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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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lische Gesinnung uns wieder olle" Gefahren der Revolution preisgäbe, hält nicht
Stich. Die Sehnsucht nach festen und geordneten Zuständen wächst vielmehr von
Tage zu Tage in sämmtlichen Volksklassen. Sobald es ein liberales Ministerium
ist, welches die neuen Wahlen ausschreibt, ein Ministerium, welches sofort durch
Thaten zeigt, daß es nicht blos nach links hin Festigkeit und Kraft zu entwickeln
gemeint ist, so kann es der Volksvertreter sicher sein. Und gegen augenblickliche
Überschreitungen schützt auf alle Fälle die erste Kammer.

Bei der gegenwärtig herrschenden Stimmung wäre es nicht unmöglich gewe¬
sen, wenn die Demokraten sich an der Wahl betheiligten, daß die Opposition
selbst nach diesem Modus wenigstens über eine sehr Achtung gebietende Minori¬
tät zu verfügen hätte. Was sie dagegen mit ihrer großartigen Demonstration,
dem Nichtwählen mit obligater Promenade und Controle über die Zahl der
nichtwählenden, eigentlich bezweckt haben, ist schwer zu sagen. Zunächst kommen
sie dadurch der immer mehr zunehmenden Apathie der Masse entgegen, der ein
solcher "passiver Widerstand" höchst bequem ist, und arbeiten dadurch der offenen
absolutistischen Reaction in die Hände, die zu demselben Zweck mit größern Mitteln
und größerm Erfolg thätig ist. Was soll die Zählung der Nichtwähler? Von
der Illusion derjenigen, die sich selber weiß machen möchten, sie hätten damit eine
Uebersicht über die demokratische Partei, will ich gar uicht reden; aber auch die
anf> ichtigern unter ihnen, die nicht das Nichtwählen, sondern den Protest gegen
die Wahl als das Schiboleth ihrer Partei ansehen und die auf dieses Schiboleth
hin die Partei organisiren wollen, täuschen sich darin, denn eine Partei wird
nicht durch dasjenige zusammengehalten, was sie nicht will, sondern durch das
was sie will. Einen neuen Rechtsgrund, gegen die Beschlüsse der neuen Kammern
zu Protestiren, erhalten sie durch die Nichtwahl keineswegs; denn es ist ein ur¬
alter Rechtsgrundsatz: vnlcmti inn M iujm ni -- warum nehmen sie ihre Rechte nicht
wahr? Und wenn sie darauf rechnen, daß alle diejenigen, welche sie auf der be¬
quemen Promenade dieses passiven Widerstandes begleiten, ihnen auch treu blei¬
ben werden, wenn es zum ernstlichen Conflict kömmt, z. B. zur Verweigerung
der von den neuen Kammern bewilligten Steuern, so möchte eine solche Rechnung
denn doch auf Sand gebaut sein. Gewonnen haben sie also durch ihr Verfahren
für die gute Sache nichts, sie haben ihr aber geschadet.

Die bestimmte Scheidung zwischeu Wählern und NichtWählern erweitert die
Kluft zwischen den beiden Fractionen der liberalen Partei, das unglückselige
Erbtheil der alten Constituante. Diese Scheidung hat schon zur Zeit der letzten
Kammern die unglückselige Wendung in der deutschen Frage bedingt, sie hat die
Regierung gestärkt, weil sie die Opposition spaltete und ihre Kräfte in gegen¬
seitigen Anfechtungen aufrieb. Von der einen Seite wird in dem stolzen Bewußt¬
sein , daß man nun -- man darf ja nur die nicht abgegebene Wahllegitimation
an den Hut stecken -- eine Cocarde trägt, über die kein Zweifel obwalten kann,


lische Gesinnung uns wieder olle» Gefahren der Revolution preisgäbe, hält nicht
Stich. Die Sehnsucht nach festen und geordneten Zuständen wächst vielmehr von
Tage zu Tage in sämmtlichen Volksklassen. Sobald es ein liberales Ministerium
ist, welches die neuen Wahlen ausschreibt, ein Ministerium, welches sofort durch
Thaten zeigt, daß es nicht blos nach links hin Festigkeit und Kraft zu entwickeln
gemeint ist, so kann es der Volksvertreter sicher sein. Und gegen augenblickliche
Überschreitungen schützt auf alle Fälle die erste Kammer.

Bei der gegenwärtig herrschenden Stimmung wäre es nicht unmöglich gewe¬
sen, wenn die Demokraten sich an der Wahl betheiligten, daß die Opposition
selbst nach diesem Modus wenigstens über eine sehr Achtung gebietende Minori¬
tät zu verfügen hätte. Was sie dagegen mit ihrer großartigen Demonstration,
dem Nichtwählen mit obligater Promenade und Controle über die Zahl der
nichtwählenden, eigentlich bezweckt haben, ist schwer zu sagen. Zunächst kommen
sie dadurch der immer mehr zunehmenden Apathie der Masse entgegen, der ein
solcher „passiver Widerstand" höchst bequem ist, und arbeiten dadurch der offenen
absolutistischen Reaction in die Hände, die zu demselben Zweck mit größern Mitteln
und größerm Erfolg thätig ist. Was soll die Zählung der Nichtwähler? Von
der Illusion derjenigen, die sich selber weiß machen möchten, sie hätten damit eine
Uebersicht über die demokratische Partei, will ich gar uicht reden; aber auch die
anf> ichtigern unter ihnen, die nicht das Nichtwählen, sondern den Protest gegen
die Wahl als das Schiboleth ihrer Partei ansehen und die auf dieses Schiboleth
hin die Partei organisiren wollen, täuschen sich darin, denn eine Partei wird
nicht durch dasjenige zusammengehalten, was sie nicht will, sondern durch das
was sie will. Einen neuen Rechtsgrund, gegen die Beschlüsse der neuen Kammern
zu Protestiren, erhalten sie durch die Nichtwahl keineswegs; denn es ist ein ur¬
alter Rechtsgrundsatz: vnlcmti inn M iujm ni — warum nehmen sie ihre Rechte nicht
wahr? Und wenn sie darauf rechnen, daß alle diejenigen, welche sie auf der be¬
quemen Promenade dieses passiven Widerstandes begleiten, ihnen auch treu blei¬
ben werden, wenn es zum ernstlichen Conflict kömmt, z. B. zur Verweigerung
der von den neuen Kammern bewilligten Steuern, so möchte eine solche Rechnung
denn doch auf Sand gebaut sein. Gewonnen haben sie also durch ihr Verfahren
für die gute Sache nichts, sie haben ihr aber geschadet.

Die bestimmte Scheidung zwischeu Wählern und NichtWählern erweitert die
Kluft zwischen den beiden Fractionen der liberalen Partei, das unglückselige
Erbtheil der alten Constituante. Diese Scheidung hat schon zur Zeit der letzten
Kammern die unglückselige Wendung in der deutschen Frage bedingt, sie hat die
Regierung gestärkt, weil sie die Opposition spaltete und ihre Kräfte in gegen¬
seitigen Anfechtungen aufrieb. Von der einen Seite wird in dem stolzen Bewußt¬
sein , daß man nun — man darf ja nur die nicht abgegebene Wahllegitimation
an den Hut stecken — eine Cocarde trägt, über die kein Zweifel obwalten kann,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/176>, abgerufen am 05.02.2025.