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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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näher, als der Grundbesitzer, der Kaufmann, der Industrielle, denn seine Inter¬
essen gerathen in keinen bestimmten, sichtbaren Conflict mit den Classen, ans welchen
man jenen Begriff in der Regel zusammensetzt.

Als die Bewegung in Deutschland ausbrach, gehörte er zu jener rheinischen
Deputation, die zu den Berliner Barrikaden zwar nicht die Veranlassung, aber
die Gelegenheit gab. Nachher hat er sich an dem, was in Preußen vorging,
direct nicht weiter betheiligt, was für seinen Zweck, den preußischen Particularis-
mus zu Gunsten des einigen freien Deutschland zu brechen, nicht praktisch war,
denn von Innen heraus ist ein StaatSorgauiSMus viel bequemer zu unterwühlen,
als von außen umzustoßen. Schon im Fünfziger-Ausschuß stellte er den Antrag,
den gleichzeitigen Zusammentritt der preußischen Nationalversammlung mit der
Deutschen zu untersagen, in der Paulskirche wiederholte er ihn, und erwirkte
wenigstens den Beschluß, daß von dem Verfassnngswerk der einzelnen Staaten
nur dasjenige giltig sein sollte, was mit der Reichsverfassung nicht im Widerspruch
stände. Er war der Meinung, an der einheitlichen Repräsentation würde sich das
spezifische Preußenthum stärken; die sonderbare Verkettung der Umstände brachte
das Gegentheil hervor.

In der Nationalversammlung gehörte Raveaux überall zur Linken, aber nicht
zur kosmopolitischen, sondern zur spezifisch deutschen; auch hat er sich von den
Manövern seiner politischen Freunde, das Volk durch Lügen und Denunciationen
zu böser Leidenschaft aufzustacheln, stets rein erhalten. Er gehörte zum Club
Westendhall, deu Wcstiudieru, wie sie genannt wurden, oder auch der Linken im
Frack, einer Sammlung geläufiger und immer in sittliche Entrüstung zerfahrener
Redner, die durch Phrasen den Mangel an politischem Stoff zu verdecken suchten.
Er gab dem Erzherzog seine Stimme, "obgleich" er ein Prinz war, denn er sei
der erste deutsche Mann -- wobei er übersah, daß dieses Factum Schock lich zur
Kenntniß des Publikums gelaugt wäre, wenn es sich nicht gerade um einen
Prinzen gehandelt hätte.

Der Reichsverweser war ein Mann nach seinem Herzen; diese Treuherzigkeit,
diese überall hervorquellende Gemüthlichkeit, von der Al'.nul"; i>c>IKii>ii"z bis in die
tiefsten Privatverhältnisse hinein. Er wurde eines mythischen Toastes wegen, den
er ausgebracht haben sollte, der Mann Deutschlands: Kein Oestreich! Kein Preu-' .
ßer! Ein einiges freies Deutschland! Es ist charakteristisch für unsere Nevolu-"
lion, daß diese Sage auf einem Mißverständnis) beruhte; die authentische Version >
lautete: Ein Oestreich! Ein Preußen! Ein einiges Deutschland! In seinem
Aufenthalt in Wien, wie auf seiner Rückkehr schwebte Raveaux in einer be¬
ständigen Exaltation der Entzückung: jetzt war alles Unheil überstanden, der
Mann war gefunden, der einfache, biedre, schlichte, herzige, gute deutsche Mann,
den man als den Typus der deutschen Nation ans den höchsten Stuhl setzen
durste. Das Palladium war im Tempel Se. Pauls aufgestellt, Deutschland war gerettet.


Grenzboten. in. ig4S. 14

näher, als der Grundbesitzer, der Kaufmann, der Industrielle, denn seine Inter¬
essen gerathen in keinen bestimmten, sichtbaren Conflict mit den Classen, ans welchen
man jenen Begriff in der Regel zusammensetzt.

Als die Bewegung in Deutschland ausbrach, gehörte er zu jener rheinischen
Deputation, die zu den Berliner Barrikaden zwar nicht die Veranlassung, aber
die Gelegenheit gab. Nachher hat er sich an dem, was in Preußen vorging,
direct nicht weiter betheiligt, was für seinen Zweck, den preußischen Particularis-
mus zu Gunsten des einigen freien Deutschland zu brechen, nicht praktisch war,
denn von Innen heraus ist ein StaatSorgauiSMus viel bequemer zu unterwühlen,
als von außen umzustoßen. Schon im Fünfziger-Ausschuß stellte er den Antrag,
den gleichzeitigen Zusammentritt der preußischen Nationalversammlung mit der
Deutschen zu untersagen, in der Paulskirche wiederholte er ihn, und erwirkte
wenigstens den Beschluß, daß von dem Verfassnngswerk der einzelnen Staaten
nur dasjenige giltig sein sollte, was mit der Reichsverfassung nicht im Widerspruch
stände. Er war der Meinung, an der einheitlichen Repräsentation würde sich das
spezifische Preußenthum stärken; die sonderbare Verkettung der Umstände brachte
das Gegentheil hervor.

In der Nationalversammlung gehörte Raveaux überall zur Linken, aber nicht
zur kosmopolitischen, sondern zur spezifisch deutschen; auch hat er sich von den
Manövern seiner politischen Freunde, das Volk durch Lügen und Denunciationen
zu böser Leidenschaft aufzustacheln, stets rein erhalten. Er gehörte zum Club
Westendhall, deu Wcstiudieru, wie sie genannt wurden, oder auch der Linken im
Frack, einer Sammlung geläufiger und immer in sittliche Entrüstung zerfahrener
Redner, die durch Phrasen den Mangel an politischem Stoff zu verdecken suchten.
Er gab dem Erzherzog seine Stimme, „obgleich" er ein Prinz war, denn er sei
der erste deutsche Mann — wobei er übersah, daß dieses Factum Schock lich zur
Kenntniß des Publikums gelaugt wäre, wenn es sich nicht gerade um einen
Prinzen gehandelt hätte.

Der Reichsverweser war ein Mann nach seinem Herzen; diese Treuherzigkeit,
diese überall hervorquellende Gemüthlichkeit, von der Al'.nul«; i>c>IKii>ii«z bis in die
tiefsten Privatverhältnisse hinein. Er wurde eines mythischen Toastes wegen, den
er ausgebracht haben sollte, der Mann Deutschlands: Kein Oestreich! Kein Preu-' .
ßer! Ein einiges freies Deutschland! Es ist charakteristisch für unsere Nevolu-"
lion, daß diese Sage auf einem Mißverständnis) beruhte; die authentische Version >
lautete: Ein Oestreich! Ein Preußen! Ein einiges Deutschland! In seinem
Aufenthalt in Wien, wie auf seiner Rückkehr schwebte Raveaux in einer be¬
ständigen Exaltation der Entzückung: jetzt war alles Unheil überstanden, der
Mann war gefunden, der einfache, biedre, schlichte, herzige, gute deutsche Mann,
den man als den Typus der deutschen Nation ans den höchsten Stuhl setzen
durste. Das Palladium war im Tempel Se. Pauls aufgestellt, Deutschland war gerettet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/113>, abgerufen am 05.02.2025.