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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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schmeicheln. Um den Gegensatz mit einem Wort zu bezeichnen: damals war die
Willkür der Natur, die ihre Berechtigung suhlen lernte, naiv, heute ist sie re-
flectirt und darum verwerflich.

Ich komme auf die dritte Classe des rechtgläubigen Goethecultus. Es sind
das die Philosophen. Bekanntlich hat seit Schelling die Philosophie einen ihrer
frühern Erscheinung entgegengesetzten Charakter angenommen. Damals konnte
Mephisiopheles mit Recht sagen:


Ein Kerl, der speculirt,
Ist wie ein Thier, auf dürrer Haide
Bon einem bösen Geist umhergeführt,
Und rings umher liegt grüne Waide.

Seit dem hat die Speculation das Mögliche gethan, diese grüne Waide mit
ihrem Netz zu umspannen. Man kann kein philosophisches Buch mehr ausschlagen,
ohne in das Sein und Nichtsein, das Ausich und Fürsich, die Transcendenz und
Immanenz, dieses grane Gewebe der Abstraction, die bunten Feldblumen der
Kunst und Natur verwickelt zu sehn, und Antigone wie der Urwald, Romeo und
Napoleon, schlingen sich wie zierliche Arabesken in die mystischen Hieroglyphen
der heiligen Sprache. Wir verdanke" dieser ins Fleisch und Blut zurückkehrenden
Metaphysik die tiefsten Aufschlüsse über die Mysterien des menschlichen Geistes,
und auch der eingebildete Antodidact, der sie um so gründlicher verabscheut, je
weniger er sie kennt, kann sich ihren Einflüssen nicht entziehn, denn sie pflanzt
sich fort mit der Sprache, die sie entwickelt und bereichert hat. Aber es ist auch
uicht zu leugnen, daß sie sich an der Poesie wie an der Geschichte, schwere Sün¬
den hat zu schulde" kommen lassen. Sie sehnte sich ans der Abstraction heraus,
und umschlang mit aller Liebe, die eine lange Entbehrung begreiflich macht, die
Schätze des Geistes, des Herzens, denen sie eine tiefercre Berechtigung verleihen
wollte, indem sie den scheinbaren Erzeugnissen der Willkür den Stempel einer hö¬
heren Nothwendigkeit ausprägte. So hat sie in den Dichterwerken der verschie¬
densten Zeiten und Völker die Symbole der absoluten Idee nachzuweisen versucht,
und mit besonderer Borliebe Goethe bedacht, theils weil er ihr zunächst lag, theils
weil seine Poesie weich und formlos genug war, um unter geschickten Händen je¬
des beliebige Gepräge aufzunehmen. Sie ist dabei nach zwei Seiten hin ungerecht
geworden: einmal, indem sie durch sophistische Deduction anch die handgreiflichsten
Schwäche" der Anlage durch irgend eine allegorische Wendung zu rechtfertigen
und gar als ewig giltiges Muster zu preisen suchte, anderntheils gegen den Dichter,
de" sie aus der schönen, lebendigen Individualität, der er war, zu einem Schema
des reflectirenden Verstandes herabsetzte. Einer der geistreichsten unter diesen Aus¬
legern, Karl Rosenkranz, hat Goethe in einem eignen Werk ans diese Weise phi¬
losophisch zurechtgelegt, und mich damals (eS war vor der Revolution) ver¬
anlaßt, mit alleu Pathos einer beleidigten sittlich-politischen Empfindung gegen


schmeicheln. Um den Gegensatz mit einem Wort zu bezeichnen: damals war die
Willkür der Natur, die ihre Berechtigung suhlen lernte, naiv, heute ist sie re-
flectirt und darum verwerflich.

Ich komme auf die dritte Classe des rechtgläubigen Goethecultus. Es sind
das die Philosophen. Bekanntlich hat seit Schelling die Philosophie einen ihrer
frühern Erscheinung entgegengesetzten Charakter angenommen. Damals konnte
Mephisiopheles mit Recht sagen:


Ein Kerl, der speculirt,
Ist wie ein Thier, auf dürrer Haide
Bon einem bösen Geist umhergeführt,
Und rings umher liegt grüne Waide.

Seit dem hat die Speculation das Mögliche gethan, diese grüne Waide mit
ihrem Netz zu umspannen. Man kann kein philosophisches Buch mehr ausschlagen,
ohne in das Sein und Nichtsein, das Ausich und Fürsich, die Transcendenz und
Immanenz, dieses grane Gewebe der Abstraction, die bunten Feldblumen der
Kunst und Natur verwickelt zu sehn, und Antigone wie der Urwald, Romeo und
Napoleon, schlingen sich wie zierliche Arabesken in die mystischen Hieroglyphen
der heiligen Sprache. Wir verdanke» dieser ins Fleisch und Blut zurückkehrenden
Metaphysik die tiefsten Aufschlüsse über die Mysterien des menschlichen Geistes,
und auch der eingebildete Antodidact, der sie um so gründlicher verabscheut, je
weniger er sie kennt, kann sich ihren Einflüssen nicht entziehn, denn sie pflanzt
sich fort mit der Sprache, die sie entwickelt und bereichert hat. Aber es ist auch
uicht zu leugnen, daß sie sich an der Poesie wie an der Geschichte, schwere Sün¬
den hat zu schulde» kommen lassen. Sie sehnte sich ans der Abstraction heraus,
und umschlang mit aller Liebe, die eine lange Entbehrung begreiflich macht, die
Schätze des Geistes, des Herzens, denen sie eine tiefercre Berechtigung verleihen
wollte, indem sie den scheinbaren Erzeugnissen der Willkür den Stempel einer hö¬
heren Nothwendigkeit ausprägte. So hat sie in den Dichterwerken der verschie¬
densten Zeiten und Völker die Symbole der absoluten Idee nachzuweisen versucht,
und mit besonderer Borliebe Goethe bedacht, theils weil er ihr zunächst lag, theils
weil seine Poesie weich und formlos genug war, um unter geschickten Händen je¬
des beliebige Gepräge aufzunehmen. Sie ist dabei nach zwei Seiten hin ungerecht
geworden: einmal, indem sie durch sophistische Deduction anch die handgreiflichsten
Schwäche» der Anlage durch irgend eine allegorische Wendung zu rechtfertigen
und gar als ewig giltiges Muster zu preisen suchte, anderntheils gegen den Dichter,
de» sie aus der schönen, lebendigen Individualität, der er war, zu einem Schema
des reflectirenden Verstandes herabsetzte. Einer der geistreichsten unter diesen Aus¬
legern, Karl Rosenkranz, hat Goethe in einem eignen Werk ans diese Weise phi¬
losophisch zurechtgelegt, und mich damals (eS war vor der Revolution) ver¬
anlaßt, mit alleu Pathos einer beleidigten sittlich-politischen Empfindung gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/209>, abgerufen am 05.02.2025.