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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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eröffnung (6. Juni) in Stuttgart 104 Mitglieder: darunter U! aus Oestreich,
1" aus Preußen, aus Baiern, 1V aus Sachse", 22 aus Würtemberg. (>s
beschloß noch, nachdem Löwe zum Präsidenten ernannt war, an demselben Tage,
die Centralgewalt durch eine Regentschaft von 5 Mitgliedern zu ersehen, zu denen
Raveaux, Vogt, Schüler, H. Simon und Becker gewählt wurde. Diese soge¬
nannte Ncichsregentschaft erließ den folgenden Tag eine Proclamation, worin bei
Strafe des Hochverraths gebeten wurde, ihren Befehlen in allen Punkten und
nicht etwa der bisherigen Centralgewalt zu gehorchen. Die Würtenberger Regie¬
rung erließ eine Gegenproclamation, und die Kammer bestätigte mit "v .- 4V
Stimmen die Ansicht, daß Würtemberg nur nach Behörden zu gehorchen habe.
Die Regentschaft, die in einem beständigen Schwindel gelebt zu haben scheint, er¬
ließ einen Befehl uach dem andern an preußische und audere Generale, sandte
Commissionen ab, entsetzte einen würtembergcr General, bis endlich (13. Juni)
Römer sie ernsthaft aufforderte, sich aus Würtemberg zu entfernen. Er erklärte in
der Kammer, daß er weder die eine noch die andere Centralgewalt anerkennen
und mit Preußen auch nichts zu thun haben wollte. Als endlich (Ili. Juni) das
Parlament ein Wchrgcsctz erließ, nach welchem sie die Disposition über sämmtliche
streitbare Mannschaft der Regentschaft übertrug, verbot Römer seinen ferneren Zu¬
sammentritt und ließ es (>8.Juni) durch Militär auseinandersprengen. Die Kam¬
mer erklärte die Anklage, die deshalb gegen ihn erhoben wurde, mit 43 : 37
Stimmen für uicht dringlich. So kläglich endete eine Versammlung, welche ein
Jahr hindurch der Stolz Deutschlands gewesen war; keine Hand wurde für sie
aufgehoben.

Indeß hatte man von der andern Seite das Verfassnngswcrk wieder aufge¬
nommen. Den 28. Mai publicirte der Preußische Staatsanzetger das zwischen
Preußen, Hannover und Sachsen abgeschlossene Separatbündniß und einen von
ihnen gemeinsam vorgelegten Entwurf sür das Reich, das aus den Staaten be¬
stehen sollte, welche sich freiwillig ihnen anschlössen. Baiern hatte seine Mit¬
wirkung versagt, Oestreich war wieder in seine alte Rolle des Protestirens zurück¬
getreten. Auch der König von Sachsen erließ eine Proclamation, nach welcher
den sächsischen Kammern die Ratifikation dieses Bündnisses vorbehalten w''.rde. Am
bedenklichsten war das vctroyirte Wahlgesetz, das bei den verwickelten und un-
gleichen Stcuerverhältnissen der verschiedenen Länder kaum durchzuführen sein
dürste. Offen find diesem Bündiß, das durch eine officielle Denkschrift (I I . Juni)
näher declarirt und dessen Ausführung durch Einsetzung eines Verwaltungsraths
(>8. Juni), bestehend aus v. Canitz-Dalwitz, v. Zeschau und v. Wangenheim in
Angriff genommen, bis jetzt nnr die beiden Meklenburg (15>. Juni) und Anhalt-
Bcrnbnrg beigetreten, in's Geheim wahrscheinlich aber auch der Großherzog von
Baden, der gegenwärtig in Frankfurt residirt und sein bisheriges liberales Mini¬
sterium Beck (M Juni) mit einem conservativen unter Klüber vertauscht hat. In-


eröffnung (6. Juni) in Stuttgart 104 Mitglieder: darunter U! aus Oestreich,
1» aus Preußen, aus Baiern, 1V aus Sachse», 22 aus Würtemberg. (>s
beschloß noch, nachdem Löwe zum Präsidenten ernannt war, an demselben Tage,
die Centralgewalt durch eine Regentschaft von 5 Mitgliedern zu ersehen, zu denen
Raveaux, Vogt, Schüler, H. Simon und Becker gewählt wurde. Diese soge¬
nannte Ncichsregentschaft erließ den folgenden Tag eine Proclamation, worin bei
Strafe des Hochverraths gebeten wurde, ihren Befehlen in allen Punkten und
nicht etwa der bisherigen Centralgewalt zu gehorchen. Die Würtenberger Regie¬
rung erließ eine Gegenproclamation, und die Kammer bestätigte mit «v .- 4V
Stimmen die Ansicht, daß Würtemberg nur nach Behörden zu gehorchen habe.
Die Regentschaft, die in einem beständigen Schwindel gelebt zu haben scheint, er¬
ließ einen Befehl uach dem andern an preußische und audere Generale, sandte
Commissionen ab, entsetzte einen würtembergcr General, bis endlich (13. Juni)
Römer sie ernsthaft aufforderte, sich aus Würtemberg zu entfernen. Er erklärte in
der Kammer, daß er weder die eine noch die andere Centralgewalt anerkennen
und mit Preußen auch nichts zu thun haben wollte. Als endlich (Ili. Juni) das
Parlament ein Wchrgcsctz erließ, nach welchem sie die Disposition über sämmtliche
streitbare Mannschaft der Regentschaft übertrug, verbot Römer seinen ferneren Zu¬
sammentritt und ließ es (>8.Juni) durch Militär auseinandersprengen. Die Kam¬
mer erklärte die Anklage, die deshalb gegen ihn erhoben wurde, mit 43 : 37
Stimmen für uicht dringlich. So kläglich endete eine Versammlung, welche ein
Jahr hindurch der Stolz Deutschlands gewesen war; keine Hand wurde für sie
aufgehoben.

Indeß hatte man von der andern Seite das Verfassnngswcrk wieder aufge¬
nommen. Den 28. Mai publicirte der Preußische Staatsanzetger das zwischen
Preußen, Hannover und Sachsen abgeschlossene Separatbündniß und einen von
ihnen gemeinsam vorgelegten Entwurf sür das Reich, das aus den Staaten be¬
stehen sollte, welche sich freiwillig ihnen anschlössen. Baiern hatte seine Mit¬
wirkung versagt, Oestreich war wieder in seine alte Rolle des Protestirens zurück¬
getreten. Auch der König von Sachsen erließ eine Proclamation, nach welcher
den sächsischen Kammern die Ratifikation dieses Bündnisses vorbehalten w''.rde. Am
bedenklichsten war das vctroyirte Wahlgesetz, das bei den verwickelten und un-
gleichen Stcuerverhältnissen der verschiedenen Länder kaum durchzuführen sein
dürste. Offen find diesem Bündiß, das durch eine officielle Denkschrift (I I . Juni)
näher declarirt und dessen Ausführung durch Einsetzung eines Verwaltungsraths
(>8. Juni), bestehend aus v. Canitz-Dalwitz, v. Zeschau und v. Wangenheim in
Angriff genommen, bis jetzt nnr die beiden Meklenburg (15>. Juni) und Anhalt-
Bcrnbnrg beigetreten, in's Geheim wahrscheinlich aber auch der Großherzog von
Baden, der gegenwärtig in Frankfurt residirt und sein bisheriges liberales Mini¬
sterium Beck (M Juni) mit einem conservativen unter Klüber vertauscht hat. In-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/18>, abgerufen am 05.02.2025.