Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schast mit sammt der Nationalversammlung aus Würtemberg hinaus; er warf sie
hinaus, in dieses Worts verwegenster Bedeutung.

Nach dem schmählichen Ende der neuen Regentschaft, die keinen Anstand ge¬
nommen hatte, aus die naivste Weise ihre Decrete an alte preußische Generale
abzuschicken, verbreitete sich das Gerücht vou Raveaux's plötzlichem Tod. Bei
seiner hektischen Anlage und der fieberhaften Aufregung, in der er sich beständig
befinden mußte, hatte es einige Wahrscheinlichkeit. Wer will entscheiden, ob wir
ihn nicht beklagen sollen, daß dieses Gerücht sich nicht bestätigt hat. Sein Leben
ist nun verfehlt, denn er war mit voller Seele in den Traum der deutschen Re¬
volution aufgegangen, und die Wirklichkeit ist ihm unverständlich geworden. Er
wird nnn das bittere Brot der Verbannung kosten, in demselben Lande, dem er
früher als Vertreter einer mächtigen Regierung gegenübertrat, und wird vielleicht
auch von da seinen flüchtigen Stab weiter führen müssen.


2. Ludwig Brentano.

Der Radikalismus der Badenser hat sich von dem der übrigen Deutschen --
wenn man etwa die Pfälzer und die Hanauer aufnimmt, die ihnen benachbart
sind -- stets durch eine gewisse forcirte Rohheit ausgezeichnet. Die Nachbarschaft
der radikalen schweizer Cantone und der eben so radikalen französischen Departe¬
ments hat ihren Einfluß nicht verfehlt, und die weite Entfernung des eigentlichen
Feindes, den man zu bekämpfen hatte -- denn nicht der Großherzog oder seine
Regierung war es, sondern der König von Preußen -- hat die Chorführer dieser
politischen Partei an Großsprecherei gewöhnt. Schon die "liberale" Opposition
gegen das eigentlich auch schon "liberale" Ministerium Beck -- die Welcker, die
Bassermann, die Mathy n. s. w. -- befleißigte sich einer ungewöhnlichen Grobheit,
wer also "weiter ging," als diese vormärzlichen Kreaturen, mußte sie wenigstens
in dieser löblichen Eigenschuft zu übertreffen suchen. Die Politik hatte sich des
gesammten Volks so vollständig bemächtigt, daß es für keine andere Beschäftigung
mehr Sinn hatte, Kunst und Wissenschaft war ihm zuwider, und vielleicht lag
darin der Grund, daß Gervinus, Hauffer ^c. von vornherein so unpopulär waren.
Nimmt mau nun dazu, daß die reelle politische Wirksamkeit eiuen sehr beschränkten
Horizont hatte, daß dagegen der ideale Gesichtskreis sehr wenig concreten Inhalt
umfaßte, so wird man es begreifen, daß die unmittelbare Erscheinung der Freiheit
in Baden noch viel unangenehmer war, als selbst in der Schweiz.

Von den "Liberalen" Bayens gingen die Bewegungen für die constitutionelle
Centralisation Deutschlands aus; eS war also nur billig, daß die "Radikalen"
von Mannheim sich der Republikanisirung Dentschlands annahmen. Die ersten
Kämpfe im Vorparlament waren eigentlich badenser Localgeschicbte. Diese Lvcal-
geschichte, die in dem Aufstand von Hecker und später in dem Raubzuge Struve'S
nur eine vorübergehende Erregung verursachte, hat in dem Unternehmen Brentano's


14*

schast mit sammt der Nationalversammlung aus Würtemberg hinaus; er warf sie
hinaus, in dieses Worts verwegenster Bedeutung.

Nach dem schmählichen Ende der neuen Regentschaft, die keinen Anstand ge¬
nommen hatte, aus die naivste Weise ihre Decrete an alte preußische Generale
abzuschicken, verbreitete sich das Gerücht vou Raveaux's plötzlichem Tod. Bei
seiner hektischen Anlage und der fieberhaften Aufregung, in der er sich beständig
befinden mußte, hatte es einige Wahrscheinlichkeit. Wer will entscheiden, ob wir
ihn nicht beklagen sollen, daß dieses Gerücht sich nicht bestätigt hat. Sein Leben
ist nun verfehlt, denn er war mit voller Seele in den Traum der deutschen Re¬
volution aufgegangen, und die Wirklichkeit ist ihm unverständlich geworden. Er
wird nnn das bittere Brot der Verbannung kosten, in demselben Lande, dem er
früher als Vertreter einer mächtigen Regierung gegenübertrat, und wird vielleicht
auch von da seinen flüchtigen Stab weiter führen müssen.


2. Ludwig Brentano.

Der Radikalismus der Badenser hat sich von dem der übrigen Deutschen —
wenn man etwa die Pfälzer und die Hanauer aufnimmt, die ihnen benachbart
sind — stets durch eine gewisse forcirte Rohheit ausgezeichnet. Die Nachbarschaft
der radikalen schweizer Cantone und der eben so radikalen französischen Departe¬
ments hat ihren Einfluß nicht verfehlt, und die weite Entfernung des eigentlichen
Feindes, den man zu bekämpfen hatte — denn nicht der Großherzog oder seine
Regierung war es, sondern der König von Preußen — hat die Chorführer dieser
politischen Partei an Großsprecherei gewöhnt. Schon die „liberale" Opposition
gegen das eigentlich auch schon „liberale" Ministerium Beck — die Welcker, die
Bassermann, die Mathy n. s. w. — befleißigte sich einer ungewöhnlichen Grobheit,
wer also „weiter ging," als diese vormärzlichen Kreaturen, mußte sie wenigstens
in dieser löblichen Eigenschuft zu übertreffen suchen. Die Politik hatte sich des
gesammten Volks so vollständig bemächtigt, daß es für keine andere Beschäftigung
mehr Sinn hatte, Kunst und Wissenschaft war ihm zuwider, und vielleicht lag
darin der Grund, daß Gervinus, Hauffer ^c. von vornherein so unpopulär waren.
Nimmt mau nun dazu, daß die reelle politische Wirksamkeit eiuen sehr beschränkten
Horizont hatte, daß dagegen der ideale Gesichtskreis sehr wenig concreten Inhalt
umfaßte, so wird man es begreifen, daß die unmittelbare Erscheinung der Freiheit
in Baden noch viel unangenehmer war, als selbst in der Schweiz.

Von den „Liberalen" Bayens gingen die Bewegungen für die constitutionelle
Centralisation Deutschlands aus; eS war also nur billig, daß die „Radikalen"
von Mannheim sich der Republikanisirung Dentschlands annahmen. Die ersten
Kämpfe im Vorparlament waren eigentlich badenser Localgeschicbte. Diese Lvcal-
geschichte, die in dem Aufstand von Hecker und später in dem Raubzuge Struve'S
nur eine vorübergehende Erregung verursachte, hat in dem Unternehmen Brentano's


14*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279141"/>
            <p xml:id="ID_364" prev="#ID_363"> schast mit sammt der Nationalversammlung aus Würtemberg hinaus; er warf sie<lb/>
hinaus, in dieses Worts verwegenster Bedeutung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_365"> Nach dem schmählichen Ende der neuen Regentschaft, die keinen Anstand ge¬<lb/>
nommen hatte, aus die naivste Weise ihre Decrete an alte preußische Generale<lb/>
abzuschicken, verbreitete sich das Gerücht vou Raveaux's plötzlichem Tod. Bei<lb/>
seiner hektischen Anlage und der fieberhaften Aufregung, in der er sich beständig<lb/>
befinden mußte, hatte es einige Wahrscheinlichkeit. Wer will entscheiden, ob wir<lb/>
ihn nicht beklagen sollen, daß dieses Gerücht sich nicht bestätigt hat. Sein Leben<lb/>
ist nun verfehlt, denn er war mit voller Seele in den Traum der deutschen Re¬<lb/>
volution aufgegangen, und die Wirklichkeit ist ihm unverständlich geworden. Er<lb/>
wird nnn das bittere Brot der Verbannung kosten, in demselben Lande, dem er<lb/>
früher als Vertreter einer mächtigen Regierung gegenübertrat, und wird vielleicht<lb/>
auch von da seinen flüchtigen Stab weiter führen müssen.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 2.  Ludwig Brentano.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_366"> Der Radikalismus der Badenser hat sich von dem der übrigen Deutschen &#x2014;<lb/>
wenn man etwa die Pfälzer und die Hanauer aufnimmt, die ihnen benachbart<lb/>
sind &#x2014; stets durch eine gewisse forcirte Rohheit ausgezeichnet. Die Nachbarschaft<lb/>
der radikalen schweizer Cantone und der eben so radikalen französischen Departe¬<lb/>
ments hat ihren Einfluß nicht verfehlt, und die weite Entfernung des eigentlichen<lb/>
Feindes, den man zu bekämpfen hatte &#x2014; denn nicht der Großherzog oder seine<lb/>
Regierung war es, sondern der König von Preußen &#x2014; hat die Chorführer dieser<lb/>
politischen Partei an Großsprecherei gewöhnt. Schon die &#x201E;liberale" Opposition<lb/>
gegen das eigentlich auch schon &#x201E;liberale" Ministerium Beck &#x2014; die Welcker, die<lb/>
Bassermann, die Mathy n. s. w. &#x2014; befleißigte sich einer ungewöhnlichen Grobheit,<lb/>
wer also &#x201E;weiter ging," als diese vormärzlichen Kreaturen, mußte sie wenigstens<lb/>
in dieser löblichen Eigenschuft zu übertreffen suchen. Die Politik hatte sich des<lb/>
gesammten Volks so vollständig bemächtigt, daß es für keine andere Beschäftigung<lb/>
mehr Sinn hatte, Kunst und Wissenschaft war ihm zuwider, und vielleicht lag<lb/>
darin der Grund, daß Gervinus, Hauffer ^c. von vornherein so unpopulär waren.<lb/>
Nimmt mau nun dazu, daß die reelle politische Wirksamkeit eiuen sehr beschränkten<lb/>
Horizont hatte, daß dagegen der ideale Gesichtskreis sehr wenig concreten Inhalt<lb/>
umfaßte, so wird man es begreifen, daß die unmittelbare Erscheinung der Freiheit<lb/>
in Baden noch viel unangenehmer war, als selbst in der Schweiz.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_367" next="#ID_368"> Von den &#x201E;Liberalen" Bayens gingen die Bewegungen für die constitutionelle<lb/>
Centralisation Deutschlands aus; eS war also nur billig, daß die &#x201E;Radikalen"<lb/>
von Mannheim sich der Republikanisirung Dentschlands annahmen. Die ersten<lb/>
Kämpfe im Vorparlament waren eigentlich badenser Localgeschicbte. Diese Lvcal-<lb/>
geschichte, die in dem Aufstand von Hecker und später in dem Raubzuge Struve'S<lb/>
nur eine vorübergehende Erregung verursachte, hat in dem Unternehmen Brentano's</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 14*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0115] schast mit sammt der Nationalversammlung aus Würtemberg hinaus; er warf sie hinaus, in dieses Worts verwegenster Bedeutung. Nach dem schmählichen Ende der neuen Regentschaft, die keinen Anstand ge¬ nommen hatte, aus die naivste Weise ihre Decrete an alte preußische Generale abzuschicken, verbreitete sich das Gerücht vou Raveaux's plötzlichem Tod. Bei seiner hektischen Anlage und der fieberhaften Aufregung, in der er sich beständig befinden mußte, hatte es einige Wahrscheinlichkeit. Wer will entscheiden, ob wir ihn nicht beklagen sollen, daß dieses Gerücht sich nicht bestätigt hat. Sein Leben ist nun verfehlt, denn er war mit voller Seele in den Traum der deutschen Re¬ volution aufgegangen, und die Wirklichkeit ist ihm unverständlich geworden. Er wird nnn das bittere Brot der Verbannung kosten, in demselben Lande, dem er früher als Vertreter einer mächtigen Regierung gegenübertrat, und wird vielleicht auch von da seinen flüchtigen Stab weiter führen müssen. 2. Ludwig Brentano. Der Radikalismus der Badenser hat sich von dem der übrigen Deutschen — wenn man etwa die Pfälzer und die Hanauer aufnimmt, die ihnen benachbart sind — stets durch eine gewisse forcirte Rohheit ausgezeichnet. Die Nachbarschaft der radikalen schweizer Cantone und der eben so radikalen französischen Departe¬ ments hat ihren Einfluß nicht verfehlt, und die weite Entfernung des eigentlichen Feindes, den man zu bekämpfen hatte — denn nicht der Großherzog oder seine Regierung war es, sondern der König von Preußen — hat die Chorführer dieser politischen Partei an Großsprecherei gewöhnt. Schon die „liberale" Opposition gegen das eigentlich auch schon „liberale" Ministerium Beck — die Welcker, die Bassermann, die Mathy n. s. w. — befleißigte sich einer ungewöhnlichen Grobheit, wer also „weiter ging," als diese vormärzlichen Kreaturen, mußte sie wenigstens in dieser löblichen Eigenschuft zu übertreffen suchen. Die Politik hatte sich des gesammten Volks so vollständig bemächtigt, daß es für keine andere Beschäftigung mehr Sinn hatte, Kunst und Wissenschaft war ihm zuwider, und vielleicht lag darin der Grund, daß Gervinus, Hauffer ^c. von vornherein so unpopulär waren. Nimmt mau nun dazu, daß die reelle politische Wirksamkeit eiuen sehr beschränkten Horizont hatte, daß dagegen der ideale Gesichtskreis sehr wenig concreten Inhalt umfaßte, so wird man es begreifen, daß die unmittelbare Erscheinung der Freiheit in Baden noch viel unangenehmer war, als selbst in der Schweiz. Von den „Liberalen" Bayens gingen die Bewegungen für die constitutionelle Centralisation Deutschlands aus; eS war also nur billig, daß die „Radikalen" von Mannheim sich der Republikanisirung Dentschlands annahmen. Die ersten Kämpfe im Vorparlament waren eigentlich badenser Localgeschicbte. Diese Lvcal- geschichte, die in dem Aufstand von Hecker und später in dem Raubzuge Struve'S nur eine vorübergehende Erregung verursachte, hat in dem Unternehmen Brentano's 14*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/115
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/115>, abgerufen am 05.02.2025.