmüde und sehnt sich nach Ruhe, ja es möchte sie kau¬
fen um jeden Preis. Das wenigstens kömmt der Regierung zu Gut. Meint ihr?
Die Negierung selbst sorgt dafür, daß die Ruhe des Volkes uicht so lauge dauern
kann, als seiue Schwäche. In ihren Fiuauzmaßregelu liegt der zweite furchtbare
Feind für die Existenz Oestreichs. Auch hier verhüllt die Gemüthlichkeit unserer
loyalen Freunde das drohende Verderben. Merkt ans eine einfache Rechnung:
Seit Monaten haben wir keine Bilance über Staatseinnahmen und Ausgaben
erhalte", und wir täuschen uns nicht über den Grund des Schweigens. Da¬
mals aber, als man noch den Muth hatte, ehrlich mit der Sprache herauszugehn,
betrug das monatliche Minus der Einnahmen gegenüber den Ausgaben schon
im Anschlage über l0 Millionen Gulden, das war vor der russischen Hilfe, vor
den enormen Rüstungen und Kosten des zweiten ungarischen Krieges. Woher das Geld
nehmen? -- Die Bank kann weder von ihrem baaren Vorrat!), noch von ihrem
Credit noch etwas abgeben, sie ist ausgesogen und dreifach bankerott, wenn über¬
haupt noch von einem Bankerott die Rede sein kann, wo dem Gläubiger durch


40"

entwickeln, schon an sich bedenklich, wenn aber die Negierung mit der einen Hand
eine Masse neuer Neformgesetze uuterschreib', mit der andern Hand nach allen Ge¬
genden höchst tyrannische und blutige Dekrete souveräner Willkür schleudert, wenn
die faktische Gewalt nicht in den Händen der bürgerlichen Obrigkeit, sondern der
Generäle und Soldaten ist, so werden solche constitutionelle Gesetze ein Hohn,
welcher das Volk verwundet und aufregt, statt zu beruhigen. Seit einem Jahr
klafft der Abgrund des Mißtrauens zwischen Regierung nud Volk, immer größer
ist der Riß geworden, immer problematischer seine Ausfüllung. Man wendet ein,
der gegenwärtige Ausnahmezustand sei eben so nothwendig, als vorübergehend.
Das ist unwahr. Die unwürdige Verhöhnung aller Rechtsgrundsätze, welche Per¬
son und Eigenthum schützen sollen, war nicht nothwendig. Die Negierung hat
aufgehört, Herrin zu sei», welche gerecht über Schuld und Unschuld richtet und
mit starker Hand das Recht vertheilt zwischen Geliebten und Mißliebigen, es
gibt kein unparteiisches Recht mehr im Staate Oestreich, keine Ehrfurcht vor
Prinzipien, vor Rechtsbegriffen; eine herrschende Partei rächt mit Pulver und
Blei, mit Erpressungen und Verfolgungen den Schmerz, den sie erfuhr, die Be¬
leidigungen, die sie erlitt. Oestreich ist zurückgesunken in die Schrecken eines
mittelalterlichen Staats, aus dem es jene große Theresia erhob; die ethische Würde
der Gesetze ist geschwunden, die Sittlichkeit des Rechts wird verachtet von der
Regierung, getödtet im Volk. Wie sollen da bogenlange organische Reformen hel¬
fen; jeder Brigadier tritt sie mit Füßen, jede neue Laune der Regierung kann
morgen wieder aufheben, was sie heut befohlen hat. Drei Konstitutionen in
einem Jahr, und die letzte die uubrauchbarste vou Allen, und auf diese Ver¬
fassung stützen sich alle neuen Gesetze! — In einem halben Jahr sind die Verfassung
und ihre Supplemente wieder unbrauchbar geworden.

Aber das Volk ist todtmüde und sehnt sich nach Ruhe, ja es möchte sie kau¬
fen um jeden Preis. Das wenigstens kömmt der Regierung zu Gut. Meint ihr?
Die Negierung selbst sorgt dafür, daß die Ruhe des Volkes uicht so lauge dauern
kann, als seiue Schwäche. In ihren Fiuauzmaßregelu liegt der zweite furchtbare
Feind für die Existenz Oestreichs. Auch hier verhüllt die Gemüthlichkeit unserer
loyalen Freunde das drohende Verderben. Merkt ans eine einfache Rechnung:
Seit Monaten haben wir keine Bilance über Staatseinnahmen und Ausgaben
erhalte», und wir täuschen uns nicht über den Grund des Schweigens. Da¬
mals aber, als man noch den Muth hatte, ehrlich mit der Sprache herauszugehn,
betrug das monatliche Minus der Einnahmen gegenüber den Ausgaben schon
im Anschlage über l0 Millionen Gulden, das war vor der russischen Hilfe, vor
den enormen Rüstungen und Kosten des zweiten ungarischen Krieges. Woher das Geld
nehmen? — Die Bank kann weder von ihrem baaren Vorrat!), noch von ihrem
Credit noch etwas abgeben, sie ist ausgesogen und dreifach bankerott, wenn über¬
haupt noch von einem Bankerott die Rede sein kann, wo dem Gläubiger durch


40"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279341"/>
          <p xml:id="ID_1031" prev="#ID_1030"> entwickeln, schon an sich bedenklich, wenn aber die Negierung mit der einen Hand<lb/>
eine Masse neuer Neformgesetze uuterschreib', mit der andern Hand nach allen Ge¬<lb/>
genden höchst tyrannische und blutige Dekrete souveräner Willkür schleudert, wenn<lb/>
die faktische Gewalt nicht in den Händen der bürgerlichen Obrigkeit, sondern der<lb/>
Generäle und Soldaten ist, so werden solche constitutionelle Gesetze ein Hohn,<lb/>
welcher das Volk verwundet und aufregt, statt zu beruhigen. Seit einem Jahr<lb/>
klafft der Abgrund des Mißtrauens zwischen Regierung nud Volk, immer größer<lb/>
ist der Riß geworden, immer problematischer seine Ausfüllung. Man wendet ein,<lb/>
der gegenwärtige Ausnahmezustand sei eben so nothwendig, als vorübergehend.<lb/>
Das ist unwahr. Die unwürdige Verhöhnung aller Rechtsgrundsätze, welche Per¬<lb/>
son und Eigenthum schützen sollen, war nicht nothwendig. Die Negierung hat<lb/>
aufgehört, Herrin zu sei», welche gerecht über Schuld und Unschuld richtet und<lb/>
mit starker Hand das Recht vertheilt zwischen Geliebten und Mißliebigen, es<lb/>
gibt kein unparteiisches Recht mehr im Staate Oestreich, keine Ehrfurcht vor<lb/>
Prinzipien, vor Rechtsbegriffen; eine herrschende Partei rächt mit Pulver und<lb/>
Blei, mit Erpressungen und Verfolgungen den Schmerz, den sie erfuhr, die Be¬<lb/>
leidigungen, die sie erlitt. Oestreich ist zurückgesunken in die Schrecken eines<lb/>
mittelalterlichen Staats, aus dem es jene große Theresia erhob; die ethische Würde<lb/>
der Gesetze ist geschwunden, die Sittlichkeit des Rechts wird verachtet von der<lb/>
Regierung, getödtet im Volk. Wie sollen da bogenlange organische Reformen hel¬<lb/>
fen; jeder Brigadier tritt sie mit Füßen, jede neue Laune der Regierung kann<lb/>
morgen wieder aufheben, was sie heut befohlen hat. Drei Konstitutionen in<lb/>
einem Jahr, und die letzte die uubrauchbarste vou Allen, und auf diese Ver¬<lb/>
fassung stützen sich alle neuen Gesetze! &#x2014; In einem halben Jahr sind die Verfassung<lb/>
und ihre Supplemente wieder unbrauchbar geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1032" next="#ID_1033"> Aber das Volk ist todtmüde und sehnt sich nach Ruhe, ja es möchte sie kau¬<lb/>
fen um jeden Preis. Das wenigstens kömmt der Regierung zu Gut. Meint ihr?<lb/>
Die Negierung selbst sorgt dafür, daß die Ruhe des Volkes uicht so lauge dauern<lb/>
kann, als seiue Schwäche. In ihren Fiuauzmaßregelu liegt der zweite furchtbare<lb/>
Feind für die Existenz Oestreichs. Auch hier verhüllt die Gemüthlichkeit unserer<lb/>
loyalen Freunde das drohende Verderben. Merkt ans eine einfache Rechnung:<lb/>
Seit Monaten haben wir keine Bilance über Staatseinnahmen und Ausgaben<lb/>
erhalte», und wir täuschen uns nicht über den Grund des Schweigens. Da¬<lb/>
mals aber, als man noch den Muth hatte, ehrlich mit der Sprache herauszugehn,<lb/>
betrug das monatliche Minus der Einnahmen gegenüber den Ausgaben schon<lb/>
im Anschlage über l0 Millionen Gulden, das war vor der russischen Hilfe, vor<lb/>
den enormen Rüstungen und Kosten des zweiten ungarischen Krieges. Woher das Geld<lb/>
nehmen? &#x2014; Die Bank kann weder von ihrem baaren Vorrat!), noch von ihrem<lb/>
Credit noch etwas abgeben, sie ist ausgesogen und dreifach bankerott, wenn über¬<lb/>
haupt noch von einem Bankerott die Rede sein kann, wo dem Gläubiger durch</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 40"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0315] entwickeln, schon an sich bedenklich, wenn aber die Negierung mit der einen Hand eine Masse neuer Neformgesetze uuterschreib', mit der andern Hand nach allen Ge¬ genden höchst tyrannische und blutige Dekrete souveräner Willkür schleudert, wenn die faktische Gewalt nicht in den Händen der bürgerlichen Obrigkeit, sondern der Generäle und Soldaten ist, so werden solche constitutionelle Gesetze ein Hohn, welcher das Volk verwundet und aufregt, statt zu beruhigen. Seit einem Jahr klafft der Abgrund des Mißtrauens zwischen Regierung nud Volk, immer größer ist der Riß geworden, immer problematischer seine Ausfüllung. Man wendet ein, der gegenwärtige Ausnahmezustand sei eben so nothwendig, als vorübergehend. Das ist unwahr. Die unwürdige Verhöhnung aller Rechtsgrundsätze, welche Per¬ son und Eigenthum schützen sollen, war nicht nothwendig. Die Negierung hat aufgehört, Herrin zu sei», welche gerecht über Schuld und Unschuld richtet und mit starker Hand das Recht vertheilt zwischen Geliebten und Mißliebigen, es gibt kein unparteiisches Recht mehr im Staate Oestreich, keine Ehrfurcht vor Prinzipien, vor Rechtsbegriffen; eine herrschende Partei rächt mit Pulver und Blei, mit Erpressungen und Verfolgungen den Schmerz, den sie erfuhr, die Be¬ leidigungen, die sie erlitt. Oestreich ist zurückgesunken in die Schrecken eines mittelalterlichen Staats, aus dem es jene große Theresia erhob; die ethische Würde der Gesetze ist geschwunden, die Sittlichkeit des Rechts wird verachtet von der Regierung, getödtet im Volk. Wie sollen da bogenlange organische Reformen hel¬ fen; jeder Brigadier tritt sie mit Füßen, jede neue Laune der Regierung kann morgen wieder aufheben, was sie heut befohlen hat. Drei Konstitutionen in einem Jahr, und die letzte die uubrauchbarste vou Allen, und auf diese Ver¬ fassung stützen sich alle neuen Gesetze! — In einem halben Jahr sind die Verfassung und ihre Supplemente wieder unbrauchbar geworden. Aber das Volk ist todtmüde und sehnt sich nach Ruhe, ja es möchte sie kau¬ fen um jeden Preis. Das wenigstens kömmt der Regierung zu Gut. Meint ihr? Die Negierung selbst sorgt dafür, daß die Ruhe des Volkes uicht so lauge dauern kann, als seiue Schwäche. In ihren Fiuauzmaßregelu liegt der zweite furchtbare Feind für die Existenz Oestreichs. Auch hier verhüllt die Gemüthlichkeit unserer loyalen Freunde das drohende Verderben. Merkt ans eine einfache Rechnung: Seit Monaten haben wir keine Bilance über Staatseinnahmen und Ausgaben erhalte», und wir täuschen uns nicht über den Grund des Schweigens. Da¬ mals aber, als man noch den Muth hatte, ehrlich mit der Sprache herauszugehn, betrug das monatliche Minus der Einnahmen gegenüber den Ausgaben schon im Anschlage über l0 Millionen Gulden, das war vor der russischen Hilfe, vor den enormen Rüstungen und Kosten des zweiten ungarischen Krieges. Woher das Geld nehmen? — Die Bank kann weder von ihrem baaren Vorrat!), noch von ihrem Credit noch etwas abgeben, sie ist ausgesogen und dreifach bankerott, wenn über¬ haupt noch von einem Bankerott die Rede sein kann, wo dem Gläubiger durch 40"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/315
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/315>, abgerufen am 05.02.2025.