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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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schreiben, als der wahnsinnige Christian von Dänemark. Wenn sich der liebe
Herrgott und die Franzosen nicht darein mengen, bekommen wir einen Länder¬
schacher, daß sich der höchstselige Franz im Grabe vor Freude über den so treulich
nachartenden Enkel dreimal umkehren wird. Oestreich intervenirt, als bedürfte es
eines Aderlasses, um seiner überflüssigen Kräfte loszuwerden, mit 50,000 Mann
im Römischen und Toskanischen, schickt Truppen an den Rhein und überläßt Un¬
garns Pacification der vt ^omusAinv. Mit der heiligen Allianz ist's ans; man wird
Preußen in die Compagnie nur aufnehmen, wenn die Noth dazu drängen sollte.
Gelingt es Frankreich und die Türkei so lange einzulullen, bis man mit Ungarn
und Italien fertig geworden, wie man's in Kurzem hofft, so liegt der Vorwand
zum Kriege mit Preußen, welches nicht mehr zur Hammer-, sondern Amboßrolle
bestimmt ist, schon in Bereitschaft. Daher der schnell abgeschlossene Vertrag mit
der Türkei, daher die plötzliche Anerkennung der französischen Republik, daher der
Protest gegen den Einmarsch in Jütland, wovon man bei gelegener Zeit Gebrauch
zu machen gedenkt. Preußen und England werden nicht gefürchtet; in ersterem sorgt
das Ministerium Manteuffel und Nadowitz, in letzterem Cobden und Hume dafür,
daß Nußland keine wesentlichen Hindernisse finde. Den Thcilnngsplan des öst¬
lichen Europa trägt Herr Schwarzenberg bereits in der Tasche. Von der deutsch¬
italienisch-türkischen Beute bekommt Oestreich, was sich von Italien möglicherweise
nehmen läßt -- daher die Anforderung an den Großherzog von Toskana abzu¬
treten -- daun von der nordwestliche" Türkei und von Preußen was eS ungefähr
auf einmal verdauen kann. Als Entschädigung erhält Nußland wahrscheinlich
Galizien -- die russischen Generäle geruen sich bereits darin als die Herren und
erlassen Befehle und Verordnungen auf eigene Faust -- die preußischen Ostscc-
läudcr und was ihm sonst in Deutschland und der Türkei zu nehmen gut dünken
wird. Daß Oestreich bei all diesen Plänen nur das blinde Werkzeug des Czars ist,
welches dieser zerbrechen wird, sobald es ihm ohne Gefahr thunlich scheine" wird,
um als alleiniger Herrscher des Ostens und somit von ganz Europa dazustehen,
sieht weder die Dynastie, uoch die Negierung in ihrer verhäugnißvollen Verblen¬
dung. Sie beurtheilen Rußland von ihrem eigenen Standpunkte als Vorfechter
der Legitimität. Nußland bedient sich der Legitimität blos als Larve, denn es
braucht nicht dafür zu kämpfen, wie die übrigen Dynasten AlteuropaS -- sie steht
unangefochten da. Nußland hat mit den übrigen dynastischen Mächte" nichts ge¬
mein, es ist keine Macht des Stillstands, es braucht nicht zu conserviren und zu
vertheidigen, es hat eine höhere Aufgabe, die des Fortschritts. Freilich nicht des
Fortschritts in uuserem Sinn und Geschmack, denn es ist der Fortschritt zur Welt¬
herrschaft. Umsonst hat Nikolaus uicht sein ganzes Leben und alle Kräfte Ru߬
lands aus Heranbildung einer furchtbare" Armee gewendet, umsonst ist dem russi¬
schen Soldaten nicht eingeprägt worden, die Könige Europas wären blos die
Unterkncise seines Czars. Die Berührung mit den Russen könnte bei den Mährern,


schreiben, als der wahnsinnige Christian von Dänemark. Wenn sich der liebe
Herrgott und die Franzosen nicht darein mengen, bekommen wir einen Länder¬
schacher, daß sich der höchstselige Franz im Grabe vor Freude über den so treulich
nachartenden Enkel dreimal umkehren wird. Oestreich intervenirt, als bedürfte es
eines Aderlasses, um seiner überflüssigen Kräfte loszuwerden, mit 50,000 Mann
im Römischen und Toskanischen, schickt Truppen an den Rhein und überläßt Un¬
garns Pacification der vt ^omusAinv. Mit der heiligen Allianz ist's ans; man wird
Preußen in die Compagnie nur aufnehmen, wenn die Noth dazu drängen sollte.
Gelingt es Frankreich und die Türkei so lange einzulullen, bis man mit Ungarn
und Italien fertig geworden, wie man's in Kurzem hofft, so liegt der Vorwand
zum Kriege mit Preußen, welches nicht mehr zur Hammer-, sondern Amboßrolle
bestimmt ist, schon in Bereitschaft. Daher der schnell abgeschlossene Vertrag mit
der Türkei, daher die plötzliche Anerkennung der französischen Republik, daher der
Protest gegen den Einmarsch in Jütland, wovon man bei gelegener Zeit Gebrauch
zu machen gedenkt. Preußen und England werden nicht gefürchtet; in ersterem sorgt
das Ministerium Manteuffel und Nadowitz, in letzterem Cobden und Hume dafür,
daß Nußland keine wesentlichen Hindernisse finde. Den Thcilnngsplan des öst¬
lichen Europa trägt Herr Schwarzenberg bereits in der Tasche. Von der deutsch¬
italienisch-türkischen Beute bekommt Oestreich, was sich von Italien möglicherweise
nehmen läßt — daher die Anforderung an den Großherzog von Toskana abzu¬
treten — daun von der nordwestliche» Türkei und von Preußen was eS ungefähr
auf einmal verdauen kann. Als Entschädigung erhält Nußland wahrscheinlich
Galizien — die russischen Generäle geruen sich bereits darin als die Herren und
erlassen Befehle und Verordnungen auf eigene Faust — die preußischen Ostscc-
läudcr und was ihm sonst in Deutschland und der Türkei zu nehmen gut dünken
wird. Daß Oestreich bei all diesen Plänen nur das blinde Werkzeug des Czars ist,
welches dieser zerbrechen wird, sobald es ihm ohne Gefahr thunlich scheine» wird,
um als alleiniger Herrscher des Ostens und somit von ganz Europa dazustehen,
sieht weder die Dynastie, uoch die Negierung in ihrer verhäugnißvollen Verblen¬
dung. Sie beurtheilen Rußland von ihrem eigenen Standpunkte als Vorfechter
der Legitimität. Nußland bedient sich der Legitimität blos als Larve, denn es
braucht nicht dafür zu kämpfen, wie die übrigen Dynasten AlteuropaS — sie steht
unangefochten da. Nußland hat mit den übrigen dynastischen Mächte» nichts ge¬
mein, es ist keine Macht des Stillstands, es braucht nicht zu conserviren und zu
vertheidigen, es hat eine höhere Aufgabe, die des Fortschritts. Freilich nicht des
Fortschritts in uuserem Sinn und Geschmack, denn es ist der Fortschritt zur Welt¬
herrschaft. Umsonst hat Nikolaus uicht sein ganzes Leben und alle Kräfte Ru߬
lands aus Heranbildung einer furchtbare» Armee gewendet, umsonst ist dem russi¬
schen Soldaten nicht eingeprägt worden, die Könige Europas wären blos die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/469>, abgerufen am 15.01.2025.