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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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verfassungsmäßiger Rechte Veranlassung bietet, gibt er ihnen Mittel in die Hand,
auch den mollit-im-co-men ihr Terrain, den Rechtsboden zu verengern, und auch
ihre legalen Waffen unbrauchbar zu machen.

Wenn man also von solchen Gesichtspunkten die Rechtmäßigkeit oder Oppor¬
tunist der Bewegung anficht, so haben wir nichts dagegen. Aber man sucht noch
überdies den Charakter der Bewegung und ihrer Leiter dadurch zu verdächtigen,
daß man die Sache so darstellt, als unterliege es gar keinem Zweifel, daß bei
allen den letzten Aufständen die Reichsverfassung nur ein Vorwand, der eigentliche
Zweck aber die Republik und zwar die rothe oder gar der Conimunismus gewe¬
sen sei, und daß hinter Allem am Ende das Ausland die Hand im Spiele habe,
an das man ein Stück Deutschland nebst einer ReichSfestuug verrathen wolle.

Man nimmt sich hierbei nicht einmal die Mühe, das Publikum über diese
eigentlichen Absichten der Aufständischen erst ausführlich zu belehren, und ihm zu
erzählen, welcher aufgefangenen Correspondenz oder sonstigem Zufalle man diese
"Enthüllungen" verdanke, oder nachzuweisen, aus welchen Handlungen der Insur¬
genten sich ihre geheimen Pläne erkennen lassen, sondern thut so, als ob es all¬
bekannte und unbestreitbare Dinge wären, und spricht in dieser Voraussetzung
immer uur vou einer "angeblichen" oder "sogenannten" deutscheu Bewegung, er¬
geht sich in sittlicher Entrüstung über den Jesuitismus und die Gleißnerei ihrer
Leiter, die sich nicht scheuen, eine so heilige Sache, wie die deutsche Einheit, zum
Deckmantel ihrer ans den Umsturz alles Bestehenden gerichteten Absichten zu be¬
nutzen, nennt die Insurgenten die Rothen, und gibt höchstens zu, daß es unter
ihnen manche "Irregeleitete" geben möge, die wirklich für die Reichsverfassung zu
kämpfen glauben, während sie doch in der That zu ganz andern Zwecken mi߬
braucht werden. Dann verwahrt mau sich, daß man zwar die Freiheit, aber nicht
"diese Freiheit" wolle, läßt noch ein paar Worte von Anarchie, Auflösung aller
Verhältnisse u. dergl. fallen und ist fertig.

Wenn man blos diese Phrasen berücksichtigt, so sollte mau glaube", es sei
in der Pfalz und in Baden die rothe demokratische und soziale Republik schon
lauge proclamirt, die Nevolutionstribunale in Permanenz und die Guillotine in
voller Thätigkeit, das Eigenthum durch eine Novelle zum Strafgesetzbuche bereits
offiziell als Diebstahl erklärt und werde als solcher vor deu Assisen behandelt,
man beschäftige sich eifrig mit der Erbauung von Phalansterien, und habe Herrn
Louis Blanc aus London berufen, um einstweilen große Nationalwerkstätlen einzu¬
richten, und obendrein sei Rastatt an die Franzosen übergeben worden. Sieht
man jedoch auf die Thatsachen, die uns ebeu dieselben Zeituugscorrespondenten
erzählen, so ist'mau überrascht, von allen diesen Dingen keine Spur zu finden.
Weder in Baden noch in der Pfalz ist die Republik proclamirt und in ersterem
Lande sogar ein Antrag auf Zurückberufung des Großherzogs gestellt und an eine
Commission verwiesen worden. Rastatt ist noch immer von Reichstruppen besetzt,


verfassungsmäßiger Rechte Veranlassung bietet, gibt er ihnen Mittel in die Hand,
auch den mollit-im-co-men ihr Terrain, den Rechtsboden zu verengern, und auch
ihre legalen Waffen unbrauchbar zu machen.

Wenn man also von solchen Gesichtspunkten die Rechtmäßigkeit oder Oppor¬
tunist der Bewegung anficht, so haben wir nichts dagegen. Aber man sucht noch
überdies den Charakter der Bewegung und ihrer Leiter dadurch zu verdächtigen,
daß man die Sache so darstellt, als unterliege es gar keinem Zweifel, daß bei
allen den letzten Aufständen die Reichsverfassung nur ein Vorwand, der eigentliche
Zweck aber die Republik und zwar die rothe oder gar der Conimunismus gewe¬
sen sei, und daß hinter Allem am Ende das Ausland die Hand im Spiele habe,
an das man ein Stück Deutschland nebst einer ReichSfestuug verrathen wolle.

Man nimmt sich hierbei nicht einmal die Mühe, das Publikum über diese
eigentlichen Absichten der Aufständischen erst ausführlich zu belehren, und ihm zu
erzählen, welcher aufgefangenen Correspondenz oder sonstigem Zufalle man diese
„Enthüllungen" verdanke, oder nachzuweisen, aus welchen Handlungen der Insur¬
genten sich ihre geheimen Pläne erkennen lassen, sondern thut so, als ob es all¬
bekannte und unbestreitbare Dinge wären, und spricht in dieser Voraussetzung
immer uur vou einer „angeblichen" oder „sogenannten" deutscheu Bewegung, er¬
geht sich in sittlicher Entrüstung über den Jesuitismus und die Gleißnerei ihrer
Leiter, die sich nicht scheuen, eine so heilige Sache, wie die deutsche Einheit, zum
Deckmantel ihrer ans den Umsturz alles Bestehenden gerichteten Absichten zu be¬
nutzen, nennt die Insurgenten die Rothen, und gibt höchstens zu, daß es unter
ihnen manche „Irregeleitete" geben möge, die wirklich für die Reichsverfassung zu
kämpfen glauben, während sie doch in der That zu ganz andern Zwecken mi߬
braucht werden. Dann verwahrt mau sich, daß man zwar die Freiheit, aber nicht
„diese Freiheit" wolle, läßt noch ein paar Worte von Anarchie, Auflösung aller
Verhältnisse u. dergl. fallen und ist fertig.

Wenn man blos diese Phrasen berücksichtigt, so sollte mau glaube«, es sei
in der Pfalz und in Baden die rothe demokratische und soziale Republik schon
lauge proclamirt, die Nevolutionstribunale in Permanenz und die Guillotine in
voller Thätigkeit, das Eigenthum durch eine Novelle zum Strafgesetzbuche bereits
offiziell als Diebstahl erklärt und werde als solcher vor deu Assisen behandelt,
man beschäftige sich eifrig mit der Erbauung von Phalansterien, und habe Herrn
Louis Blanc aus London berufen, um einstweilen große Nationalwerkstätlen einzu¬
richten, und obendrein sei Rastatt an die Franzosen übergeben worden. Sieht
man jedoch auf die Thatsachen, die uns ebeu dieselben Zeituugscorrespondenten
erzählen, so ist'mau überrascht, von allen diesen Dingen keine Spur zu finden.
Weder in Baden noch in der Pfalz ist die Republik proclamirt und in ersterem
Lande sogar ein Antrag auf Zurückberufung des Großherzogs gestellt und an eine
Commission verwiesen worden. Rastatt ist noch immer von Reichstruppen besetzt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/130>, abgerufen am 05.02.2025.