Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

logische Richtung nicht ohne Einfluß bleiben konnte. Im Jahr 1823 kam der
Vater des jetzigen Königs nach dem Congreß zu Verona nach Rom, um die be¬
rühmte Weltstadt kennen zu lernen. Niebuhr, dem es eigentlich zugekommen
wäre, den Führer zu machen, langweilte den königlichen Herrn durch eine gewisse
Schroffheit und durch wissenschaftlichen Rigorismus"). Bunsen dagegen benahm
sich sehr taktvoll und geschmeidig, wurde zum Cicerone erkoren und gewann des
Königs ganzes Herz. Nachdem Niebuhr bald darauf seinem Wunsche gemäß der
Gesandtschaftsstelle enthöbe" und in Bonn als Professor angestellt worden, da
wurde Bunsen von Sr. Maj. zum wirklichen Geschäftsträger in Rom ernannt,
und zwar ohne daß er je in Berlin gewesen war! -- Es scheint, daß er schon
während der Anwesenheit des Königs in Rom mit demselben über seine liturgi¬
schen Wünsche gesprochen hat. Wenigstens correspondirte er von dieser Zeit an
darüber mit dem König, welchem bekanntlich die neue Agende eine große Herzens¬
angelegenheit war, dergestalt, daß Se. Maj. selbst in Gemeinschaft mit dem Ad¬
jutanten v. Witzleben als eigenlicher Urheber dieser vielbesprochnen und vielfach
angefochtenen liturgischen Schöpfung betrachtet werden muß. In wieweit dabei
der König aus die Bunsen'schen Ansichten eingegangen ist, bleibt dahingestellt;
höchst merkwürdig aber und zugleich sehr bezeichnend für Bunsen's Einfluß ist, daß
er für den sogenannten "capitolinischen Gottesdienst" **) der preußischen Gesandt¬
schaft in Rom die Einführung einer abweichenden Liturgie durchzusetzen wußte, in
welcher sich viele und starke Anklänge an die Liturgie der Episcopalkirche finden.
Bunsen that jedoch -- wahrscheinlich aus Rücksicht auf die in Deutschland ge-
handhabte Praxis des Königs -- mit seiner Liturgie sehr geheimnißvoll; denn
ungeachtet dieselbe gedruckt worden war, so konnte doch Professor Fleck ans
Leipzig während seines der Wissenschaft gewidmeten Aufenthaltes in Rom trotz
aller Bemühungen keinen Abdruck für sich erlangen. Gewiß eine sonderbare Ge-
heimnißkrämerei! --

Im Jahre 1829 kam der damalige Kronprinz, jetzige König, begleitet von
Ancillon, nach Italien. Bunsen diente abermals als Führer und gewann den
Kronprinzen durch die historisch-artistischen Interessen, wie er den königlichen Vater
durch die theologischen Interessen gewonnen hatte. Nun stieg er in kurzer Zeit
zum Ministerresidenten, geheimen Legationsrath und erhielt den rothen Adlerorden,




So z. B. unterhielt er den König mit antiquarischen, nur den Fachgelehrten interessi-
renden Details, ließ ihn vier Stockwerk hoch eine Reise durch eine Reihe von Wandschränken
machen, um ihm ein Stück Cyclopenmauer zu zeigen, überhörte absichtlich die dreimalige
Frage, wer Palestrina gewesen, weil er sich über die königliche Ignoranz ärgerte u. s. w.
Die preußische Gesandtschaft bewohnt nämlich seit einer Reihe von Jahren den auf
dem Capitol gelegenen Palast Cafarelli, in welchem sich auch die Gesandtschaftscavelle und
die Wohnung des Gesandtschastspredigerö befindet.

logische Richtung nicht ohne Einfluß bleiben konnte. Im Jahr 1823 kam der
Vater des jetzigen Königs nach dem Congreß zu Verona nach Rom, um die be¬
rühmte Weltstadt kennen zu lernen. Niebuhr, dem es eigentlich zugekommen
wäre, den Führer zu machen, langweilte den königlichen Herrn durch eine gewisse
Schroffheit und durch wissenschaftlichen Rigorismus"). Bunsen dagegen benahm
sich sehr taktvoll und geschmeidig, wurde zum Cicerone erkoren und gewann des
Königs ganzes Herz. Nachdem Niebuhr bald darauf seinem Wunsche gemäß der
Gesandtschaftsstelle enthöbe» und in Bonn als Professor angestellt worden, da
wurde Bunsen von Sr. Maj. zum wirklichen Geschäftsträger in Rom ernannt,
und zwar ohne daß er je in Berlin gewesen war! — Es scheint, daß er schon
während der Anwesenheit des Königs in Rom mit demselben über seine liturgi¬
schen Wünsche gesprochen hat. Wenigstens correspondirte er von dieser Zeit an
darüber mit dem König, welchem bekanntlich die neue Agende eine große Herzens¬
angelegenheit war, dergestalt, daß Se. Maj. selbst in Gemeinschaft mit dem Ad¬
jutanten v. Witzleben als eigenlicher Urheber dieser vielbesprochnen und vielfach
angefochtenen liturgischen Schöpfung betrachtet werden muß. In wieweit dabei
der König aus die Bunsen'schen Ansichten eingegangen ist, bleibt dahingestellt;
höchst merkwürdig aber und zugleich sehr bezeichnend für Bunsen's Einfluß ist, daß
er für den sogenannten „capitolinischen Gottesdienst" **) der preußischen Gesandt¬
schaft in Rom die Einführung einer abweichenden Liturgie durchzusetzen wußte, in
welcher sich viele und starke Anklänge an die Liturgie der Episcopalkirche finden.
Bunsen that jedoch — wahrscheinlich aus Rücksicht auf die in Deutschland ge-
handhabte Praxis des Königs — mit seiner Liturgie sehr geheimnißvoll; denn
ungeachtet dieselbe gedruckt worden war, so konnte doch Professor Fleck ans
Leipzig während seines der Wissenschaft gewidmeten Aufenthaltes in Rom trotz
aller Bemühungen keinen Abdruck für sich erlangen. Gewiß eine sonderbare Ge-
heimnißkrämerei! —

Im Jahre 1829 kam der damalige Kronprinz, jetzige König, begleitet von
Ancillon, nach Italien. Bunsen diente abermals als Führer und gewann den
Kronprinzen durch die historisch-artistischen Interessen, wie er den königlichen Vater
durch die theologischen Interessen gewonnen hatte. Nun stieg er in kurzer Zeit
zum Ministerresidenten, geheimen Legationsrath und erhielt den rothen Adlerorden,




So z. B. unterhielt er den König mit antiquarischen, nur den Fachgelehrten interessi-
renden Details, ließ ihn vier Stockwerk hoch eine Reise durch eine Reihe von Wandschränken
machen, um ihm ein Stück Cyclopenmauer zu zeigen, überhörte absichtlich die dreimalige
Frage, wer Palestrina gewesen, weil er sich über die königliche Ignoranz ärgerte u. s. w.
Die preußische Gesandtschaft bewohnt nämlich seit einer Reihe von Jahren den auf
dem Capitol gelegenen Palast Cafarelli, in welchem sich auch die Gesandtschaftscavelle und
die Wohnung des Gesandtschastspredigerö befindet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0170" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279196"/>
            <p xml:id="ID_535" prev="#ID_534"> logische Richtung nicht ohne Einfluß bleiben konnte. Im Jahr 1823 kam der<lb/>
Vater des jetzigen Königs nach dem Congreß zu Verona nach Rom, um die be¬<lb/>
rühmte Weltstadt kennen zu lernen. Niebuhr, dem es eigentlich zugekommen<lb/>
wäre, den Führer zu machen, langweilte den königlichen Herrn durch eine gewisse<lb/>
Schroffheit und durch wissenschaftlichen Rigorismus"). Bunsen dagegen benahm<lb/>
sich sehr taktvoll und geschmeidig, wurde zum Cicerone erkoren und gewann des<lb/>
Königs ganzes Herz. Nachdem Niebuhr bald darauf seinem Wunsche gemäß der<lb/>
Gesandtschaftsstelle enthöbe» und in Bonn als Professor angestellt worden, da<lb/>
wurde Bunsen von Sr. Maj. zum wirklichen Geschäftsträger in Rom ernannt,<lb/>
und zwar ohne daß er je in Berlin gewesen war! &#x2014; Es scheint, daß er schon<lb/>
während der Anwesenheit des Königs in Rom mit demselben über seine liturgi¬<lb/>
schen Wünsche gesprochen hat. Wenigstens correspondirte er von dieser Zeit an<lb/>
darüber mit dem König, welchem bekanntlich die neue Agende eine große Herzens¬<lb/>
angelegenheit war, dergestalt, daß Se. Maj. selbst in Gemeinschaft mit dem Ad¬<lb/>
jutanten v. Witzleben als eigenlicher Urheber dieser vielbesprochnen und vielfach<lb/>
angefochtenen liturgischen Schöpfung betrachtet werden muß. In wieweit dabei<lb/>
der König aus die Bunsen'schen Ansichten eingegangen ist, bleibt dahingestellt;<lb/>
höchst merkwürdig aber und zugleich sehr bezeichnend für Bunsen's Einfluß ist, daß<lb/>
er für den sogenannten &#x201E;capitolinischen Gottesdienst" **) der preußischen Gesandt¬<lb/>
schaft in Rom die Einführung einer abweichenden Liturgie durchzusetzen wußte, in<lb/>
welcher sich viele und starke Anklänge an die Liturgie der Episcopalkirche finden.<lb/>
Bunsen that jedoch &#x2014; wahrscheinlich aus Rücksicht auf die in Deutschland ge-<lb/>
handhabte Praxis des Königs &#x2014; mit seiner Liturgie sehr geheimnißvoll; denn<lb/>
ungeachtet dieselbe gedruckt worden war, so konnte doch Professor Fleck ans<lb/>
Leipzig während seines der Wissenschaft gewidmeten Aufenthaltes in Rom trotz<lb/>
aller Bemühungen keinen Abdruck für sich erlangen. Gewiß eine sonderbare Ge-<lb/>
heimnißkrämerei! &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_536" next="#ID_537"> Im Jahre 1829 kam der damalige Kronprinz, jetzige König, begleitet von<lb/>
Ancillon, nach Italien. Bunsen diente abermals als Führer und gewann den<lb/>
Kronprinzen durch die historisch-artistischen Interessen, wie er den königlichen Vater<lb/>
durch die theologischen Interessen gewonnen hatte. Nun stieg er in kurzer Zeit<lb/>
zum Ministerresidenten, geheimen Legationsrath und erhielt den rothen Adlerorden,</p><lb/>
            <note xml:id="FID_12" place="foot"> So z. B. unterhielt er den König mit antiquarischen, nur den Fachgelehrten interessi-<lb/>
renden Details, ließ ihn vier Stockwerk hoch eine Reise durch eine Reihe von Wandschränken<lb/>
machen, um ihm ein Stück Cyclopenmauer zu zeigen, überhörte absichtlich die dreimalige<lb/>
Frage, wer Palestrina gewesen, weil er sich über die königliche Ignoranz ärgerte u. s. w.</note><lb/>
            <note xml:id="FID_13" place="foot"> Die preußische Gesandtschaft bewohnt nämlich seit einer Reihe von Jahren den auf<lb/>
dem Capitol gelegenen Palast Cafarelli, in welchem sich auch die Gesandtschaftscavelle und<lb/>
die Wohnung des Gesandtschastspredigerö befindet.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0170] logische Richtung nicht ohne Einfluß bleiben konnte. Im Jahr 1823 kam der Vater des jetzigen Königs nach dem Congreß zu Verona nach Rom, um die be¬ rühmte Weltstadt kennen zu lernen. Niebuhr, dem es eigentlich zugekommen wäre, den Führer zu machen, langweilte den königlichen Herrn durch eine gewisse Schroffheit und durch wissenschaftlichen Rigorismus"). Bunsen dagegen benahm sich sehr taktvoll und geschmeidig, wurde zum Cicerone erkoren und gewann des Königs ganzes Herz. Nachdem Niebuhr bald darauf seinem Wunsche gemäß der Gesandtschaftsstelle enthöbe» und in Bonn als Professor angestellt worden, da wurde Bunsen von Sr. Maj. zum wirklichen Geschäftsträger in Rom ernannt, und zwar ohne daß er je in Berlin gewesen war! — Es scheint, daß er schon während der Anwesenheit des Königs in Rom mit demselben über seine liturgi¬ schen Wünsche gesprochen hat. Wenigstens correspondirte er von dieser Zeit an darüber mit dem König, welchem bekanntlich die neue Agende eine große Herzens¬ angelegenheit war, dergestalt, daß Se. Maj. selbst in Gemeinschaft mit dem Ad¬ jutanten v. Witzleben als eigenlicher Urheber dieser vielbesprochnen und vielfach angefochtenen liturgischen Schöpfung betrachtet werden muß. In wieweit dabei der König aus die Bunsen'schen Ansichten eingegangen ist, bleibt dahingestellt; höchst merkwürdig aber und zugleich sehr bezeichnend für Bunsen's Einfluß ist, daß er für den sogenannten „capitolinischen Gottesdienst" **) der preußischen Gesandt¬ schaft in Rom die Einführung einer abweichenden Liturgie durchzusetzen wußte, in welcher sich viele und starke Anklänge an die Liturgie der Episcopalkirche finden. Bunsen that jedoch — wahrscheinlich aus Rücksicht auf die in Deutschland ge- handhabte Praxis des Königs — mit seiner Liturgie sehr geheimnißvoll; denn ungeachtet dieselbe gedruckt worden war, so konnte doch Professor Fleck ans Leipzig während seines der Wissenschaft gewidmeten Aufenthaltes in Rom trotz aller Bemühungen keinen Abdruck für sich erlangen. Gewiß eine sonderbare Ge- heimnißkrämerei! — Im Jahre 1829 kam der damalige Kronprinz, jetzige König, begleitet von Ancillon, nach Italien. Bunsen diente abermals als Führer und gewann den Kronprinzen durch die historisch-artistischen Interessen, wie er den königlichen Vater durch die theologischen Interessen gewonnen hatte. Nun stieg er in kurzer Zeit zum Ministerresidenten, geheimen Legationsrath und erhielt den rothen Adlerorden, So z. B. unterhielt er den König mit antiquarischen, nur den Fachgelehrten interessi- renden Details, ließ ihn vier Stockwerk hoch eine Reise durch eine Reihe von Wandschränken machen, um ihm ein Stück Cyclopenmauer zu zeigen, überhörte absichtlich die dreimalige Frage, wer Palestrina gewesen, weil er sich über die königliche Ignoranz ärgerte u. s. w. Die preußische Gesandtschaft bewohnt nämlich seit einer Reihe von Jahren den auf dem Capitol gelegenen Palast Cafarelli, in welchem sich auch die Gesandtschaftscavelle und die Wohnung des Gesandtschastspredigerö befindet.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/170
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/170>, abgerufen am 10.02.2025.