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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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wirr ihrer Benutzung, so viele Zweifel, ob die Colonisation im Inlands im
Stande sein werde, die Auswanderung nach fremden Ländern und Welttheilen
genügend zu hemmen. Es ist dies letztere kaum zu hoffen. Wenn man die Sta¬
tistik der deutschen Auswanderung nachschlägt, so findet man das Resultat, daß
in den 13 Jahren von 1836 -- 1848 nicht weniger als 629,230 Personen nach
überseeischen Ländern gezogen sind. Wenn nnn auch diese Summe gerade noch
keine übermäßige ist, (etwa 2 Procent der jetzigen Gesammtbevölkerung) so ist sie
doch zu groß sür den allgemeinen Wohlstand, aber auch zu groß, um im Inlande
in dergleichen Zeitfrist placirt worden zu sein. Man denke sich diese Menschen¬
menge in die öden Gegenden Ost- und Westpreußens geworfen, wo, was sehr
zu beachten ist, der Mann mehr als das drei- und vierfache des Areals zu seiner
Ernährung bedarf, als anderswo, und es wird dort wenig Platz mehr übrig
bleiben für den nachdrängenden Strom, der dann nicht so plötzlich in ein anderes
Bette gelenkt werden könnte. Außerdem ist das Verhältniß des Grundbesitzes
im Inlande ganz anders wie in Amerika oder Australien; dort ist der Boden
öfters in den Händen von Privaten, welche sich seiner nicht entäußern wollen und
selbst das Domauialeigenthum kann nnr nach eingeholter Genehmigung der höheren
Behörden erd- und eigenthümlich vergeben werden. Wo er aber nur Pachter,
selbst auf Erbleihe sein kann, geht der deutsche Bauer trotz aller übrigen Vor¬
theile gewiß nicht so gerne hin, als da, wo er mit leichter Mühe und wenig Geld
ein ganz eigenes Gut erwerben kann. Es ist ohnedies schon schwer, seine Ab¬
neigung gegen die Ansiedlung in einem deutsche" Lande zu überwinden, wo er
recht gut weiß, daß er von dem eingeborenen Nachbarn als Eindringling behan¬
delt und der Stcnerbote am Ende kommen wird, wie früher. Da in Deutsch¬
land ganz andre Verhältnisse bei eiuer Colonisation in's Spiel kommen, wie in
Wisconsin oder Texas, so bedarf der Ansiedler dort entweder ein größeres An-
lagecapital oder der Unterstützung der Regierung der neuen Heimath. Diese
Unterstützung bringt aber letztere in ein eigenthümliches Dilemma; denn die alten
Einwohner werden fragen: Warum greift man Fremden unter die Arme und nicht
uns, die wir, wenn dies geschähe, gewiß eben so gut die Production zu vergrö¬
ßern im Stande wären, als jene? Daher müssen solche Unterstützungen nur mäßig
und mit großer Vorsicht stattfinden. Bleiben sie ganz weg, so mißlingen die Colo-
nien allzuleicht, wie dies die Erfahrung gelehrt hat. Es ist aber ein Unterschied
zwischen dem Mißlingen einer Ernte in Missouri und in Westpreußen; in jenem
Land vermag der Bauer zur Noth noch eine Nachfrucht zu erzielen, in diesem
nicht; dort nimmt er vielleicht die Flinte zur Hand und schafft Fleisch in's Haus,
wenn Mangel eintritt, hier wird er gepfändet, wenn er den Hasen säugt, der ihm
den Kohl nascht. Wie schon erwähnt, fühlt auch der ärmste Colone es deutlich,
daß sein Auswandern uach einer andern Provinz des großen Vaterlandes von den
seitherigen Bewohnern der letzteren stets als ein unbefugtes Besitzergreifen zu ihrem


wirr ihrer Benutzung, so viele Zweifel, ob die Colonisation im Inlands im
Stande sein werde, die Auswanderung nach fremden Ländern und Welttheilen
genügend zu hemmen. Es ist dies letztere kaum zu hoffen. Wenn man die Sta¬
tistik der deutschen Auswanderung nachschlägt, so findet man das Resultat, daß
in den 13 Jahren von 1836 — 1848 nicht weniger als 629,230 Personen nach
überseeischen Ländern gezogen sind. Wenn nnn auch diese Summe gerade noch
keine übermäßige ist, (etwa 2 Procent der jetzigen Gesammtbevölkerung) so ist sie
doch zu groß sür den allgemeinen Wohlstand, aber auch zu groß, um im Inlande
in dergleichen Zeitfrist placirt worden zu sein. Man denke sich diese Menschen¬
menge in die öden Gegenden Ost- und Westpreußens geworfen, wo, was sehr
zu beachten ist, der Mann mehr als das drei- und vierfache des Areals zu seiner
Ernährung bedarf, als anderswo, und es wird dort wenig Platz mehr übrig
bleiben für den nachdrängenden Strom, der dann nicht so plötzlich in ein anderes
Bette gelenkt werden könnte. Außerdem ist das Verhältniß des Grundbesitzes
im Inlande ganz anders wie in Amerika oder Australien; dort ist der Boden
öfters in den Händen von Privaten, welche sich seiner nicht entäußern wollen und
selbst das Domauialeigenthum kann nnr nach eingeholter Genehmigung der höheren
Behörden erd- und eigenthümlich vergeben werden. Wo er aber nur Pachter,
selbst auf Erbleihe sein kann, geht der deutsche Bauer trotz aller übrigen Vor¬
theile gewiß nicht so gerne hin, als da, wo er mit leichter Mühe und wenig Geld
ein ganz eigenes Gut erwerben kann. Es ist ohnedies schon schwer, seine Ab¬
neigung gegen die Ansiedlung in einem deutsche» Lande zu überwinden, wo er
recht gut weiß, daß er von dem eingeborenen Nachbarn als Eindringling behan¬
delt und der Stcnerbote am Ende kommen wird, wie früher. Da in Deutsch¬
land ganz andre Verhältnisse bei eiuer Colonisation in's Spiel kommen, wie in
Wisconsin oder Texas, so bedarf der Ansiedler dort entweder ein größeres An-
lagecapital oder der Unterstützung der Regierung der neuen Heimath. Diese
Unterstützung bringt aber letztere in ein eigenthümliches Dilemma; denn die alten
Einwohner werden fragen: Warum greift man Fremden unter die Arme und nicht
uns, die wir, wenn dies geschähe, gewiß eben so gut die Production zu vergrö¬
ßern im Stande wären, als jene? Daher müssen solche Unterstützungen nur mäßig
und mit großer Vorsicht stattfinden. Bleiben sie ganz weg, so mißlingen die Colo-
nien allzuleicht, wie dies die Erfahrung gelehrt hat. Es ist aber ein Unterschied
zwischen dem Mißlingen einer Ernte in Missouri und in Westpreußen; in jenem
Land vermag der Bauer zur Noth noch eine Nachfrucht zu erzielen, in diesem
nicht; dort nimmt er vielleicht die Flinte zur Hand und schafft Fleisch in's Haus,
wenn Mangel eintritt, hier wird er gepfändet, wenn er den Hasen säugt, der ihm
den Kohl nascht. Wie schon erwähnt, fühlt auch der ärmste Colone es deutlich,
daß sein Auswandern uach einer andern Provinz des großen Vaterlandes von den
seitherigen Bewohnern der letzteren stets als ein unbefugtes Besitzergreifen zu ihrem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/58>, abgerufen am 15.01.2025.