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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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persönlich; aber grade, was den Stoff all' diesen Dichtern lieb und imponirend
gemacht hat, die elegische Trauer über das Schicksal eines edlen Jünglings, der
die Buße zahlt für die Kämpfe seiner Vorfahren, grade das macht den Stoss un¬
dramatisch und ohne große Veränderungen ganz unbrauchbar für die Kunst. Der
Verlauf fast aller Kvnradinstücke ist dieser. Akt I: Konradin und Friedrich von
Oestreich wollen in Italien einrücken, Lagerscene; Konradin verliebt sich in eine
junge Italienerin. We 2: Die Helden rücken in Italien ein, Konradin als ge¬
fühlvoller Hohenstaufe, Friedrich als lustiger Bruder. Akt 3: sie werden geschlagen,
der Vater der Geliebten verräth die Hilfesuchenden. Akt 4: sie sind gefangen, die Geliebte
macht, sie zu befreien, Anstrengungen, die natürlich erfolglos sind, wie wir aus
der Geschichte missen. Akt 5: sie benehmen sich im Gefängniß sehr brav -- die
Schachspielsceue, eine Anzahl Abschiede, sie gehen zum Tode und ziehen das ganze
Stück mit sich ins Verderben. Bei diesem Stoff ist episch, daß die Steigerung
und der Höhenpunkt des Stückes nicht durch innerliche Entwicklungsprozesse der
Helden hervorgebracht worden, sondern ganz äußerliche politische Ereignisse siud,
welche aus dem bereits gefaßten Entschluß, Italien zu erobern, ohne weiteres
folgen, und deshalb nicht das geringste dramatische Interesse haben; lyrisch aber
wird die Behandlung dieses Stoffes dadurch, 'daß die Helden sich in den gegebenen
Verhältnissen, durch welche sie für uns von Anfang an zu Boden gedrückt werden,
so tapfer, liebreich und hoffnungsvoll als möglich aussprechen. Konradin ist nach
der Verlornen Schlacht und von Frangipani verrathen ganz derselbe brave, jugend¬
liche Held wie im Anfange, er könnte eben so gut nicht verrathen werden, oder
im vierten Act von seiner Geliebten gerettet werden, oder im fünften seine Wächter
rühren und erschlagen und fortlaufen und König werden und heirathen; er könnte
dies Alles, und das Stück würde nicht schlechter werden, -- weil es keine dra¬
matische Nothwendigkeit hat, mit andern Worten keinen Entwicklungsprozeß der
Charaktere, welcher von der Heerstraße der Allerwcltscmpsiuduugcu abweicht und
durch die Concentration zur That ein großes Verhängniß heraufbeschwört, welches
nach unserer vernünftigen Ueberzeugung einen ganz bestimmten ethischen Verlans
und Schluß haben muß. Das Verhängniß, welches über Konradin schwebt, ist
nicht dnrch seine eigene freie That, sondern durch seine Vorfahren erregt, er ist
selbst uur der letzte Gesang eines Epos, oder meinetwegen auch der letzte Akt
einer Geschichtötragödie, welche die entgegengesetzten Lebensbedingungen hat, wie
eine Tragödie der Kunst. -- Das Eigenthümliche der dramatischen Gestaltungs¬
kraft ist, die Wandlungen und Entwicklungen der Gefühle und Personen zu em¬
pfinden, Charaktere und Leidenschaften in der Bewegung zu schauen, den Prozeß
des individuellen Lebens in seiner vernünftigen Nothwendigkeit darzustellen. Diese
höchste Eigenthümlichkeit einer Dichterkraft wird bei dem Theil des Dramas natür¬
lich am meisten in Anspruch genommen, wo es darauf ankommt, die geheimsten
Regungen und Wandlungen der Seele darzustellen vom Augenblick ihres Entstehens,'


Grenzboten. >>i. 18U>. > 3

persönlich; aber grade, was den Stoff all' diesen Dichtern lieb und imponirend
gemacht hat, die elegische Trauer über das Schicksal eines edlen Jünglings, der
die Buße zahlt für die Kämpfe seiner Vorfahren, grade das macht den Stoss un¬
dramatisch und ohne große Veränderungen ganz unbrauchbar für die Kunst. Der
Verlauf fast aller Kvnradinstücke ist dieser. Akt I: Konradin und Friedrich von
Oestreich wollen in Italien einrücken, Lagerscene; Konradin verliebt sich in eine
junge Italienerin. We 2: Die Helden rücken in Italien ein, Konradin als ge¬
fühlvoller Hohenstaufe, Friedrich als lustiger Bruder. Akt 3: sie werden geschlagen,
der Vater der Geliebten verräth die Hilfesuchenden. Akt 4: sie sind gefangen, die Geliebte
macht, sie zu befreien, Anstrengungen, die natürlich erfolglos sind, wie wir aus
der Geschichte missen. Akt 5: sie benehmen sich im Gefängniß sehr brav — die
Schachspielsceue, eine Anzahl Abschiede, sie gehen zum Tode und ziehen das ganze
Stück mit sich ins Verderben. Bei diesem Stoff ist episch, daß die Steigerung
und der Höhenpunkt des Stückes nicht durch innerliche Entwicklungsprozesse der
Helden hervorgebracht worden, sondern ganz äußerliche politische Ereignisse siud,
welche aus dem bereits gefaßten Entschluß, Italien zu erobern, ohne weiteres
folgen, und deshalb nicht das geringste dramatische Interesse haben; lyrisch aber
wird die Behandlung dieses Stoffes dadurch, 'daß die Helden sich in den gegebenen
Verhältnissen, durch welche sie für uns von Anfang an zu Boden gedrückt werden,
so tapfer, liebreich und hoffnungsvoll als möglich aussprechen. Konradin ist nach
der Verlornen Schlacht und von Frangipani verrathen ganz derselbe brave, jugend¬
liche Held wie im Anfange, er könnte eben so gut nicht verrathen werden, oder
im vierten Act von seiner Geliebten gerettet werden, oder im fünften seine Wächter
rühren und erschlagen und fortlaufen und König werden und heirathen; er könnte
dies Alles, und das Stück würde nicht schlechter werden, — weil es keine dra¬
matische Nothwendigkeit hat, mit andern Worten keinen Entwicklungsprozeß der
Charaktere, welcher von der Heerstraße der Allerwcltscmpsiuduugcu abweicht und
durch die Concentration zur That ein großes Verhängniß heraufbeschwört, welches
nach unserer vernünftigen Ueberzeugung einen ganz bestimmten ethischen Verlans
und Schluß haben muß. Das Verhängniß, welches über Konradin schwebt, ist
nicht dnrch seine eigene freie That, sondern durch seine Vorfahren erregt, er ist
selbst uur der letzte Gesang eines Epos, oder meinetwegen auch der letzte Akt
einer Geschichtötragödie, welche die entgegengesetzten Lebensbedingungen hat, wie
eine Tragödie der Kunst. — Das Eigenthümliche der dramatischen Gestaltungs¬
kraft ist, die Wandlungen und Entwicklungen der Gefühle und Personen zu em¬
pfinden, Charaktere und Leidenschaften in der Bewegung zu schauen, den Prozeß
des individuellen Lebens in seiner vernünftigen Nothwendigkeit darzustellen. Diese
höchste Eigenthümlichkeit einer Dichterkraft wird bei dem Theil des Dramas natür¬
lich am meisten in Anspruch genommen, wo es darauf ankommt, die geheimsten
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/25>, abgerufen am 05.02.2025.