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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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anderleben schwelgten und die Schranke vergessen konnten, die ihnen bei Babel
gezimmert wurde. Das war im März des vorigen Jahres. Der schöne Traum
war nur zu rasch verflogen.

Die Schranke von Babels Zeiten existirt noch heute. Die Zeit, welche hier
Urgebirge zur Verwitterung bringen, dort Welttheile aus Jnfusorienpanzern zu¬
sammenkleistern konnte, hat über diese Schranke nichts vermocht. Im Gegentheil
hat jedes Jahrhundert einen neuen Holzring um deu bemoosten Baumstamm an¬
schießen lassen. Er ist dickleibig geworden, statt zu verfaulen. Und wäre der
Verwesungsprozeß dennoch möglich gewesen, die Metternich'sche Politik hat ihn
mit allen antiseptischen Kniffen zu hemmen gewußt. Man hoffte viel, man hoffte
alles von den Frnhlingslüsten der Freiheit. Da sie die Schranke nicht zertrüm¬
mern konnten, so sollten sie aus dem knorrigen Stamm einen jungen Trieb her¬
vorlocken, der zum gastlichen Baum heranwachse für alle Nationalitäten. Wir
hofften vergebens. Es ist anders geworden.--

Man hat sich in Deutschland darin gefallen und gefällt sich noch heute darin,
die politischen Anschauungen der liberalen Oestreicher mit einem brüderlich-mit¬
leidigen Achselzucken zu betrachten. Wir hatten "us Jahre hindurch an eine ge¬
gewisse geistige Bevormundung von draußen so gewöhnt, daß wir in unser selbst-
ständiges Auftreten Mißtrauen setzten. Mit Unrecht. Unsere Verhältnisse hat noch
Niemand richtig beurtheilt, der uicht in Oestreich geboren ist, oder durch jahre¬
langen Aufenthalt in den verschiedenen Provinzen der Monarchie den innern Bau
dieser complicirten Staatsmaschine kennen gelernt hat. Viele von uns, die zu
Metternich's Zeiten ein gastliches Asyl außer Oestreichs Grenzen gefunden hatten,
waren bemüht, diesen Mechanismus zu expliciren. Wo sie es thaten, kamen sie
immer zu dem Eudgeständniß, daß das belebende Princip desselben einzig und
allein der abtödtende Absolutismus sei. "Wenn einmal eine Revolution in Oestreich
zu Staude kommt," so haben wir oft gelesen, "dann löst sich dieser unnatürliche
Staatencomplex in seine natürlichen Bestandtheile ans." Die heftigsten Geister
theilten diese Ansicht und vertheidigten sie. Und jetzt, nachdem die Revolution
wirklich über Oestreich gekommen ist, macht sich in vielen deutschen Köpfen die
Ansicht geltend vom Gegentheil. DaS ist eine Inconsequenz, welche durch die
neueste Geschichte am meisten gerechtfertigt wird.

Oestreichs Völker waren im Stande eine Revolution zu machen. Die Re¬
volution war aber uicht vermögend, aus ihnen ein östreichisches Volt zu machen.
Alle Fehler, welche in Oesterreich seit einem Jahre begangen wurden, siud uicht
höher anzuschlagen als die, welche sich das politisch vorbereiteten Deutschland zu
Schulden kommen ließ. Daß letztere am Ende leichter gutzumachen sind, liegt in
den Verhältnissen. Wir tragen die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit
eines starken freien Oestreichs nicht minder lebhaft in uns, als Sie und alle
Well. Die Majorität in Kremsier hat diese Ueberzeugung so warm in sich auf-


anderleben schwelgten und die Schranke vergessen konnten, die ihnen bei Babel
gezimmert wurde. Das war im März des vorigen Jahres. Der schöne Traum
war nur zu rasch verflogen.

Die Schranke von Babels Zeiten existirt noch heute. Die Zeit, welche hier
Urgebirge zur Verwitterung bringen, dort Welttheile aus Jnfusorienpanzern zu¬
sammenkleistern konnte, hat über diese Schranke nichts vermocht. Im Gegentheil
hat jedes Jahrhundert einen neuen Holzring um deu bemoosten Baumstamm an¬
schießen lassen. Er ist dickleibig geworden, statt zu verfaulen. Und wäre der
Verwesungsprozeß dennoch möglich gewesen, die Metternich'sche Politik hat ihn
mit allen antiseptischen Kniffen zu hemmen gewußt. Man hoffte viel, man hoffte
alles von den Frnhlingslüsten der Freiheit. Da sie die Schranke nicht zertrüm¬
mern konnten, so sollten sie aus dem knorrigen Stamm einen jungen Trieb her¬
vorlocken, der zum gastlichen Baum heranwachse für alle Nationalitäten. Wir
hofften vergebens. Es ist anders geworden.--

Man hat sich in Deutschland darin gefallen und gefällt sich noch heute darin,
die politischen Anschauungen der liberalen Oestreicher mit einem brüderlich-mit¬
leidigen Achselzucken zu betrachten. Wir hatten »us Jahre hindurch an eine ge¬
gewisse geistige Bevormundung von draußen so gewöhnt, daß wir in unser selbst-
ständiges Auftreten Mißtrauen setzten. Mit Unrecht. Unsere Verhältnisse hat noch
Niemand richtig beurtheilt, der uicht in Oestreich geboren ist, oder durch jahre¬
langen Aufenthalt in den verschiedenen Provinzen der Monarchie den innern Bau
dieser complicirten Staatsmaschine kennen gelernt hat. Viele von uns, die zu
Metternich's Zeiten ein gastliches Asyl außer Oestreichs Grenzen gefunden hatten,
waren bemüht, diesen Mechanismus zu expliciren. Wo sie es thaten, kamen sie
immer zu dem Eudgeständniß, daß das belebende Princip desselben einzig und
allein der abtödtende Absolutismus sei. „Wenn einmal eine Revolution in Oestreich
zu Staude kommt," so haben wir oft gelesen, „dann löst sich dieser unnatürliche
Staatencomplex in seine natürlichen Bestandtheile ans." Die heftigsten Geister
theilten diese Ansicht und vertheidigten sie. Und jetzt, nachdem die Revolution
wirklich über Oestreich gekommen ist, macht sich in vielen deutschen Köpfen die
Ansicht geltend vom Gegentheil. DaS ist eine Inconsequenz, welche durch die
neueste Geschichte am meisten gerechtfertigt wird.

Oestreichs Völker waren im Stande eine Revolution zu machen. Die Re¬
volution war aber uicht vermögend, aus ihnen ein östreichisches Volt zu machen.
Alle Fehler, welche in Oesterreich seit einem Jahre begangen wurden, siud uicht
höher anzuschlagen als die, welche sich das politisch vorbereiteten Deutschland zu
Schulden kommen ließ. Daß letztere am Ende leichter gutzumachen sind, liegt in
den Verhältnissen. Wir tragen die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit
eines starken freien Oestreichs nicht minder lebhaft in uns, als Sie und alle
Well. Die Majorität in Kremsier hat diese Ueberzeugung so warm in sich auf-


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[0197] anderleben schwelgten und die Schranke vergessen konnten, die ihnen bei Babel gezimmert wurde. Das war im März des vorigen Jahres. Der schöne Traum war nur zu rasch verflogen. Die Schranke von Babels Zeiten existirt noch heute. Die Zeit, welche hier Urgebirge zur Verwitterung bringen, dort Welttheile aus Jnfusorienpanzern zu¬ sammenkleistern konnte, hat über diese Schranke nichts vermocht. Im Gegentheil hat jedes Jahrhundert einen neuen Holzring um deu bemoosten Baumstamm an¬ schießen lassen. Er ist dickleibig geworden, statt zu verfaulen. Und wäre der Verwesungsprozeß dennoch möglich gewesen, die Metternich'sche Politik hat ihn mit allen antiseptischen Kniffen zu hemmen gewußt. Man hoffte viel, man hoffte alles von den Frnhlingslüsten der Freiheit. Da sie die Schranke nicht zertrüm¬ mern konnten, so sollten sie aus dem knorrigen Stamm einen jungen Trieb her¬ vorlocken, der zum gastlichen Baum heranwachse für alle Nationalitäten. Wir hofften vergebens. Es ist anders geworden.-- Man hat sich in Deutschland darin gefallen und gefällt sich noch heute darin, die politischen Anschauungen der liberalen Oestreicher mit einem brüderlich-mit¬ leidigen Achselzucken zu betrachten. Wir hatten »us Jahre hindurch an eine ge¬ gewisse geistige Bevormundung von draußen so gewöhnt, daß wir in unser selbst- ständiges Auftreten Mißtrauen setzten. Mit Unrecht. Unsere Verhältnisse hat noch Niemand richtig beurtheilt, der uicht in Oestreich geboren ist, oder durch jahre¬ langen Aufenthalt in den verschiedenen Provinzen der Monarchie den innern Bau dieser complicirten Staatsmaschine kennen gelernt hat. Viele von uns, die zu Metternich's Zeiten ein gastliches Asyl außer Oestreichs Grenzen gefunden hatten, waren bemüht, diesen Mechanismus zu expliciren. Wo sie es thaten, kamen sie immer zu dem Eudgeständniß, daß das belebende Princip desselben einzig und allein der abtödtende Absolutismus sei. „Wenn einmal eine Revolution in Oestreich zu Staude kommt," so haben wir oft gelesen, „dann löst sich dieser unnatürliche Staatencomplex in seine natürlichen Bestandtheile ans." Die heftigsten Geister theilten diese Ansicht und vertheidigten sie. Und jetzt, nachdem die Revolution wirklich über Oestreich gekommen ist, macht sich in vielen deutschen Köpfen die Ansicht geltend vom Gegentheil. DaS ist eine Inconsequenz, welche durch die neueste Geschichte am meisten gerechtfertigt wird. Oestreichs Völker waren im Stande eine Revolution zu machen. Die Re¬ volution war aber uicht vermögend, aus ihnen ein östreichisches Volt zu machen. Alle Fehler, welche in Oesterreich seit einem Jahre begangen wurden, siud uicht höher anzuschlagen als die, welche sich das politisch vorbereiteten Deutschland zu Schulden kommen ließ. Daß letztere am Ende leichter gutzumachen sind, liegt in den Verhältnissen. Wir tragen die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines starken freien Oestreichs nicht minder lebhaft in uns, als Sie und alle Well. Die Majorität in Kremsier hat diese Ueberzeugung so warm in sich auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/197>, abgerufen am 05.02.2025.