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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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zelnen Figuren, welche sich aus demselben hervorheben, grade deßhalb soviel Por¬
traitähnlichkeit und weniger Kunst als bei Auerbach. Seine Novellenstoffe sind
einfach, sehr einfach auch der Faden, der Verlauf der Handlung. Ein Judenmäd-
chen, welches sich einem französischen General opfert, um von ihrem Geliebten
den Verdacht zu nehmen, daß er ein Angeber seiner Glaubensgenossen sei; Kinder,
welche eine alte Blödsinnige verfolgen und durch die Erzählung ihrer Lebensge¬
schichte gerührt und gebessert werden; ein ungeschickter Bursche, welcher durch un¬
praktisches Wesen zum Verderben kommt; ein Ehepaar, welche sich ohne obrigkeit¬
lichen Conseils geheirathet hat und durch eine Reise der Frau zum Kaiser den
Consens erhält; Märchen ans dem Ghetto und zuletzt als größtes Stück die Ent¬
wickelung zweier jüdischer Kinder bis zu ihrer Emancipation, das sind die einfa¬
chen anekdoteuartigen Stosse, welche er idealisirt. Deshalb haben wir wenig Ge¬
legenheit wahrzunehmen, ob seine Kraft eine Begebenheit zu erfinden, bedeutend
ist oder nicht. Aus der Zusammensetzung der größten Novelle läßt sich nur schließen,
daß der Versasser diese Kraft, wenn er sie auch hat, noch nicht sicher zu gebrauchen
weiß. Und doch hängt von der Größe dieser Kraft, von der Leichtigkeit, poetisch
zu componiren, die Fruchtbarkeit einer Dichterseele ab. Die Franzosen, z. B.
Dumas haben diese werthvolle Begabung in sehr hohem Grade, nur schade, daß
ihnen die zweite Tugend eines erzählenden Poeten, die consequente Darstellung
der Charaktere, nicht eben so gelingt, es ist zu viel celtische Willkür und Gewissenlosig¬
keit in ihren" Wesen. Unsere deutschen Dichter sind grade jetzt in der entgegengesetzten
Lage, daß sie mit Ehrlichkeit und liebenswürdiger Hingebung sich in das Einzelne
vertiefen, die Kunst des Zusammenflusses erst spät und schwer erwerben, weil zur
Erwerbung dieser Fertigkeit das Leben des Dichters selbst viel beitragen muß.
Wenn bei Kompert der Faden seiner Geschichten sehr einfach, oft lose ist, so ist
dagegen die warme Sorgfalt, mit welcher er über den wenigen Figuren schwebt, welche
er darstellt, sehr groß und seine Genauigkeit in der Schilderung eine wahre Erquickung.
Er versteht meisterhaft seine Figuren durch kleine Züge mit kurzen Strichen wirk¬
sam herauszuheben, es ist dabei kein Wort unnütz und jedes Detail lebhast em¬
pfunden und geuau durchdacht. So ist auch seine Sprache. Sie hat das Recht
sich eine künstlerische zu nennen, kein unnützes Wort, kein rhetorischer Schmuck;
sie wirkt durch kurze Sätze, welche ungezwungen einer aus dem andern fließen.
Wir waren in unserer künstlerischen Prosa so tief herunter gekommen und waren
so verstrickt in perciösen Ausdrücken, in Affectation und Manier, daß auch dieser
Vorzug nicht gering anzuschlagen ist. Er benutzt den jüdischen Jargon zum Cha-
rakterisiren mit vielem Geschick, die Erzählung erhält dadurch einen Strich von
dramatischen Leben, der ihr gut steht.

Die Art, wie Kompert den Effect der dargestellten Situation hervorbringt,
hat viel von der stolzen Zurückhaltung, welche wir an Auerbachs Dorfgeschichten
kennen. Der entscheidende Moment wird selten mit dramatischer Lebhaftigkeit dar-


Grcnzbotm. in. 1849. 24

zelnen Figuren, welche sich aus demselben hervorheben, grade deßhalb soviel Por¬
traitähnlichkeit und weniger Kunst als bei Auerbach. Seine Novellenstoffe sind
einfach, sehr einfach auch der Faden, der Verlauf der Handlung. Ein Judenmäd-
chen, welches sich einem französischen General opfert, um von ihrem Geliebten
den Verdacht zu nehmen, daß er ein Angeber seiner Glaubensgenossen sei; Kinder,
welche eine alte Blödsinnige verfolgen und durch die Erzählung ihrer Lebensge¬
schichte gerührt und gebessert werden; ein ungeschickter Bursche, welcher durch un¬
praktisches Wesen zum Verderben kommt; ein Ehepaar, welche sich ohne obrigkeit¬
lichen Conseils geheirathet hat und durch eine Reise der Frau zum Kaiser den
Consens erhält; Märchen ans dem Ghetto und zuletzt als größtes Stück die Ent¬
wickelung zweier jüdischer Kinder bis zu ihrer Emancipation, das sind die einfa¬
chen anekdoteuartigen Stosse, welche er idealisirt. Deshalb haben wir wenig Ge¬
legenheit wahrzunehmen, ob seine Kraft eine Begebenheit zu erfinden, bedeutend
ist oder nicht. Aus der Zusammensetzung der größten Novelle läßt sich nur schließen,
daß der Versasser diese Kraft, wenn er sie auch hat, noch nicht sicher zu gebrauchen
weiß. Und doch hängt von der Größe dieser Kraft, von der Leichtigkeit, poetisch
zu componiren, die Fruchtbarkeit einer Dichterseele ab. Die Franzosen, z. B.
Dumas haben diese werthvolle Begabung in sehr hohem Grade, nur schade, daß
ihnen die zweite Tugend eines erzählenden Poeten, die consequente Darstellung
der Charaktere, nicht eben so gelingt, es ist zu viel celtische Willkür und Gewissenlosig¬
keit in ihren« Wesen. Unsere deutschen Dichter sind grade jetzt in der entgegengesetzten
Lage, daß sie mit Ehrlichkeit und liebenswürdiger Hingebung sich in das Einzelne
vertiefen, die Kunst des Zusammenflusses erst spät und schwer erwerben, weil zur
Erwerbung dieser Fertigkeit das Leben des Dichters selbst viel beitragen muß.
Wenn bei Kompert der Faden seiner Geschichten sehr einfach, oft lose ist, so ist
dagegen die warme Sorgfalt, mit welcher er über den wenigen Figuren schwebt, welche
er darstellt, sehr groß und seine Genauigkeit in der Schilderung eine wahre Erquickung.
Er versteht meisterhaft seine Figuren durch kleine Züge mit kurzen Strichen wirk¬
sam herauszuheben, es ist dabei kein Wort unnütz und jedes Detail lebhast em¬
pfunden und geuau durchdacht. So ist auch seine Sprache. Sie hat das Recht
sich eine künstlerische zu nennen, kein unnützes Wort, kein rhetorischer Schmuck;
sie wirkt durch kurze Sätze, welche ungezwungen einer aus dem andern fließen.
Wir waren in unserer künstlerischen Prosa so tief herunter gekommen und waren
so verstrickt in perciösen Ausdrücken, in Affectation und Manier, daß auch dieser
Vorzug nicht gering anzuschlagen ist. Er benutzt den jüdischen Jargon zum Cha-
rakterisiren mit vielem Geschick, die Erzählung erhält dadurch einen Strich von
dramatischen Leben, der ihr gut steht.

Die Art, wie Kompert den Effect der dargestellten Situation hervorbringt,
hat viel von der stolzen Zurückhaltung, welche wir an Auerbachs Dorfgeschichten
kennen. Der entscheidende Moment wird selten mit dramatischer Lebhaftigkeit dar-


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[0193] zelnen Figuren, welche sich aus demselben hervorheben, grade deßhalb soviel Por¬ traitähnlichkeit und weniger Kunst als bei Auerbach. Seine Novellenstoffe sind einfach, sehr einfach auch der Faden, der Verlauf der Handlung. Ein Judenmäd- chen, welches sich einem französischen General opfert, um von ihrem Geliebten den Verdacht zu nehmen, daß er ein Angeber seiner Glaubensgenossen sei; Kinder, welche eine alte Blödsinnige verfolgen und durch die Erzählung ihrer Lebensge¬ schichte gerührt und gebessert werden; ein ungeschickter Bursche, welcher durch un¬ praktisches Wesen zum Verderben kommt; ein Ehepaar, welche sich ohne obrigkeit¬ lichen Conseils geheirathet hat und durch eine Reise der Frau zum Kaiser den Consens erhält; Märchen ans dem Ghetto und zuletzt als größtes Stück die Ent¬ wickelung zweier jüdischer Kinder bis zu ihrer Emancipation, das sind die einfa¬ chen anekdoteuartigen Stosse, welche er idealisirt. Deshalb haben wir wenig Ge¬ legenheit wahrzunehmen, ob seine Kraft eine Begebenheit zu erfinden, bedeutend ist oder nicht. Aus der Zusammensetzung der größten Novelle läßt sich nur schließen, daß der Versasser diese Kraft, wenn er sie auch hat, noch nicht sicher zu gebrauchen weiß. Und doch hängt von der Größe dieser Kraft, von der Leichtigkeit, poetisch zu componiren, die Fruchtbarkeit einer Dichterseele ab. Die Franzosen, z. B. Dumas haben diese werthvolle Begabung in sehr hohem Grade, nur schade, daß ihnen die zweite Tugend eines erzählenden Poeten, die consequente Darstellung der Charaktere, nicht eben so gelingt, es ist zu viel celtische Willkür und Gewissenlosig¬ keit in ihren« Wesen. Unsere deutschen Dichter sind grade jetzt in der entgegengesetzten Lage, daß sie mit Ehrlichkeit und liebenswürdiger Hingebung sich in das Einzelne vertiefen, die Kunst des Zusammenflusses erst spät und schwer erwerben, weil zur Erwerbung dieser Fertigkeit das Leben des Dichters selbst viel beitragen muß. Wenn bei Kompert der Faden seiner Geschichten sehr einfach, oft lose ist, so ist dagegen die warme Sorgfalt, mit welcher er über den wenigen Figuren schwebt, welche er darstellt, sehr groß und seine Genauigkeit in der Schilderung eine wahre Erquickung. Er versteht meisterhaft seine Figuren durch kleine Züge mit kurzen Strichen wirk¬ sam herauszuheben, es ist dabei kein Wort unnütz und jedes Detail lebhast em¬ pfunden und geuau durchdacht. So ist auch seine Sprache. Sie hat das Recht sich eine künstlerische zu nennen, kein unnützes Wort, kein rhetorischer Schmuck; sie wirkt durch kurze Sätze, welche ungezwungen einer aus dem andern fließen. Wir waren in unserer künstlerischen Prosa so tief herunter gekommen und waren so verstrickt in perciösen Ausdrücken, in Affectation und Manier, daß auch dieser Vorzug nicht gering anzuschlagen ist. Er benutzt den jüdischen Jargon zum Cha- rakterisiren mit vielem Geschick, die Erzählung erhält dadurch einen Strich von dramatischen Leben, der ihr gut steht. Die Art, wie Kompert den Effect der dargestellten Situation hervorbringt, hat viel von der stolzen Zurückhaltung, welche wir an Auerbachs Dorfgeschichten kennen. Der entscheidende Moment wird selten mit dramatischer Lebhaftigkeit dar- Grcnzbotm. in. 1849. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/193>, abgerufen am 05.02.2025.