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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Wir nehmen den höchsten Census an: "Niemand ist Wähler und wählbar,
der nicht wenigstens Ein Rittergut und 20 Ahnen hat." Sehen Sie, das hilft
nicht, denn grade in den höchsten Adel Italiens, Polens, Ungarns ist der Dämon
der Revolution gefahren. -- Nun so machen wir's umgekehrt: "Niemand darf in
die Kammer kommen, der sich nicht als Proletarier legitimiren oder seine Unkennt¬
nis) des Lesens und Schreibens legal nachweisen kann." Hilft wieder nichts,
denn so loyal der rhutenische und romanische Bauer auch sein mag, so steckt die
Demokratie und der nationale Eigendünkel desto fester in dem gemeinen Czechen,
Magyaren, Lombarden, und in dem deutschen Arbeiter nicht minder. -- Wir ge¬
ben also für jedes Kronland ein besonderes Wahlgesetz: "Aus Nhutenien kömmt
der Bauer und aus Steyermark der Adel in die Kammer." Wo bleibt aber da
die viel belobte Gleichberechtigung, und was ist aus dem einen großen Lei¬
sten geworden, der für ganz Oestreich passen soll? -- Nun in Gottesnamen, so
verordnen Wir Franz Joseph in. ^c. "daß nur derjenige östreichische Staatsbürger
wählbar ist, der eine Bijouterie- oder Seidenhandlung in Wien ans dem Kohl-
markt hat." Das heißt in die Scheibe geschossen. So allein kann Oestreich
constitutionell regiert werden. "Mein Sohn reich' mir den alten Hirschfänger von
der Wand, ich gehe die rebellischen Ungarn zu bekriegen" Oestreich kann, wird,
und soll besteh"!" --

Von Rußland und seinem künftigen Einflüsse wollen wir hier nicht weiter
sprechen. Es müßte sonderbar zugehn, wenn "ach der Befteguug der Magyaren
Oestreich noch einen Damm gegen Rußland und nicht vielmehr eine Vormauer
des Ostens gegen Deutschland abgeben würde. Vielleicht auch den Vortrab rus¬
sischer Heere. Es ist Wahnsinn jetzt noch an die alte Misston Oestreichs zu denken.
Bessere Federn haben in diesen Blättern über dieses Thema schon gesprochen. Ich
will nur Eines noch berühren:

Es ist die Ansicht ausgesprochen worden, daß der Banquerott Oestreichs un¬
vermeidlich ist, wenn es im Kampfe den kürzern zieht, und daß wir dann auf
einem Punkte angelangt sind, wo die bürgerliche Gesellschaft bedroht ist. Auch
wir verkennen die Gefahren eines Staatsbankerotts nicht, erlauben uns aber in
Bezug aus Oestreich folgende einfache Bemerkungen:

Die Nationalbank hat faktisch fallirt, von dem Momente, als sie ihre Noten
nicht mehr gegen Silber einlöste. Da'ö Fallissement wurde gegen alles Recht blos
deswegen nicht erklärt, weil der Staat nicht mehr im Stande gewesen wäre, seine
Soldaten zu bezahlen.

Es gibt keine Sorte Papiergeld, das nicht in Oestreich curfirte, darunter
die neuen Assignaten in unbeschränkter Ausgabezahl.

Der Cours des Geldes ist heute Z0 pCt. trotz der Siegesberichte der Wiener
Zeitung. Unser Vermögen ist daher heute schon H seines Werthes herabgesunken.


Grenzboten, lII. 1349. 25

Wir nehmen den höchsten Census an: „Niemand ist Wähler und wählbar,
der nicht wenigstens Ein Rittergut und 20 Ahnen hat." Sehen Sie, das hilft
nicht, denn grade in den höchsten Adel Italiens, Polens, Ungarns ist der Dämon
der Revolution gefahren. — Nun so machen wir's umgekehrt: „Niemand darf in
die Kammer kommen, der sich nicht als Proletarier legitimiren oder seine Unkennt¬
nis) des Lesens und Schreibens legal nachweisen kann." Hilft wieder nichts,
denn so loyal der rhutenische und romanische Bauer auch sein mag, so steckt die
Demokratie und der nationale Eigendünkel desto fester in dem gemeinen Czechen,
Magyaren, Lombarden, und in dem deutschen Arbeiter nicht minder. — Wir ge¬
ben also für jedes Kronland ein besonderes Wahlgesetz: „Aus Nhutenien kömmt
der Bauer und aus Steyermark der Adel in die Kammer." Wo bleibt aber da
die viel belobte Gleichberechtigung, und was ist aus dem einen großen Lei¬
sten geworden, der für ganz Oestreich passen soll? — Nun in Gottesnamen, so
verordnen Wir Franz Joseph in. ^c. „daß nur derjenige östreichische Staatsbürger
wählbar ist, der eine Bijouterie- oder Seidenhandlung in Wien ans dem Kohl-
markt hat." Das heißt in die Scheibe geschossen. So allein kann Oestreich
constitutionell regiert werden. „Mein Sohn reich' mir den alten Hirschfänger von
der Wand, ich gehe die rebellischen Ungarn zu bekriegen» Oestreich kann, wird,
und soll besteh»!" —

Von Rußland und seinem künftigen Einflüsse wollen wir hier nicht weiter
sprechen. Es müßte sonderbar zugehn, wenn »ach der Befteguug der Magyaren
Oestreich noch einen Damm gegen Rußland und nicht vielmehr eine Vormauer
des Ostens gegen Deutschland abgeben würde. Vielleicht auch den Vortrab rus¬
sischer Heere. Es ist Wahnsinn jetzt noch an die alte Misston Oestreichs zu denken.
Bessere Federn haben in diesen Blättern über dieses Thema schon gesprochen. Ich
will nur Eines noch berühren:

Es ist die Ansicht ausgesprochen worden, daß der Banquerott Oestreichs un¬
vermeidlich ist, wenn es im Kampfe den kürzern zieht, und daß wir dann auf
einem Punkte angelangt sind, wo die bürgerliche Gesellschaft bedroht ist. Auch
wir verkennen die Gefahren eines Staatsbankerotts nicht, erlauben uns aber in
Bezug aus Oestreich folgende einfache Bemerkungen:

Die Nationalbank hat faktisch fallirt, von dem Momente, als sie ihre Noten
nicht mehr gegen Silber einlöste. Da'ö Fallissement wurde gegen alles Recht blos
deswegen nicht erklärt, weil der Staat nicht mehr im Stande gewesen wäre, seine
Soldaten zu bezahlen.

Es gibt keine Sorte Papiergeld, das nicht in Oestreich curfirte, darunter
die neuen Assignaten in unbeschränkter Ausgabezahl.

Der Cours des Geldes ist heute Z0 pCt. trotz der Siegesberichte der Wiener
Zeitung. Unser Vermögen ist daher heute schon H seines Werthes herabgesunken.


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[0201] Wir nehmen den höchsten Census an: „Niemand ist Wähler und wählbar, der nicht wenigstens Ein Rittergut und 20 Ahnen hat." Sehen Sie, das hilft nicht, denn grade in den höchsten Adel Italiens, Polens, Ungarns ist der Dämon der Revolution gefahren. — Nun so machen wir's umgekehrt: „Niemand darf in die Kammer kommen, der sich nicht als Proletarier legitimiren oder seine Unkennt¬ nis) des Lesens und Schreibens legal nachweisen kann." Hilft wieder nichts, denn so loyal der rhutenische und romanische Bauer auch sein mag, so steckt die Demokratie und der nationale Eigendünkel desto fester in dem gemeinen Czechen, Magyaren, Lombarden, und in dem deutschen Arbeiter nicht minder. — Wir ge¬ ben also für jedes Kronland ein besonderes Wahlgesetz: „Aus Nhutenien kömmt der Bauer und aus Steyermark der Adel in die Kammer." Wo bleibt aber da die viel belobte Gleichberechtigung, und was ist aus dem einen großen Lei¬ sten geworden, der für ganz Oestreich passen soll? — Nun in Gottesnamen, so verordnen Wir Franz Joseph in. ^c. „daß nur derjenige östreichische Staatsbürger wählbar ist, der eine Bijouterie- oder Seidenhandlung in Wien ans dem Kohl- markt hat." Das heißt in die Scheibe geschossen. So allein kann Oestreich constitutionell regiert werden. „Mein Sohn reich' mir den alten Hirschfänger von der Wand, ich gehe die rebellischen Ungarn zu bekriegen» Oestreich kann, wird, und soll besteh»!" — Von Rußland und seinem künftigen Einflüsse wollen wir hier nicht weiter sprechen. Es müßte sonderbar zugehn, wenn »ach der Befteguug der Magyaren Oestreich noch einen Damm gegen Rußland und nicht vielmehr eine Vormauer des Ostens gegen Deutschland abgeben würde. Vielleicht auch den Vortrab rus¬ sischer Heere. Es ist Wahnsinn jetzt noch an die alte Misston Oestreichs zu denken. Bessere Federn haben in diesen Blättern über dieses Thema schon gesprochen. Ich will nur Eines noch berühren: Es ist die Ansicht ausgesprochen worden, daß der Banquerott Oestreichs un¬ vermeidlich ist, wenn es im Kampfe den kürzern zieht, und daß wir dann auf einem Punkte angelangt sind, wo die bürgerliche Gesellschaft bedroht ist. Auch wir verkennen die Gefahren eines Staatsbankerotts nicht, erlauben uns aber in Bezug aus Oestreich folgende einfache Bemerkungen: Die Nationalbank hat faktisch fallirt, von dem Momente, als sie ihre Noten nicht mehr gegen Silber einlöste. Da'ö Fallissement wurde gegen alles Recht blos deswegen nicht erklärt, weil der Staat nicht mehr im Stande gewesen wäre, seine Soldaten zu bezahlen. Es gibt keine Sorte Papiergeld, das nicht in Oestreich curfirte, darunter die neuen Assignaten in unbeschränkter Ausgabezahl. Der Cours des Geldes ist heute Z0 pCt. trotz der Siegesberichte der Wiener Zeitung. Unser Vermögen ist daher heute schon H seines Werthes herabgesunken. Grenzboten, lII. 1349. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/201>, abgerufen am 05.02.2025.