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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Meereswogen, in dem Wunderbaren und seltsamen, was fremden Völkern und
fremden Zeiten angehörte; sie suchte die Eindrücke, welche das Schaffen hervor¬
rufen sollten. Da sie schwach und erschlafft war, brauchte sie starke Reizmittel,
und weil sie in ihrem eignen Leben nichts Neues und Originelles fand, fixirte sie
ihre productive Kraft auf dem fremden Origineller und seltsamen, welches ihr impo-
nirte, weil es einen Gegensatz zur Wirklichkeit bildete. Rückert's Dichtungen nach
dem Persischen und Indischen, Immermann's Tnlifäntchen und Hofschulze, die
Oestreicher Lenau und Anastasius Grün und Freiligrath sind die Repräsentanten dieser
Richtung. Sie Alle haben, mit Ausnahme Rückert's, dessen Individualität in
einer früheren Zeit ihre Erklärung findet, sehr viel Gemeinsames. Ihnen Allen
wurde das Produciren nicht leicht, es bedürfte einer starken Anregung, sie zu
reizen. Der Eindruck, welcher in ihrer Seele sich zum Gedicht krystallisirt, ist
fast immer ein Bild, eine Situation, deren Eigenthümlichkeit sie mit weicher In¬
dolenz auf sich wirken lassen, ohne dasselbe mit ihrem Leben zu füllen oder in
Bewegung zu setzen, wo sie das Bestreben äußern, die einzelnen Bilder zu ver¬
binden, oder dieselben in Fluß zu bringen, sind sie ungeschickt; ein Ganzes zu
componiren versteh" sie nicht. Die Entwicklung einer Begebenheit aus dem In¬
nern der Personen sehlt, was sie den einzelnen Bildern zufügen, sind rhetorische
Ergüsse. Weder Lenau, noch Anastasius Grün ist bis zum Epos durchgedrungen,
ihr letzter Ritter, Schutt, Savanarola, Albiugenser ze. sind nichts als einzelne
Bilder, durch einen dünnen Faden verbunden. Aus demselben Grunde aber sind
sie sehr ausführlich in der Staffage und dein Detailschmuck. Die Art und Weise,
wie Freiligrath sein Wüstenbild mit wenig Strichen herausgeputzt, wie Grün die
Schlinggewächse um seine Ruinen bindet und Lenau die allegorische Bedeutung aus
dem Bilde herauszieht, sind höchst interessant und charakteristisch; auch die Formen
ihrer Poesie, ihre Nythmik, ihre Verse haben dasselbe Gepräge, viel Raffinement,
viel Künstelei und doch dabei eine innerliche Rohheit und Unbehilflichkeit. Aus
jedem Gedicht wird eine spätere Zeit bei ihnen erkennen, daß sie die letzten Aus-
läufer eiues großen hundertjährigen Stockes deutscher Poesie waren, welche sich
mühsam neue Luft und neues Licht auf einem Terrain suchten, welches von der
Blätterfülle älterer Zweige bereits bedeckt und ausgesogen war.

Aber die schöpferische Kraft einer großen Nation erschöpft sich nach keiner Rich¬
tung ganz, und was der Abschluß einer Entwickelungsperiode wird, bildet zu glei¬
cher Zeit den Uebergang zu einer neuen. Bei den erwähnten Dichtern ist bereits
eine von den Eigenthümlichkeiten erkennbar, welche die Fortbildung der deutschen
Poesie charakteristren, ihr Instinkt für das Detail, ihr Streben Eigenthümlichkeiten
der Objecte darzustellen. Noch ist ihr Charakteristren oft wunderlich und manirirt,
noch sind es nicht vorzugsweise Menschen, sondern Naturgebilde, starre Massen ze.,
aber die Neigung ist doch schon vorhanden, die große Welt der Objecte zu ver-
stehn und darzustellen. Eine neue Kunstblüthe aber wird bei uns Deutschen ein Käs-


Meereswogen, in dem Wunderbaren und seltsamen, was fremden Völkern und
fremden Zeiten angehörte; sie suchte die Eindrücke, welche das Schaffen hervor¬
rufen sollten. Da sie schwach und erschlafft war, brauchte sie starke Reizmittel,
und weil sie in ihrem eignen Leben nichts Neues und Originelles fand, fixirte sie
ihre productive Kraft auf dem fremden Origineller und seltsamen, welches ihr impo-
nirte, weil es einen Gegensatz zur Wirklichkeit bildete. Rückert's Dichtungen nach
dem Persischen und Indischen, Immermann's Tnlifäntchen und Hofschulze, die
Oestreicher Lenau und Anastasius Grün und Freiligrath sind die Repräsentanten dieser
Richtung. Sie Alle haben, mit Ausnahme Rückert's, dessen Individualität in
einer früheren Zeit ihre Erklärung findet, sehr viel Gemeinsames. Ihnen Allen
wurde das Produciren nicht leicht, es bedürfte einer starken Anregung, sie zu
reizen. Der Eindruck, welcher in ihrer Seele sich zum Gedicht krystallisirt, ist
fast immer ein Bild, eine Situation, deren Eigenthümlichkeit sie mit weicher In¬
dolenz auf sich wirken lassen, ohne dasselbe mit ihrem Leben zu füllen oder in
Bewegung zu setzen, wo sie das Bestreben äußern, die einzelnen Bilder zu ver¬
binden, oder dieselben in Fluß zu bringen, sind sie ungeschickt; ein Ganzes zu
componiren versteh» sie nicht. Die Entwicklung einer Begebenheit aus dem In¬
nern der Personen sehlt, was sie den einzelnen Bildern zufügen, sind rhetorische
Ergüsse. Weder Lenau, noch Anastasius Grün ist bis zum Epos durchgedrungen,
ihr letzter Ritter, Schutt, Savanarola, Albiugenser ze. sind nichts als einzelne
Bilder, durch einen dünnen Faden verbunden. Aus demselben Grunde aber sind
sie sehr ausführlich in der Staffage und dein Detailschmuck. Die Art und Weise,
wie Freiligrath sein Wüstenbild mit wenig Strichen herausgeputzt, wie Grün die
Schlinggewächse um seine Ruinen bindet und Lenau die allegorische Bedeutung aus
dem Bilde herauszieht, sind höchst interessant und charakteristisch; auch die Formen
ihrer Poesie, ihre Nythmik, ihre Verse haben dasselbe Gepräge, viel Raffinement,
viel Künstelei und doch dabei eine innerliche Rohheit und Unbehilflichkeit. Aus
jedem Gedicht wird eine spätere Zeit bei ihnen erkennen, daß sie die letzten Aus-
läufer eiues großen hundertjährigen Stockes deutscher Poesie waren, welche sich
mühsam neue Luft und neues Licht auf einem Terrain suchten, welches von der
Blätterfülle älterer Zweige bereits bedeckt und ausgesogen war.

Aber die schöpferische Kraft einer großen Nation erschöpft sich nach keiner Rich¬
tung ganz, und was der Abschluß einer Entwickelungsperiode wird, bildet zu glei¬
cher Zeit den Uebergang zu einer neuen. Bei den erwähnten Dichtern ist bereits
eine von den Eigenthümlichkeiten erkennbar, welche die Fortbildung der deutschen
Poesie charakteristren, ihr Instinkt für das Detail, ihr Streben Eigenthümlichkeiten
der Objecte darzustellen. Noch ist ihr Charakteristren oft wunderlich und manirirt,
noch sind es nicht vorzugsweise Menschen, sondern Naturgebilde, starre Massen ze.,
aber die Neigung ist doch schon vorhanden, die große Welt der Objecte zu ver-
stehn und darzustellen. Eine neue Kunstblüthe aber wird bei uns Deutschen ein Käs-


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[0190] Meereswogen, in dem Wunderbaren und seltsamen, was fremden Völkern und fremden Zeiten angehörte; sie suchte die Eindrücke, welche das Schaffen hervor¬ rufen sollten. Da sie schwach und erschlafft war, brauchte sie starke Reizmittel, und weil sie in ihrem eignen Leben nichts Neues und Originelles fand, fixirte sie ihre productive Kraft auf dem fremden Origineller und seltsamen, welches ihr impo- nirte, weil es einen Gegensatz zur Wirklichkeit bildete. Rückert's Dichtungen nach dem Persischen und Indischen, Immermann's Tnlifäntchen und Hofschulze, die Oestreicher Lenau und Anastasius Grün und Freiligrath sind die Repräsentanten dieser Richtung. Sie Alle haben, mit Ausnahme Rückert's, dessen Individualität in einer früheren Zeit ihre Erklärung findet, sehr viel Gemeinsames. Ihnen Allen wurde das Produciren nicht leicht, es bedürfte einer starken Anregung, sie zu reizen. Der Eindruck, welcher in ihrer Seele sich zum Gedicht krystallisirt, ist fast immer ein Bild, eine Situation, deren Eigenthümlichkeit sie mit weicher In¬ dolenz auf sich wirken lassen, ohne dasselbe mit ihrem Leben zu füllen oder in Bewegung zu setzen, wo sie das Bestreben äußern, die einzelnen Bilder zu ver¬ binden, oder dieselben in Fluß zu bringen, sind sie ungeschickt; ein Ganzes zu componiren versteh» sie nicht. Die Entwicklung einer Begebenheit aus dem In¬ nern der Personen sehlt, was sie den einzelnen Bildern zufügen, sind rhetorische Ergüsse. Weder Lenau, noch Anastasius Grün ist bis zum Epos durchgedrungen, ihr letzter Ritter, Schutt, Savanarola, Albiugenser ze. sind nichts als einzelne Bilder, durch einen dünnen Faden verbunden. Aus demselben Grunde aber sind sie sehr ausführlich in der Staffage und dein Detailschmuck. Die Art und Weise, wie Freiligrath sein Wüstenbild mit wenig Strichen herausgeputzt, wie Grün die Schlinggewächse um seine Ruinen bindet und Lenau die allegorische Bedeutung aus dem Bilde herauszieht, sind höchst interessant und charakteristisch; auch die Formen ihrer Poesie, ihre Nythmik, ihre Verse haben dasselbe Gepräge, viel Raffinement, viel Künstelei und doch dabei eine innerliche Rohheit und Unbehilflichkeit. Aus jedem Gedicht wird eine spätere Zeit bei ihnen erkennen, daß sie die letzten Aus- läufer eiues großen hundertjährigen Stockes deutscher Poesie waren, welche sich mühsam neue Luft und neues Licht auf einem Terrain suchten, welches von der Blätterfülle älterer Zweige bereits bedeckt und ausgesogen war. Aber die schöpferische Kraft einer großen Nation erschöpft sich nach keiner Rich¬ tung ganz, und was der Abschluß einer Entwickelungsperiode wird, bildet zu glei¬ cher Zeit den Uebergang zu einer neuen. Bei den erwähnten Dichtern ist bereits eine von den Eigenthümlichkeiten erkennbar, welche die Fortbildung der deutschen Poesie charakteristren, ihr Instinkt für das Detail, ihr Streben Eigenthümlichkeiten der Objecte darzustellen. Noch ist ihr Charakteristren oft wunderlich und manirirt, noch sind es nicht vorzugsweise Menschen, sondern Naturgebilde, starre Massen ze., aber die Neigung ist doch schon vorhanden, die große Welt der Objecte zu ver- stehn und darzustellen. Eine neue Kunstblüthe aber wird bei uns Deutschen ein Käs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/190>, abgerufen am 05.02.2025.