Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.wie über ein Verlornes Capital, aber er bewundert den Kaufmann um so mehr So kommt es, daß ein Handelshaus, welches oft Geschicklichkeit im Abbrechen So lange die Juden in den deutschen Staaten unter dem Druck bürgerlicher Ein Geschlecht, das die eheliche Verbindung mit Christen für eine Gottlosig¬ 19*
wie über ein Verlornes Capital, aber er bewundert den Kaufmann um so mehr So kommt es, daß ein Handelshaus, welches oft Geschicklichkeit im Abbrechen So lange die Juden in den deutschen Staaten unter dem Druck bürgerlicher Ein Geschlecht, das die eheliche Verbindung mit Christen für eine Gottlosig¬ 19*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279181"/> <p xml:id="ID_486" prev="#ID_485"> wie über ein Verlornes Capital, aber er bewundert den Kaufmann um so mehr<lb/> und wird um so erpichter darauf mit ihm Geschäfte zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_487"> So kommt es, daß ein Handelshaus, welches oft Geschicklichkeit im Abbrechen<lb/> solcher Geschäfte gezeigt hat, seinerseits ein unendliches Reuoimn^ und Vertrauen<lb/> bei den Juden Galiziens bekommt und mit Geschäftsanträgen überlaufen wird. Auch<lb/> das ist ein Beweis von der unvertilgbaren'Güte der menschlichen Natur. Gelingt<lb/> aber dem Juden seine List, so verschwindet er ans mehrere Jahre spurlos, kommt<lb/> aber vielleicht doch wieder zu demselben Handelshause zurück, wenn er annimmt,<lb/> daß seine alte Sünde vergessen und verziehen ist. Es ist ein Verkehr, wie mit<lb/> Kindern oder Wilden und als Kinder und Wilde werden sie behandelt. Dies<lb/> Beispiel mag statt vieler andern zeigen, daß der Christ in Breslau oft Gelegen¬<lb/> heit hat, den Gegensatz zwischen seinem Geschäftsbetrieb und dem der Juden pein¬<lb/> lich zu empfinden, zumal trotz einer Anzahl ehrenwerther jüdischer Hänser, die<lb/> große Mehrzahl der kleinen jüdischen Geschäftsleute noch viele Verwandschaft mit<lb/> ihren polnischen Nachbaren zeigt. Unrecht aber thut der Christ dem Juden sehr häu¬<lb/> fig dann, wenn er auch den größern jüdischen Kaufmann wegen seiner nervösen Un¬<lb/> ruhe und Hast verachtet, welche ihn oft zu gewagten Geschäften treibt und einen soliden<lb/> Reichthum unter Jude» weit seltener macht, als man nach ihrer Betriebsamkeit<lb/> annehmen sollte. Auch der Mangel an gentiler Leichtigkeit im Abwickeln der Ge¬<lb/> schäfte und an feinem Ehrgefühl, welches der Kaufmann von gesetzlicher Ehren¬<lb/> haftigkeit sehr genau zu unterscheiden weiß, wird den Juden mit Unrecht zum<lb/> Verbrechen angerechnet. Alle diese höchsten Tilgenden eines Kaufmanns sind erst<lb/> die Folgen eines edlen Selbstgefühls, Stolzes, einer sicheren Stellung zu der<lb/> menschlichen Gesellschaft, die Blüthen eines freien und leichten Verkehrs mit star¬<lb/> ken und guten Menschen auch außer dem Geschäft, sie sind auch bei Christen sel¬<lb/> ten genug, war es dem Jude» bis jetzt leicht gemacht, sie zu erwerben?</p><lb/> <p xml:id="ID_488"> So lange die Juden in den deutschen Staaten unter dem Druck bürgerlicher<lb/> Unfreiheit lebten, war es uicht an der Zeit, ihnen ihre gemeinsamen Eigenthüm¬<lb/> lichkeiten und Schwächen vorzuhalten. Jahrelang hat die Presse und die öffent¬<lb/> liche Meinung mit bewundernswerther Energie die politische und gesellschaftliche<lb/> Gleichstellung der Juden mit den Christen vorbereitet. Das letzte Jahr hat diese<lb/> Gleichheit wenigstens begründet, jetzt ist es ebenso sehr Pflicht der Presse, an die Ju¬<lb/> den selbst die gemessene Forderung zu stellen, daß sie sich fähig machen, als<lb/> Gleichberechtigte mit ihren christlichen Brüdern zu leben, und eine Pflicht des<lb/> Staates ist es geworden, die Schwachen und Verkrüppelten unter den Juden da¬<lb/> hin zu zwingen, Menschen des 19. Jahrhunderts zu werden, so weit der Staat<lb/> überhaupt das Individuum zwingen darf.</p><lb/> <p xml:id="ID_489" next="#ID_490"> Ein Geschlecht, das die eheliche Verbindung mit Christen für eine Gottlosig¬<lb/> keit erklärt, das sich für verunreinigt hält, wenn es aus demselben Becher tri ki,<lb/> von demselben Teller ißt, aus dem der Christ gegessen und getrunken hat, kann</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 19*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0155]
wie über ein Verlornes Capital, aber er bewundert den Kaufmann um so mehr
und wird um so erpichter darauf mit ihm Geschäfte zu machen.
So kommt es, daß ein Handelshaus, welches oft Geschicklichkeit im Abbrechen
solcher Geschäfte gezeigt hat, seinerseits ein unendliches Reuoimn^ und Vertrauen
bei den Juden Galiziens bekommt und mit Geschäftsanträgen überlaufen wird. Auch
das ist ein Beweis von der unvertilgbaren'Güte der menschlichen Natur. Gelingt
aber dem Juden seine List, so verschwindet er ans mehrere Jahre spurlos, kommt
aber vielleicht doch wieder zu demselben Handelshause zurück, wenn er annimmt,
daß seine alte Sünde vergessen und verziehen ist. Es ist ein Verkehr, wie mit
Kindern oder Wilden und als Kinder und Wilde werden sie behandelt. Dies
Beispiel mag statt vieler andern zeigen, daß der Christ in Breslau oft Gelegen¬
heit hat, den Gegensatz zwischen seinem Geschäftsbetrieb und dem der Juden pein¬
lich zu empfinden, zumal trotz einer Anzahl ehrenwerther jüdischer Hänser, die
große Mehrzahl der kleinen jüdischen Geschäftsleute noch viele Verwandschaft mit
ihren polnischen Nachbaren zeigt. Unrecht aber thut der Christ dem Juden sehr häu¬
fig dann, wenn er auch den größern jüdischen Kaufmann wegen seiner nervösen Un¬
ruhe und Hast verachtet, welche ihn oft zu gewagten Geschäften treibt und einen soliden
Reichthum unter Jude» weit seltener macht, als man nach ihrer Betriebsamkeit
annehmen sollte. Auch der Mangel an gentiler Leichtigkeit im Abwickeln der Ge¬
schäfte und an feinem Ehrgefühl, welches der Kaufmann von gesetzlicher Ehren¬
haftigkeit sehr genau zu unterscheiden weiß, wird den Juden mit Unrecht zum
Verbrechen angerechnet. Alle diese höchsten Tilgenden eines Kaufmanns sind erst
die Folgen eines edlen Selbstgefühls, Stolzes, einer sicheren Stellung zu der
menschlichen Gesellschaft, die Blüthen eines freien und leichten Verkehrs mit star¬
ken und guten Menschen auch außer dem Geschäft, sie sind auch bei Christen sel¬
ten genug, war es dem Jude» bis jetzt leicht gemacht, sie zu erwerben?
So lange die Juden in den deutschen Staaten unter dem Druck bürgerlicher
Unfreiheit lebten, war es uicht an der Zeit, ihnen ihre gemeinsamen Eigenthüm¬
lichkeiten und Schwächen vorzuhalten. Jahrelang hat die Presse und die öffent¬
liche Meinung mit bewundernswerther Energie die politische und gesellschaftliche
Gleichstellung der Juden mit den Christen vorbereitet. Das letzte Jahr hat diese
Gleichheit wenigstens begründet, jetzt ist es ebenso sehr Pflicht der Presse, an die Ju¬
den selbst die gemessene Forderung zu stellen, daß sie sich fähig machen, als
Gleichberechtigte mit ihren christlichen Brüdern zu leben, und eine Pflicht des
Staates ist es geworden, die Schwachen und Verkrüppelten unter den Juden da¬
hin zu zwingen, Menschen des 19. Jahrhunderts zu werden, so weit der Staat
überhaupt das Individuum zwingen darf.
Ein Geschlecht, das die eheliche Verbindung mit Christen für eine Gottlosig¬
keit erklärt, das sich für verunreinigt hält, wenn es aus demselben Becher tri ki,
von demselben Teller ißt, aus dem der Christ gegessen und getrunken hat, kann
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