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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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geschafft; das barbarische böhmische Alphabet vertauscht sich auf diesem Wege mit
der neuen slavischen Orthographie; croatische und serbische Zeitungen erhalten dadurch
Terrain und fallen in einzelnen Exemplaren jenseits der weißen save nieder, und
machen die Häupter des Volkes, Muhamedaner und Raja, mit den schwungvollen
Tageöphrasen der politischen Presse bekannt. Immer imponirender wird den Bos¬
niern die Kraft und das freie Leben ihrer christlichen Nachbarn, der Serben, der
Grenzer, der Montenegriner und schmachvoll erscheint ihnen der Druck, mit wel¬
chem der Osmanli sie belastet. Viele von ihnen, Muhamedaner wie Christen,
waren im vorigen Jahre dem serbischen Freicorps, welches den Kroaten zu Hilfe
zog, zugeströmt, hatten einen Kampf "für die Freiheit" angekämpft, Blut ver¬
gossen und die Christen als Brüder begrüßt. Durch Alles das ist das böhmische
Volt in seinen Tiefen aufgewühlt und thatenlnstig geworden.

Die hohe Pforte aber ist selbst in eine Krisis getreten, welche ihr und dem
Islam zuletzt tödtlich werden muß, so unvermeidlich sie auch war. Die Fortschritts¬
partei unter den türkischen Staatsmännern sieht die Nothwendigkeit ein, der schwin¬
denden Kraft des Reiches entgegen zu arbeiten, und versucht einzelne Grundsätze des
europäischen Staatslebens in der Türkei einzubürgern. Alle Reformversuche aber schei¬
tern in der Ausführung. Denn ein Moment ist im Islam, welches ihn unfähig
für staatliche Cultur macht -- die Gleichheit der Unterthanen vor dem Gesetz ist
gegen den Karan und gegen das innerste Gefühl des Türken. Er ist Herr der
Welt, die Raja ist ihm unterworfen, sie ist unrein, sie gelangt nicht in Mccho-
meds Himmel, es ist demnach ein Verbrechen ihr hier ans Erden die Privilegien
der Gläubigen zu geben. Der Glaube allein macht frei und adlig, der Ungläubige
ist zum Diener verdammt. Schon damals im serbischen Kriege, wurde ein Ver¬
trag zwischen Türken und Serben lange Zeit unmöglich, weil die Türken nicht
zugeben konnten, daß die Naja ihre Waffen in Gegenwart eines Türken offen
trüge, wenigstens den Zipfel deö Mantels sollten die Christen darüber decken, so
oft ihnen der Türke auf der Landstraße begegne. -- In der That dürfen die
Türken nicht darein willigen, sich mit der Raja in eine Klasse geworfen zu sehn, bei
Abgaben, bei Prozessen, im Verkehr; denu diese Gleichheit wird ihr Untergang.
Durch Jahrhunderte gewöhnt die Früchte von fremder Thätigkeit zu erndten, ver-
stehn sie nur im Einsammeln derselben Energie zu zeigen, verweichlicht und un¬
thätig als Genießende, verkommen sie da, wo die freie Concurrenz der Christen
sich gegen sie erhebt. Die Türken in Belgrad sind ein Beispiel von dem schnellen
Untergange dieser Sekte unter freien Christen. Und da sich Alles in der Seele
des Türken empört gegen eine Gleichstellung mit der Raja, da ferner auch den
Handlangern der Negierung, den Veziren und Paschas, jede Spur von Verständ¬
niß für den Sinn moderner Staatsreformen fehlt, so wird auch das Verständige
und Gute, was die leitende" Kräfte des Staates neu einführen wollen, in der


geschafft; das barbarische böhmische Alphabet vertauscht sich auf diesem Wege mit
der neuen slavischen Orthographie; croatische und serbische Zeitungen erhalten dadurch
Terrain und fallen in einzelnen Exemplaren jenseits der weißen save nieder, und
machen die Häupter des Volkes, Muhamedaner und Raja, mit den schwungvollen
Tageöphrasen der politischen Presse bekannt. Immer imponirender wird den Bos¬
niern die Kraft und das freie Leben ihrer christlichen Nachbarn, der Serben, der
Grenzer, der Montenegriner und schmachvoll erscheint ihnen der Druck, mit wel¬
chem der Osmanli sie belastet. Viele von ihnen, Muhamedaner wie Christen,
waren im vorigen Jahre dem serbischen Freicorps, welches den Kroaten zu Hilfe
zog, zugeströmt, hatten einen Kampf „für die Freiheit" angekämpft, Blut ver¬
gossen und die Christen als Brüder begrüßt. Durch Alles das ist das böhmische
Volt in seinen Tiefen aufgewühlt und thatenlnstig geworden.

Die hohe Pforte aber ist selbst in eine Krisis getreten, welche ihr und dem
Islam zuletzt tödtlich werden muß, so unvermeidlich sie auch war. Die Fortschritts¬
partei unter den türkischen Staatsmännern sieht die Nothwendigkeit ein, der schwin¬
denden Kraft des Reiches entgegen zu arbeiten, und versucht einzelne Grundsätze des
europäischen Staatslebens in der Türkei einzubürgern. Alle Reformversuche aber schei¬
tern in der Ausführung. Denn ein Moment ist im Islam, welches ihn unfähig
für staatliche Cultur macht — die Gleichheit der Unterthanen vor dem Gesetz ist
gegen den Karan und gegen das innerste Gefühl des Türken. Er ist Herr der
Welt, die Raja ist ihm unterworfen, sie ist unrein, sie gelangt nicht in Mccho-
meds Himmel, es ist demnach ein Verbrechen ihr hier ans Erden die Privilegien
der Gläubigen zu geben. Der Glaube allein macht frei und adlig, der Ungläubige
ist zum Diener verdammt. Schon damals im serbischen Kriege, wurde ein Ver¬
trag zwischen Türken und Serben lange Zeit unmöglich, weil die Türken nicht
zugeben konnten, daß die Naja ihre Waffen in Gegenwart eines Türken offen
trüge, wenigstens den Zipfel deö Mantels sollten die Christen darüber decken, so
oft ihnen der Türke auf der Landstraße begegne. — In der That dürfen die
Türken nicht darein willigen, sich mit der Raja in eine Klasse geworfen zu sehn, bei
Abgaben, bei Prozessen, im Verkehr; denu diese Gleichheit wird ihr Untergang.
Durch Jahrhunderte gewöhnt die Früchte von fremder Thätigkeit zu erndten, ver-
stehn sie nur im Einsammeln derselben Energie zu zeigen, verweichlicht und un¬
thätig als Genießende, verkommen sie da, wo die freie Concurrenz der Christen
sich gegen sie erhebt. Die Türken in Belgrad sind ein Beispiel von dem schnellen
Untergange dieser Sekte unter freien Christen. Und da sich Alles in der Seele
des Türken empört gegen eine Gleichstellung mit der Raja, da ferner auch den
Handlangern der Negierung, den Veziren und Paschas, jede Spur von Verständ¬
niß für den Sinn moderner Staatsreformen fehlt, so wird auch das Verständige
und Gute, was die leitende» Kräfte des Staates neu einführen wollen, in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/296>, abgerufen am 05.02.2025.