Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.Schweif eines baltischen Fisches: solche Märchen sind' alt und verwittert, -- Du liebes Böhmen! Du bist das Räthsel Oestreichs, ein Epos ohne Hel- Dort, wo Ziska'S Name noch von Mund zu Mund geht, wo der breit¬ In Wahrheit ist die Sekte der Adamiter, welche Sie als eine religiöse 29*
Schweif eines baltischen Fisches: solche Märchen sind' alt und verwittert, — Du liebes Böhmen! Du bist das Räthsel Oestreichs, ein Epos ohne Hel- Dort, wo Ziska'S Name noch von Mund zu Mund geht, wo der breit¬ In Wahrheit ist die Sekte der Adamiter, welche Sie als eine religiöse 29*
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Schweif eines baltischen Fisches: solche Märchen sind' alt und verwittert, —
nein, unser Phantom ist der politische Volksgeist von Prag. —
Du liebes Böhmen! Du bist das Räthsel Oestreichs, ein Epos ohne Hel-
den, „nullum elltmaris und u-n-um I-in-^v". — Noch sind Ihrem Gedächtnisse viel¬
leicht nicht die Namen der Horebiten, Taboriten, silmiliter, Japhetiten, Trog-
lodyten entschwunden, bei deren Nennung jede ehrliche Seele zusammen fährt,
wie der Teufel vor dem Franziskaner, der Tyrann vor dem Republikaner.
Dort, wo Ziska'S Name noch von Mund zu Mund geht, wo der breit¬
knochige Czechensohn mit andächtigem Märtyrersinne noch des alten Autodafe von
Constanz gedenkt, da lebt noch jetzt eine Kaste in Dörfern, die sich Adamiter und
Marokkaner nennt. Sie hat Verbindungen mit Adam im Himmel, mit Fourier
in der Hölle, mit Proudhon im Gefängniß, ja mit Abderrhaman in Marokko
angeknüpft, die ihr einst zu Hilfe kommen und ihre Herrschaft auf der Erde be¬
festigen werden. Ihr Meister ist Felzmann, ein nnn eingezogener Webergeselle,
ihr Gott ist das große Alphabet, ihr Lebenszweck: Communismus. Aber
sie haben auch manche gute Ansicht, wie sie nnr wenig solchen ungesetzlichen
Brüderschaften eigen ist. Sie laden nämlich keine Gewehre, weil sie kein Blut
sehen können, ihre Kinder nennen sie Zweige und als Familiennamen gebrauchen
sie ihre Hausnummer. Die haben freilich gut Reden. Wollte man diese Einrich¬
tung in Prag einführen, wo die meisten Häuser ein und dieselbe zweibeinige Num¬
mer aufzuweisen haben, wahrlich alle Menschen müßten hier dann siebenundsech¬
zig heißen.
In Wahrheit ist die Sekte der Adamiter, welche Sie als eine religiöse
und politische Vereinigung mit socialistischen Grundsätzen betrachten können, ein
seltsamer Auswuchs der czechischen Nationalität. Diese Verbindung von barrockem
Idealismus und naiver Rohheit finden Sie sonst nirgend in der Welt, höchstens
bei einigen Jndianerstämmen/— Aus ihrem Glauben machen die Adamiter ein
Geheimniß, ihren eignen Namen dürfen sie nicht aussprechen, Ehe erkennen sie
nicht an, die Frauen gehören der ganzen Gemeinde, und unsre Taufe und alle
Gebräuche des katholischen Kultus verachten sie; dagegen fühlen sie die Pflicht
stets die Wahrheit zu sagen und freundlich gegen alle Menschen zu sein. Diese
Secte ist in dem czechischen Theile Böhmens auf dem Lande viel mehr ausgebreitet
als die Regierung weiß, in einigen Dörfern ist sie vollständig organistrt und von
der Regierung öfter in Untersuchung gezogen worden, weil die Grundsätze ihres
Glaubens und ihrer Moral nichts weniger als gut kaiserlich sind. Allein alles
Verfolgen, Verhören und Einsperren hat nur dazu geholfen, die Mitglieder der¬
selben zu verstockeu und ihre Anzahl zu vermehren. Uebrigens sind die Adamiter
keine Erfindung der neuen Zeit, ans Akte» ist ersichtlich, daß schon vor mehreren
Generationen die Obrigkeit gegen dieselbe Secte eingeschritten ist, und unsre cze¬
chischen Gelehrten werden Ihnen beweisen, daß sie bis in die Zeit der Hussiten-
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