Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.kein Grund sein, die Verfassung definitiv zu verwerfen; in solchen persönlichen Das Resultat, zu dem er daraus gelaugt, ist Folgendes: "Blicken wir zurück auf die beiden Neichsverfassnugen. Die eine, das Werk kein Grund sein, die Verfassung definitiv zu verwerfen; in solchen persönlichen Das Resultat, zu dem er daraus gelaugt, ist Folgendes: „Blicken wir zurück auf die beiden Neichsverfassnugen. Die eine, das Werk <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279128"/> <p xml:id="ID_312" prev="#ID_311"> kein Grund sein, die Verfassung definitiv zu verwerfen; in solchen persönlichen<lb/> Rechten und Freiheiten kann Jeder, und der Reichstag im Namen Aller, im<lb/> Interesse der endlichen Einigung des Vaterlandes sich zu manchem Opfer ver¬<lb/> stehen. Alles kommt darauf an, ob die Reichsverfassung, wie der Entwurf sie<lb/> gestaltet hat, in der Wirklichkeit durchführbar ist, ob sie nicht blos auf dem Papiere<lb/> den Schein eines Organismus gewährt, sondern wirklich in allen ihren Gliedern<lb/> zu einem organischen Ganzen von freier Bewegung und mächtiger Thatkraft sich<lb/> zusammenschließt. Die Reichsverfassung der Berliner Konferenzen kann und nnter<lb/> Umständen muß sie angenommen werden, wenn sie nur wirklich Deutschland einigt,<lb/> mit einem Worte, wenn sie praktisch möglich ist. Gibt sie aber uur deu Schein<lb/> einer Einheit, führt sie Deutschland nicht seinem großen Ziele zu, stellt sie eine<lb/> todtgeborne Organisation, einen Coniplcx gegenseitig sich hemmender Kräfte, eine<lb/> Reihe sich einander aussehender Factoren hin, so kann und muß sie verworfen<lb/> werden, selbst auf die Gefahr hin, daß nichts Besseres an ihre Stelle träte und<lb/> Deutschland das Jahr, von dem es die Einigung hoffte, mit seiner definitiven<lb/> Zersplitterung schließen müßte. Wir wissen, was das bedeutet; es bedeutet den<lb/> Abschied von einer glänzenden und tausendjährigen Vergangenheit, den Bankerott<lb/> für Gegenwart und Zukunft, die geknickte Existenz, die zerstörte Lebenshoffnung<lb/> eines Jeden, der an dem Aufschwünge des Jahres 1848 mit ganzem Herzen und<lb/> ganzem Gemüthe theilnahm. Aber es kaun nichts nützen, wenn das Elend einmal<lb/> da ist, es unter einen Haufen bunter Lappen zu verstecken." —</p><lb/> <p xml:id="ID_313"> Das Resultat, zu dem er daraus gelaugt, ist Folgendes:</p><lb/> <p xml:id="ID_314" next="#ID_315"> „Blicken wir zurück auf die beiden Neichsverfassnugen. Die eine, das Werk<lb/> der Volksvertreter, ist nicht frei von einzelnen demokratischen Ueberschwänglichkeiten<lb/> und Uebergriffen, aber in ihrem wesentlichen Kern durchdrungen von dem edlen<lb/> Trachten nach allseitiger Gerechtigkeit, vom ernstlichen Festhalten an dem Noth¬<lb/> wendigen für das vorgesteckte hohe Ziel neben möglichster Schonung des Beste¬<lb/> henden, von der innigsten Liebe zum Vaterlands und dem ausharrendsten vorsich¬<lb/> tigsten Fleiße, dabei von musterhaft klarer und bestimmter Form; es ist ein Werk,<lb/> auf das selbst jetzt noch Deutschland stolz ist. Die zweite Redaction, das Werk<lb/> der Staatsmänner, beseitigt richtig und zweckmäßig manche Bestimmung der Frank¬<lb/> furter Reichsverfassung, welche entweder an sich bedenklich ist, oder doch unter<lb/> den gegenwärtigen Umständen aufgegeben werden kauu und muß, wie das allge¬<lb/> meine Wahlrecht und das suspensive Veto. Diese beiden demokratischen Parade¬<lb/> pferde, so wie manches Aehuliche geben wir willig ans; mit Schrecken aber scheu<lb/> wir, daß die beiden Bestimmungen, weswegen von unsern Gegnern die Frank¬<lb/> furter Verfassung als unannehmbar bezeichnet zu werden pflegte, nur den kleinsten<lb/> Theil der Aenderungen ausmachen, und daß viel wichtigere, den eigentlichen Kern<lb/> und Gehalt der Verfassung vernichtende Modificationen unter jener Aegide vorge¬<lb/> nommen worden sind. Wir wollen ein deutsches Reich in der That und in der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0102]
kein Grund sein, die Verfassung definitiv zu verwerfen; in solchen persönlichen
Rechten und Freiheiten kann Jeder, und der Reichstag im Namen Aller, im
Interesse der endlichen Einigung des Vaterlandes sich zu manchem Opfer ver¬
stehen. Alles kommt darauf an, ob die Reichsverfassung, wie der Entwurf sie
gestaltet hat, in der Wirklichkeit durchführbar ist, ob sie nicht blos auf dem Papiere
den Schein eines Organismus gewährt, sondern wirklich in allen ihren Gliedern
zu einem organischen Ganzen von freier Bewegung und mächtiger Thatkraft sich
zusammenschließt. Die Reichsverfassung der Berliner Konferenzen kann und nnter
Umständen muß sie angenommen werden, wenn sie nur wirklich Deutschland einigt,
mit einem Worte, wenn sie praktisch möglich ist. Gibt sie aber uur deu Schein
einer Einheit, führt sie Deutschland nicht seinem großen Ziele zu, stellt sie eine
todtgeborne Organisation, einen Coniplcx gegenseitig sich hemmender Kräfte, eine
Reihe sich einander aussehender Factoren hin, so kann und muß sie verworfen
werden, selbst auf die Gefahr hin, daß nichts Besseres an ihre Stelle träte und
Deutschland das Jahr, von dem es die Einigung hoffte, mit seiner definitiven
Zersplitterung schließen müßte. Wir wissen, was das bedeutet; es bedeutet den
Abschied von einer glänzenden und tausendjährigen Vergangenheit, den Bankerott
für Gegenwart und Zukunft, die geknickte Existenz, die zerstörte Lebenshoffnung
eines Jeden, der an dem Aufschwünge des Jahres 1848 mit ganzem Herzen und
ganzem Gemüthe theilnahm. Aber es kaun nichts nützen, wenn das Elend einmal
da ist, es unter einen Haufen bunter Lappen zu verstecken." —
Das Resultat, zu dem er daraus gelaugt, ist Folgendes:
„Blicken wir zurück auf die beiden Neichsverfassnugen. Die eine, das Werk
der Volksvertreter, ist nicht frei von einzelnen demokratischen Ueberschwänglichkeiten
und Uebergriffen, aber in ihrem wesentlichen Kern durchdrungen von dem edlen
Trachten nach allseitiger Gerechtigkeit, vom ernstlichen Festhalten an dem Noth¬
wendigen für das vorgesteckte hohe Ziel neben möglichster Schonung des Beste¬
henden, von der innigsten Liebe zum Vaterlands und dem ausharrendsten vorsich¬
tigsten Fleiße, dabei von musterhaft klarer und bestimmter Form; es ist ein Werk,
auf das selbst jetzt noch Deutschland stolz ist. Die zweite Redaction, das Werk
der Staatsmänner, beseitigt richtig und zweckmäßig manche Bestimmung der Frank¬
furter Reichsverfassung, welche entweder an sich bedenklich ist, oder doch unter
den gegenwärtigen Umständen aufgegeben werden kauu und muß, wie das allge¬
meine Wahlrecht und das suspensive Veto. Diese beiden demokratischen Parade¬
pferde, so wie manches Aehuliche geben wir willig ans; mit Schrecken aber scheu
wir, daß die beiden Bestimmungen, weswegen von unsern Gegnern die Frank¬
furter Verfassung als unannehmbar bezeichnet zu werden pflegte, nur den kleinsten
Theil der Aenderungen ausmachen, und daß viel wichtigere, den eigentlichen Kern
und Gehalt der Verfassung vernichtende Modificationen unter jener Aegide vorge¬
nommen worden sind. Wir wollen ein deutsches Reich in der That und in der
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