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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Sonne glüht auf ihn mit brennender Malice, der Staub überzieht ihn mit grauer
Decke, jeder Augenblick des Schlummers bringt ihn in Lebensgefahr. Aber diese
Art zu reise" ist bei alle dem billiger und geht schneller als Laufen. Im vorigen
Jahre kam ein solcher Geschäftsmann von Brody nach Breslau, beiläufig 120
Meilen weit her, um eine faule Forderung von 60 Thlr. einzuziehn; kein Christ
würde eine solche Reise um solches Geld wagen.

Sein Herz hat der fremde Jude in der Heimath gelassen bei seiner Familie,
er denkt nichts, er träumt nichts, er will nichts als speculiren, und nicht nur
über große Summen, über wenige Groschen brüiet seine Phantasie Tage lang,
laufen seine Beine unermüdlich, vom Morgen bis zum Abend. Jene Tugend,
durch welche der solide Kaufmann seinen Egoismus adelt, die kaufmännische Ehre,
er kennt sie nicht; aber er nimmt den Schein der Sicherheit und Zuverlässigkeit
mit Ausdauer und Erfolg so lange an, bis es ihm lohnt, irgend etwas Bedenk¬
liches zu thun, was nach unsern Begriffen durchaus unehrlich ist ihm nur einen
gewagten Streich gilt. In seinen Geschäften mit soliden Handlungen speculirt er
mit seiner Ehrlichkeit eben so fein als naiv. Ein Beispiel. Der Verkauf von
Producten aus Galizien macht sich in Breslau in der Regel so, daß der Bres-
lauer Kaufmann zum Kommissionär der galizischen Juden wird. Da aber der
Jude welcher verkauft, weder Capital noch Credit hat, so hat diese Geschäftsver¬
bindung ihre eigenthümliche Schwierigkeit. Der Jude bittet zuerst ein solides Haus
in Breslau oft flehentlich, seine Waaren in Commission zu nehmen, das erlangte
Versprechen betrachtet er als große Gunst. Sobald er aus seiner Heimath die
Waaren dem F'achtfuhrmann übergeben hat, sendet er den Verladeschein nach
Breslau und zieht seine Wechsel auf das Breslauer Haus zu einem Betrage, wel¬
cher den sich e r n Werth der Waaren fast erreicht. Der Kaufmann in Breslau
ve> kauft die Waaren, berechnet ihm die Zinsen des vorher gezählten Capitals und
wenige Procente als Commissivnsgebnhren und zahlt ihm den Ueberschuß heraus.
Das Risiko des Handlungshauses besteht darin, daß es die Wechsel, welche der
Jude ausgestellt hat, in der Regel acceptiren muß, bevor die langsamgehende
Fracht in seinen Händen ist. Darauf baut der Jude sein System. Durch drei,
vier, oft mehrere Jahre, ist er ehrlicher Geschäftsmann, endlich, wenn er seinen
Gegner sicher gemacht hat, wagt er deu großen Schlag, zieht eine ansehnliche
Summe auf deu Kaufmann und läßt die Waaren nicht ankommen, indem er sie
anhält, bevor sie die Grenze passirt haben und anderweitig verkauft. Diesem ge¬
wöhnlichen Manöver gegenüber besteht die Taktik des Breslauer Kaufmanns darin,
daß er das Geschäft mit seinem jüdischen Gegner im rechten Augenblick, grade
dann abbricht, wenn der Galizier durch außerordentliche Solidität die Aussicht
eröffnet, daß er nächstens seinerseits auf geniale Weise abbrechen werde. Ist dem
Breslauer Kaufmann seine List gelungen, so empfindet der Jude als einen unersetz¬
baren Verlust, daß er so viel Ehrlichkeit umsonst aufgewendet hat, er klagt heftig


Sonne glüht auf ihn mit brennender Malice, der Staub überzieht ihn mit grauer
Decke, jeder Augenblick des Schlummers bringt ihn in Lebensgefahr. Aber diese
Art zu reise» ist bei alle dem billiger und geht schneller als Laufen. Im vorigen
Jahre kam ein solcher Geschäftsmann von Brody nach Breslau, beiläufig 120
Meilen weit her, um eine faule Forderung von 60 Thlr. einzuziehn; kein Christ
würde eine solche Reise um solches Geld wagen.

Sein Herz hat der fremde Jude in der Heimath gelassen bei seiner Familie,
er denkt nichts, er träumt nichts, er will nichts als speculiren, und nicht nur
über große Summen, über wenige Groschen brüiet seine Phantasie Tage lang,
laufen seine Beine unermüdlich, vom Morgen bis zum Abend. Jene Tugend,
durch welche der solide Kaufmann seinen Egoismus adelt, die kaufmännische Ehre,
er kennt sie nicht; aber er nimmt den Schein der Sicherheit und Zuverlässigkeit
mit Ausdauer und Erfolg so lange an, bis es ihm lohnt, irgend etwas Bedenk¬
liches zu thun, was nach unsern Begriffen durchaus unehrlich ist ihm nur einen
gewagten Streich gilt. In seinen Geschäften mit soliden Handlungen speculirt er
mit seiner Ehrlichkeit eben so fein als naiv. Ein Beispiel. Der Verkauf von
Producten aus Galizien macht sich in Breslau in der Regel so, daß der Bres-
lauer Kaufmann zum Kommissionär der galizischen Juden wird. Da aber der
Jude welcher verkauft, weder Capital noch Credit hat, so hat diese Geschäftsver¬
bindung ihre eigenthümliche Schwierigkeit. Der Jude bittet zuerst ein solides Haus
in Breslau oft flehentlich, seine Waaren in Commission zu nehmen, das erlangte
Versprechen betrachtet er als große Gunst. Sobald er aus seiner Heimath die
Waaren dem F'achtfuhrmann übergeben hat, sendet er den Verladeschein nach
Breslau und zieht seine Wechsel auf das Breslauer Haus zu einem Betrage, wel¬
cher den sich e r n Werth der Waaren fast erreicht. Der Kaufmann in Breslau
ve> kauft die Waaren, berechnet ihm die Zinsen des vorher gezählten Capitals und
wenige Procente als Commissivnsgebnhren und zahlt ihm den Ueberschuß heraus.
Das Risiko des Handlungshauses besteht darin, daß es die Wechsel, welche der
Jude ausgestellt hat, in der Regel acceptiren muß, bevor die langsamgehende
Fracht in seinen Händen ist. Darauf baut der Jude sein System. Durch drei,
vier, oft mehrere Jahre, ist er ehrlicher Geschäftsmann, endlich, wenn er seinen
Gegner sicher gemacht hat, wagt er deu großen Schlag, zieht eine ansehnliche
Summe auf deu Kaufmann und läßt die Waaren nicht ankommen, indem er sie
anhält, bevor sie die Grenze passirt haben und anderweitig verkauft. Diesem ge¬
wöhnlichen Manöver gegenüber besteht die Taktik des Breslauer Kaufmanns darin,
daß er das Geschäft mit seinem jüdischen Gegner im rechten Augenblick, grade
dann abbricht, wenn der Galizier durch außerordentliche Solidität die Aussicht
eröffnet, daß er nächstens seinerseits auf geniale Weise abbrechen werde. Ist dem
Breslauer Kaufmann seine List gelungen, so empfindet der Jude als einen unersetz¬
baren Verlust, daß er so viel Ehrlichkeit umsonst aufgewendet hat, er klagt heftig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/154>, abgerufen am 05.02.2025.