Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Factum, welches sich aus diesem Zahlenverhältniß herausstellt, ist fol¬
gendes : Es existiren 84 Mitglieder der zweiten Kamm er, welchen es nicht darauf
ankommt, gelegentlich der Regierung einen kleinen Streich zu spielen, und es exi-
stiren IV2 Mitglieder, die dem modernen Liberalismus keine Concession machen
wollen. Die ersten wollen wir die Liberalen nennen, die letzteren die Legiti-
misten. In der Mitte bleibt das eigentliche Juste Milieu der conservativen Partei.

Der Unterschied zwischen den Dreien, wenn man nnr auf den unmittelbaren
Ausdruck steht, ist freilich sehr sein. Armin! Schwerin! Simson! Der Unterschied
Zwischen den beiden ersten datirt vom Landtag, zwischen den beiden letzten von der
Nationalversammlung. Im Landtag war Arnim derjenige unter den Royalisten,
welcher am meisten geneigt war, wenigstens in den Formen den Liberalen gefällig
zu sein, und Schwerin in der Opposition derjenige, der ihm in diesem Bestreben
am weitesten entgegenkam. Worin zwischen den beiden edlen Grafen in der letzten
Session der Unterschied bestand, habe ich nur aus einem kleinen Zuge schließen
können; ich beobachtete Schwerin ans der Loge in der ersten Kammer, als Pro¬
fessor Baumstark den Professor Stahl wegen seiner Haller'schen Theorien zu¬
rechtwies, und sah, wie vergnügt er darüber war; er kann also den Haller nicht
leiden, und wird folglich mit der Neuen Preußischen nicht Hand in Hand gehen
wollen. Der Unterschied ferner zwischen dem absoluten und relativen Vereinba¬
rungssystem, welcher in der Nationalversammlung Schwerin von Simson trennte,
ist seit der Versammlung von Gotha zu einem blos historischen herabgesetzt. Wenn
also die politische Stellung jener drei Männer sich nur durch sehr geringe Nuancen
abzeichnet, so gibt ihre Persönlichkeit uoch weniger Anstoß. Alle drei sind nicht
blos anerkannte Ehrenmänner, sondern auch alle von feinen, gebildeten, liberalen
Formen; der Grad ihrer Befähigung war also nur quantitativ zu bestimmen.
Freilich sind sie auch nicht der eigentlich charakteristische Ausdruck ihrer Parteien.

Wenn wir diese genauer ansehn, so fällt uns zunächst aus, daß die eigent¬
lichen Häupter fehlen. Vergebens sehn wir uns nach Bodelschwing!), verge-
gebens nach Vincke um. Der eine ist wunderbarer Weise nicht wieder gewählt,
trotz des neuen Wahlgesetzes, der andere hat die Wahl nicht angenommen. So
sehr das seinem Rechtsgefühl angemessen ist, so kann man es doch nicht rechtfer¬
tigen. Durch die Anwesenheit diaseö Einen Mannes hätte sofort die Kammer, wo
die Opposition durch sehr ehrenwerthe Persönlichkeiten, aber durch schwache Kräfte
Zertreten ist, eine ganz andere Physiognomie angenommen. Was die in der Mitte
stehende specifisch ministerielle Partei betrifft, so liegt es in der Natur der Sache,
daß sie keine hervorragenden Persönlichkeiten an ihrer Spitze haben kaum, da
sonst die geringe parlamentarische Bedeutung der Minister selbst noch greller her¬
vortreten würde.

Wie die Persönlichkeiten in der liberalen Partei beschaffen sind -- Alters--
wald, Graf Dyhrn, Simson, Wenzel, Bcckeraih, Dunker -- das sind in ihren


Das Factum, welches sich aus diesem Zahlenverhältniß herausstellt, ist fol¬
gendes : Es existiren 84 Mitglieder der zweiten Kamm er, welchen es nicht darauf
ankommt, gelegentlich der Regierung einen kleinen Streich zu spielen, und es exi-
stiren IV2 Mitglieder, die dem modernen Liberalismus keine Concession machen
wollen. Die ersten wollen wir die Liberalen nennen, die letzteren die Legiti-
misten. In der Mitte bleibt das eigentliche Juste Milieu der conservativen Partei.

Der Unterschied zwischen den Dreien, wenn man nnr auf den unmittelbaren
Ausdruck steht, ist freilich sehr sein. Armin! Schwerin! Simson! Der Unterschied
Zwischen den beiden ersten datirt vom Landtag, zwischen den beiden letzten von der
Nationalversammlung. Im Landtag war Arnim derjenige unter den Royalisten,
welcher am meisten geneigt war, wenigstens in den Formen den Liberalen gefällig
zu sein, und Schwerin in der Opposition derjenige, der ihm in diesem Bestreben
am weitesten entgegenkam. Worin zwischen den beiden edlen Grafen in der letzten
Session der Unterschied bestand, habe ich nur aus einem kleinen Zuge schließen
können; ich beobachtete Schwerin ans der Loge in der ersten Kammer, als Pro¬
fessor Baumstark den Professor Stahl wegen seiner Haller'schen Theorien zu¬
rechtwies, und sah, wie vergnügt er darüber war; er kann also den Haller nicht
leiden, und wird folglich mit der Neuen Preußischen nicht Hand in Hand gehen
wollen. Der Unterschied ferner zwischen dem absoluten und relativen Vereinba¬
rungssystem, welcher in der Nationalversammlung Schwerin von Simson trennte,
ist seit der Versammlung von Gotha zu einem blos historischen herabgesetzt. Wenn
also die politische Stellung jener drei Männer sich nur durch sehr geringe Nuancen
abzeichnet, so gibt ihre Persönlichkeit uoch weniger Anstoß. Alle drei sind nicht
blos anerkannte Ehrenmänner, sondern auch alle von feinen, gebildeten, liberalen
Formen; der Grad ihrer Befähigung war also nur quantitativ zu bestimmen.
Freilich sind sie auch nicht der eigentlich charakteristische Ausdruck ihrer Parteien.

Wenn wir diese genauer ansehn, so fällt uns zunächst aus, daß die eigent¬
lichen Häupter fehlen. Vergebens sehn wir uns nach Bodelschwing!), verge-
gebens nach Vincke um. Der eine ist wunderbarer Weise nicht wieder gewählt,
trotz des neuen Wahlgesetzes, der andere hat die Wahl nicht angenommen. So
sehr das seinem Rechtsgefühl angemessen ist, so kann man es doch nicht rechtfer¬
tigen. Durch die Anwesenheit diaseö Einen Mannes hätte sofort die Kammer, wo
die Opposition durch sehr ehrenwerthe Persönlichkeiten, aber durch schwache Kräfte
Zertreten ist, eine ganz andere Physiognomie angenommen. Was die in der Mitte
stehende specifisch ministerielle Partei betrifft, so liegt es in der Natur der Sache,
daß sie keine hervorragenden Persönlichkeiten an ihrer Spitze haben kaum, da
sonst die geringe parlamentarische Bedeutung der Minister selbst noch greller her¬
vortreten würde.

Wie die Persönlichkeiten in der liberalen Partei beschaffen sind — Alters--
wald, Graf Dyhrn, Simson, Wenzel, Bcckeraih, Dunker — das sind in ihren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279327"/>
            <p xml:id="ID_973"> Das Factum, welches sich aus diesem Zahlenverhältniß herausstellt, ist fol¬<lb/>
gendes : Es existiren 84 Mitglieder der zweiten Kamm er, welchen es nicht darauf<lb/>
ankommt, gelegentlich der Regierung einen kleinen Streich zu spielen, und es exi-<lb/>
stiren IV2 Mitglieder, die dem modernen Liberalismus keine Concession machen<lb/>
wollen. Die ersten wollen wir die Liberalen nennen, die letzteren die Legiti-<lb/>
misten. In der Mitte bleibt das eigentliche Juste Milieu der conservativen Partei.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_974"> Der Unterschied zwischen den Dreien, wenn man nnr auf den unmittelbaren<lb/>
Ausdruck steht, ist freilich sehr sein. Armin! Schwerin! Simson! Der Unterschied<lb/>
Zwischen den beiden ersten datirt vom Landtag, zwischen den beiden letzten von der<lb/>
Nationalversammlung. Im Landtag war Arnim derjenige unter den Royalisten,<lb/>
welcher am meisten geneigt war, wenigstens in den Formen den Liberalen gefällig<lb/>
zu sein, und Schwerin in der Opposition derjenige, der ihm in diesem Bestreben<lb/>
am weitesten entgegenkam. Worin zwischen den beiden edlen Grafen in der letzten<lb/>
Session der Unterschied bestand, habe ich nur aus einem kleinen Zuge schließen<lb/>
können; ich beobachtete Schwerin ans der Loge in der ersten Kammer, als Pro¬<lb/>
fessor Baumstark den Professor Stahl wegen seiner Haller'schen Theorien zu¬<lb/>
rechtwies, und sah, wie vergnügt er darüber war; er kann also den Haller nicht<lb/>
leiden, und wird folglich mit der Neuen Preußischen nicht Hand in Hand gehen<lb/>
wollen. Der Unterschied ferner zwischen dem absoluten und relativen Vereinba¬<lb/>
rungssystem, welcher in der Nationalversammlung Schwerin von Simson trennte,<lb/>
ist seit der Versammlung von Gotha zu einem blos historischen herabgesetzt. Wenn<lb/>
also die politische Stellung jener drei Männer sich nur durch sehr geringe Nuancen<lb/>
abzeichnet, so gibt ihre Persönlichkeit uoch weniger Anstoß. Alle drei sind nicht<lb/>
blos anerkannte Ehrenmänner, sondern auch alle von feinen, gebildeten, liberalen<lb/>
Formen; der Grad ihrer Befähigung war also nur quantitativ zu bestimmen.<lb/>
Freilich sind sie auch nicht der eigentlich charakteristische Ausdruck ihrer Parteien.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_975"> Wenn wir diese genauer ansehn, so fällt uns zunächst aus, daß die eigent¬<lb/>
lichen Häupter fehlen. Vergebens sehn wir uns nach Bodelschwing!), verge-<lb/>
gebens nach Vincke um. Der eine ist wunderbarer Weise nicht wieder gewählt,<lb/>
trotz des neuen Wahlgesetzes, der andere hat die Wahl nicht angenommen. So<lb/>
sehr das seinem Rechtsgefühl angemessen ist, so kann man es doch nicht rechtfer¬<lb/>
tigen. Durch die Anwesenheit diaseö Einen Mannes hätte sofort die Kammer, wo<lb/>
die Opposition durch sehr ehrenwerthe Persönlichkeiten, aber durch schwache Kräfte<lb/>
Zertreten ist, eine ganz andere Physiognomie angenommen. Was die in der Mitte<lb/>
stehende specifisch ministerielle Partei betrifft, so liegt es in der Natur der Sache,<lb/>
daß sie keine hervorragenden Persönlichkeiten an ihrer Spitze haben kaum, da<lb/>
sonst die geringe parlamentarische Bedeutung der Minister selbst noch greller her¬<lb/>
vortreten würde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_976" next="#ID_977"> Wie die Persönlichkeiten in der liberalen Partei beschaffen sind &#x2014; Alters--<lb/>
wald, Graf Dyhrn, Simson, Wenzel, Bcckeraih, Dunker &#x2014; das sind in ihren</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0301] Das Factum, welches sich aus diesem Zahlenverhältniß herausstellt, ist fol¬ gendes : Es existiren 84 Mitglieder der zweiten Kamm er, welchen es nicht darauf ankommt, gelegentlich der Regierung einen kleinen Streich zu spielen, und es exi- stiren IV2 Mitglieder, die dem modernen Liberalismus keine Concession machen wollen. Die ersten wollen wir die Liberalen nennen, die letzteren die Legiti- misten. In der Mitte bleibt das eigentliche Juste Milieu der conservativen Partei. Der Unterschied zwischen den Dreien, wenn man nnr auf den unmittelbaren Ausdruck steht, ist freilich sehr sein. Armin! Schwerin! Simson! Der Unterschied Zwischen den beiden ersten datirt vom Landtag, zwischen den beiden letzten von der Nationalversammlung. Im Landtag war Arnim derjenige unter den Royalisten, welcher am meisten geneigt war, wenigstens in den Formen den Liberalen gefällig zu sein, und Schwerin in der Opposition derjenige, der ihm in diesem Bestreben am weitesten entgegenkam. Worin zwischen den beiden edlen Grafen in der letzten Session der Unterschied bestand, habe ich nur aus einem kleinen Zuge schließen können; ich beobachtete Schwerin ans der Loge in der ersten Kammer, als Pro¬ fessor Baumstark den Professor Stahl wegen seiner Haller'schen Theorien zu¬ rechtwies, und sah, wie vergnügt er darüber war; er kann also den Haller nicht leiden, und wird folglich mit der Neuen Preußischen nicht Hand in Hand gehen wollen. Der Unterschied ferner zwischen dem absoluten und relativen Vereinba¬ rungssystem, welcher in der Nationalversammlung Schwerin von Simson trennte, ist seit der Versammlung von Gotha zu einem blos historischen herabgesetzt. Wenn also die politische Stellung jener drei Männer sich nur durch sehr geringe Nuancen abzeichnet, so gibt ihre Persönlichkeit uoch weniger Anstoß. Alle drei sind nicht blos anerkannte Ehrenmänner, sondern auch alle von feinen, gebildeten, liberalen Formen; der Grad ihrer Befähigung war also nur quantitativ zu bestimmen. Freilich sind sie auch nicht der eigentlich charakteristische Ausdruck ihrer Parteien. Wenn wir diese genauer ansehn, so fällt uns zunächst aus, daß die eigent¬ lichen Häupter fehlen. Vergebens sehn wir uns nach Bodelschwing!), verge- gebens nach Vincke um. Der eine ist wunderbarer Weise nicht wieder gewählt, trotz des neuen Wahlgesetzes, der andere hat die Wahl nicht angenommen. So sehr das seinem Rechtsgefühl angemessen ist, so kann man es doch nicht rechtfer¬ tigen. Durch die Anwesenheit diaseö Einen Mannes hätte sofort die Kammer, wo die Opposition durch sehr ehrenwerthe Persönlichkeiten, aber durch schwache Kräfte Zertreten ist, eine ganz andere Physiognomie angenommen. Was die in der Mitte stehende specifisch ministerielle Partei betrifft, so liegt es in der Natur der Sache, daß sie keine hervorragenden Persönlichkeiten an ihrer Spitze haben kaum, da sonst die geringe parlamentarische Bedeutung der Minister selbst noch greller her¬ vortreten würde. Wie die Persönlichkeiten in der liberalen Partei beschaffen sind — Alters-- wald, Graf Dyhrn, Simson, Wenzel, Bcckeraih, Dunker — das sind in ihren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/301
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/301>, abgerufen am 05.02.2025.