Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.pulärsten Männer Deutschlands, jetzt wird man kaum noch seinen Namen kennen. Ich lernte Wiesncr vor zwei Jahren in Leipzig kennen; er mag nahe den So hatte der östreichische Publicist, der sich uoch außerdem in der üblen Lage pulärsten Männer Deutschlands, jetzt wird man kaum noch seinen Namen kennen. Ich lernte Wiesncr vor zwei Jahren in Leipzig kennen; er mag nahe den So hatte der östreichische Publicist, der sich uoch außerdem in der üblen Lage <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279172"/> <p xml:id="ID_458" prev="#ID_457"> pulärsten Männer Deutschlands, jetzt wird man kaum noch seinen Namen kennen.<lb/> Die Bewegung hat ihre Träger mit unglaublicher Geschwindigkeit verzehrt.</p><lb/> <p xml:id="ID_459"> Ich lernte Wiesncr vor zwei Jahren in Leipzig kennen; er mag nahe den<lb/> Vierziger sein, hält sich aber als Gar^on zur jüngern Generation. Es war eine<lb/> brave, ehrliche, selbstgefällige Natur, was mau so einen rechten Biedermann nennt.<lb/> Der enge Umfang, in welchem sich die östreichische Publicistik aus äußern Gründen<lb/> bewegen mußte, der enge Gesichtskreis, den sie aus innern Gründen nicht über¬<lb/> schreiten konnte, führten zu einer Jntensivität des politischen Gefühls, die etwas<lb/> Rührendes hatte, namentlich wenn man an die Zerstreutheit und Flüchtigkeit des<lb/> Berliner kosmopolitischen Liberalismus gewohnt war. Ein östreichischer Publicist<lb/> führte damals ein verkümmertes Dasein. Die politische Lectüre, die man einzelnen<lb/> privilegirten Gesellschaften, wie dem juridisch-politischen Leseverein zu Wien, ol-K»<lb/> selleäirm verstattete, war dürftig genug, die Bildung, die man von den Schulen<lb/> und namentlich von den Universitäten mitbrachte, stand weit hinter der Norddeut¬<lb/> schen zurück; die Geringschätzung der Presse und derer, die sich damit beschäftig¬<lb/> ten, von Seiten der „ordentlichen Leute" war wo möglich noch größer, als selbst<lb/> in Preuße», und hatte mich mehr Grund, denn sie war in der That jämmerlich<lb/> — wozu freilich die Censur nicht ermangelte das Ihrige zu thun, — und der<lb/> Ausweg für einen thätigen Schriftsteller, in deu „ausländischen," d. h. deutschen<lb/> Journalen, eine Zuflucht zu suchen, stand nur wenig Bevorzugten offen, da man<lb/> sich im „Reich" noch nicht recht daran gewöhnen konnte, dem Detail der östrei¬<lb/> chischen Angelegenheiten eine ernste Aufmerksamkeit zu schenken, und da die Schreib¬<lb/> art der östreichischen Prosaisten doch wesentlich vou dem conventionellen Styl eines<lb/> geschulten Literaten abwich. Nur die Poeten und Belletristen fanden ihre Geltung,<lb/> und bei dem großen Umfang, in welchem die junge Lyrik sich ergoß, wurde es<lb/> allmälig Glaubensartikel in Oestreich, daß mau sich eigentlich im Centrum des<lb/> poetischen Deutschland befände.</p><lb/> <p xml:id="ID_460" next="#ID_461"> So hatte der östreichische Publicist, der sich uoch außerdem in der üblen Lage<lb/> befand, von dem, was eigentlich in der Politik vorging, herzlich wenig zu erfah¬<lb/> ren, nut fortwährendem Verdruß zu kämpfen, ja man kaun sagen, daß dieser täg¬<lb/> liche Verdruß ein wesentlicher und integrircnder Theil seiner Beschäftigung war.<lb/> Aber eben darum wuchs er ihm ans Herz, er hätte ihn nicht wohl entbehrt, und<lb/> alle die kleinen Scheerereien mit der Censur, der obern und untern Polizeistelle,<lb/> die man in Norddeutschland mit allgemeiner und abstracter Verachtung abfertigte,<lb/> hatten für ihn in seinem Detail einen Reiz und eine Wichtigkeit, die man ander¬<lb/> wärts schwer begreifen würde. Es läßt sich aus dieser vermeintlichen Wichtigkeit<lb/> anch der Eigensinn herleiten, rin dem man auf einzelnen Punkten bestand, die<lb/> Intoleranz gegen jede abweichende Meinung, und die Ueberschätzung des eignen<lb/> Einflusses, den zu Paralysiren eine der fünf Großmächte all ihre administrative<lb/> Thätigkeit ausbot, und die leicht zu der Einbildung verleitete, man würde, wenn</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0146]
pulärsten Männer Deutschlands, jetzt wird man kaum noch seinen Namen kennen.
Die Bewegung hat ihre Träger mit unglaublicher Geschwindigkeit verzehrt.
Ich lernte Wiesncr vor zwei Jahren in Leipzig kennen; er mag nahe den
Vierziger sein, hält sich aber als Gar^on zur jüngern Generation. Es war eine
brave, ehrliche, selbstgefällige Natur, was mau so einen rechten Biedermann nennt.
Der enge Umfang, in welchem sich die östreichische Publicistik aus äußern Gründen
bewegen mußte, der enge Gesichtskreis, den sie aus innern Gründen nicht über¬
schreiten konnte, führten zu einer Jntensivität des politischen Gefühls, die etwas
Rührendes hatte, namentlich wenn man an die Zerstreutheit und Flüchtigkeit des
Berliner kosmopolitischen Liberalismus gewohnt war. Ein östreichischer Publicist
führte damals ein verkümmertes Dasein. Die politische Lectüre, die man einzelnen
privilegirten Gesellschaften, wie dem juridisch-politischen Leseverein zu Wien, ol-K»
selleäirm verstattete, war dürftig genug, die Bildung, die man von den Schulen
und namentlich von den Universitäten mitbrachte, stand weit hinter der Norddeut¬
schen zurück; die Geringschätzung der Presse und derer, die sich damit beschäftig¬
ten, von Seiten der „ordentlichen Leute" war wo möglich noch größer, als selbst
in Preuße», und hatte mich mehr Grund, denn sie war in der That jämmerlich
— wozu freilich die Censur nicht ermangelte das Ihrige zu thun, — und der
Ausweg für einen thätigen Schriftsteller, in deu „ausländischen," d. h. deutschen
Journalen, eine Zuflucht zu suchen, stand nur wenig Bevorzugten offen, da man
sich im „Reich" noch nicht recht daran gewöhnen konnte, dem Detail der östrei¬
chischen Angelegenheiten eine ernste Aufmerksamkeit zu schenken, und da die Schreib¬
art der östreichischen Prosaisten doch wesentlich vou dem conventionellen Styl eines
geschulten Literaten abwich. Nur die Poeten und Belletristen fanden ihre Geltung,
und bei dem großen Umfang, in welchem die junge Lyrik sich ergoß, wurde es
allmälig Glaubensartikel in Oestreich, daß mau sich eigentlich im Centrum des
poetischen Deutschland befände.
So hatte der östreichische Publicist, der sich uoch außerdem in der üblen Lage
befand, von dem, was eigentlich in der Politik vorging, herzlich wenig zu erfah¬
ren, nut fortwährendem Verdruß zu kämpfen, ja man kaun sagen, daß dieser täg¬
liche Verdruß ein wesentlicher und integrircnder Theil seiner Beschäftigung war.
Aber eben darum wuchs er ihm ans Herz, er hätte ihn nicht wohl entbehrt, und
alle die kleinen Scheerereien mit der Censur, der obern und untern Polizeistelle,
die man in Norddeutschland mit allgemeiner und abstracter Verachtung abfertigte,
hatten für ihn in seinem Detail einen Reiz und eine Wichtigkeit, die man ander¬
wärts schwer begreifen würde. Es läßt sich aus dieser vermeintlichen Wichtigkeit
anch der Eigensinn herleiten, rin dem man auf einzelnen Punkten bestand, die
Intoleranz gegen jede abweichende Meinung, und die Ueberschätzung des eignen
Einflusses, den zu Paralysiren eine der fünf Großmächte all ihre administrative
Thätigkeit ausbot, und die leicht zu der Einbildung verleitete, man würde, wenn
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