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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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durch die gleich darauf bekannt gemachte Circulardepesche an die deutschen Re¬
gierungen.

Was war eigentlich der Sinn der königlichen Antwort?

Der einzige Rechtstitel der Kaiserwürde, die ans Grund der Verfassung voll¬
zogene Wahl, wurde nicht anerkannt, dagegen die Geneigtheit ausgedrückt, für
Deutschland alle möglichen Opfer zu bringen, und zwar am liebsten in der Form,
wie die Nationalversammlung sie vorgesehn hatte. Die Annahme der Wahl wurde
abhängig gemacht nicht nur von der Einwilligung der Fürsten, wobei gar nicht
einmal gesagt war, ob alle gemeint wären oder nur die Majorität, sondern anch
von einem Gutachten derselben über den Inhalt der Verfassung.

Preußen entzog sich dem Beruf, die Revolution dadurch zu beendigen, daß
es sie fertig in seine Hände nahm. Es hatte weder den Muth, sich ihrer ent¬
schieden zu bemächtigen, noch die Resignation, ebenso entschieden ihre Früchte von
sich zu werfen und dem abstrakten Rechtsprincip zu huldigen.

Eine Erklärung der Kammern mußte von unermeßlicher Wichtigkeit sein.
Die legitimistische Partei und einzelne Männer, die aus Nützlichkeitsrücksichten
dagegen waren, daß sich Preußen überhaupt der deutschen Sache annahm, wie
z. B. Hansemann, suchten eine solche Erklärung dadurch zu hintertreiben, daß
sie es für unconstitutionell ausgaben, in einer Sache, welche die Person des Kö¬
nigs allein anginge, demselben eine Meinung aufdrängen zu wollen. Die Nich¬
tigkeit dieses Grundes springt in die Augen. Friedrich Wilhelm IV. ist nicht sei¬
ner Persönlichkeit wegen, sondern als König von Preußen gewählt, und von seiner
Erklärung hängen nicht nur die Geschicke Deutschlands ab, von welchem die preußi¬
schen Kammern einen so mächtigen Theil repräsentiren, sondern anch geradezu die
Existenz des preußischen Staats. Selbst die Minister hatten es gar nicht versucht,
sich hinter diesen Vorwand zu verschanzen.

Aber die Kammern waren leider eben so unfähig, den großen Moment groß
zu erfassen und in der erhöhten Stimmung eines folgereichen Entschlusses die klein¬
lichen Verhältnisse, in denen sie sich sonst bewegte", von sich abzustreifen. I"
die ernsthaften Berathungen über eine Frage, von deren Entscheidung die Zukunft
des Staats abhängt, brachten sie ihre kläglichen Parteistreitigkeiteu hinein.

Vincke hatte im Zorn über die königliche Antwort eine ziemlich scharfe
Adresse beantragt; es wurde in Folge dessen eine Commission niedergesetzt, in
welcher v. Kirchmann eine zweite, etwas schärfere Adresse, die aber im Wesent¬
lichen auf dasselbe lossteuerte, in Vorschlag brachte. Die Commission konnte sich
so wenig einigen, daß beide Adressen verworfen wurde": ein trübseliges Vorspiel
zu der uoch trübseligeren Entscheidung der Kammer selbst.

Durch die Circulardepesche an die deutschen Regierungen war die Sache in
ein neues Stadium getreten. Preußen hatte dadurch diesen Regierungen gegen¬
über Verpflichtungen übernommen, denen sich auch ein neues Ministerium nicht


durch die gleich darauf bekannt gemachte Circulardepesche an die deutschen Re¬
gierungen.

Was war eigentlich der Sinn der königlichen Antwort?

Der einzige Rechtstitel der Kaiserwürde, die ans Grund der Verfassung voll¬
zogene Wahl, wurde nicht anerkannt, dagegen die Geneigtheit ausgedrückt, für
Deutschland alle möglichen Opfer zu bringen, und zwar am liebsten in der Form,
wie die Nationalversammlung sie vorgesehn hatte. Die Annahme der Wahl wurde
abhängig gemacht nicht nur von der Einwilligung der Fürsten, wobei gar nicht
einmal gesagt war, ob alle gemeint wären oder nur die Majorität, sondern anch
von einem Gutachten derselben über den Inhalt der Verfassung.

Preußen entzog sich dem Beruf, die Revolution dadurch zu beendigen, daß
es sie fertig in seine Hände nahm. Es hatte weder den Muth, sich ihrer ent¬
schieden zu bemächtigen, noch die Resignation, ebenso entschieden ihre Früchte von
sich zu werfen und dem abstrakten Rechtsprincip zu huldigen.

Eine Erklärung der Kammern mußte von unermeßlicher Wichtigkeit sein.
Die legitimistische Partei und einzelne Männer, die aus Nützlichkeitsrücksichten
dagegen waren, daß sich Preußen überhaupt der deutschen Sache annahm, wie
z. B. Hansemann, suchten eine solche Erklärung dadurch zu hintertreiben, daß
sie es für unconstitutionell ausgaben, in einer Sache, welche die Person des Kö¬
nigs allein anginge, demselben eine Meinung aufdrängen zu wollen. Die Nich¬
tigkeit dieses Grundes springt in die Augen. Friedrich Wilhelm IV. ist nicht sei¬
ner Persönlichkeit wegen, sondern als König von Preußen gewählt, und von seiner
Erklärung hängen nicht nur die Geschicke Deutschlands ab, von welchem die preußi¬
schen Kammern einen so mächtigen Theil repräsentiren, sondern anch geradezu die
Existenz des preußischen Staats. Selbst die Minister hatten es gar nicht versucht,
sich hinter diesen Vorwand zu verschanzen.

Aber die Kammern waren leider eben so unfähig, den großen Moment groß
zu erfassen und in der erhöhten Stimmung eines folgereichen Entschlusses die klein¬
lichen Verhältnisse, in denen sie sich sonst bewegte», von sich abzustreifen. I»
die ernsthaften Berathungen über eine Frage, von deren Entscheidung die Zukunft
des Staats abhängt, brachten sie ihre kläglichen Parteistreitigkeiteu hinein.

Vincke hatte im Zorn über die königliche Antwort eine ziemlich scharfe
Adresse beantragt; es wurde in Folge dessen eine Commission niedergesetzt, in
welcher v. Kirchmann eine zweite, etwas schärfere Adresse, die aber im Wesent¬
lichen auf dasselbe lossteuerte, in Vorschlag brachte. Die Commission konnte sich
so wenig einigen, daß beide Adressen verworfen wurde»: ein trübseliges Vorspiel
zu der uoch trübseligeren Entscheidung der Kammer selbst.

Durch die Circulardepesche an die deutschen Regierungen war die Sache in
ein neues Stadium getreten. Preußen hatte dadurch diesen Regierungen gegen¬
über Verpflichtungen übernommen, denen sich auch ein neues Ministerium nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/94>, abgerufen am 15.01.2025.