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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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zu umgehen. Eine Deduction, gegen welche die conservativen Journale entschie¬
den Protest einlegen mußten.

Ueberhaupt konnte man die Ansichten der Zeitungshalle, so sehr sie im Re¬
sultat mit denen der Regierungspresse übereinzukommen schienen, leicht von der¬
selben unterscheiden. So wie die Apostaten vom Protestantismus trotz ihrer Be¬
geisterung für das Princip der allgemeinen Kirche dennoch auf protestantischen Bo¬
den bleiben -- denn die aus der Reflexiv" hergeleitete Anerkennung des Alte"
setzt Freiheit voraus, während das Princip der Kirche Gehorsam ist, -- so bleibt
der Radicale, wenn er durch die vermeintlichen Consequenzen seines Princips zum
entgegengesetzten Extreme fortgetrieben ist, immer ein verkappter Jacobiner. Seine
Principien gehen nicht in die Gesinnung über, er behält immer die sophistische
Freiheit, mit deu Gesichtspunkten zu wechseln und wenn er heute dem Philister
vorwirft, er gehe mit seinen Wünschen über seine Kräfte hinaus, so wird er
morgen unter Umständen hinzusetzen, aber diese Wünsche gehen noch lange nicht
weit genug, darum weg überhaupt mit dem Philister und es lebe das souveräne
Volk und die Guillotine!

Während der Zeit des Landtags und des Polenprocesses behielt die Ironie
gegen die Philister die conservative Maske. Das Blatt wurde auffallend unpo¬
pulär. Als aber die Lärmglocke der französischen Revolution erscholl, da regten
sich mit Macht die alten Sympatien. Die Zeitungshalle wurde der Versammlungs¬
ort der Demagogen; in der Nacht des 18. März wurde sie vom Militär erstürmt.

Das Volk hatte gesiegt. Gleich darauf brachte die Zeitungshalle einen Ar¬
tikel, der in Berlin das ungeheuerste Aufsehn erregte. Es hieß darin, mit den
vorläufigen Errungenschaften der politischen Freiheit sei es nicht abgethan, es
handle sich jetzt um einen viel ernsthafterer Conflict, den zwischen Arm und Reich,
und diesem Uebelstand müsse sofort abgeholfen werden. Darüber gerieth die Bour¬
geoisie ganz eigentlich außer sich, sie rückte deu vermessenen Wühler mit Schlepp-
säbeln auf den Leib und zwang ihn zu einer Art Deprecation. Seitdem ging
Julius nicht anders aus, als mit einer Muskete auf dem Rucke"; er predigte
von der Souveränität des Volks, und Träume von Marat und Robespierre um-
gaukelten seine Nächte.

Die Zeitungshalle wurde nun ihrem Ton wie ihrem Inhalt nach ein Blatt
der entschiedenen Demokratie, d. h., es wurde grob, cynisch, es machte Lärm
ohne erheblichen Grund, es war unermüdlich in Forderungen, nur um deu eignen
Radikalismus unausgesetzt in Athem zu erhalten, es lästerte die Fürsten und
schmeichelte dem Pöbel, vor alle" Dingen, es erklärte die Polen für das erste
Volk der Erde. Als der demokratische Kongreß in Berlin zusammentrat, gelang
es Julius, sei" Blatt zum officiellen Organ der Demokratie zu erheben. Aber es
dauerte nicht lange, die Reform trat bald in seine Stelle. Julius konnte einerseits seine
Vergangenheit nicht in Vergessenheit bringen, er war zu bekannt, um die Rolle eines Pro-


zu umgehen. Eine Deduction, gegen welche die conservativen Journale entschie¬
den Protest einlegen mußten.

Ueberhaupt konnte man die Ansichten der Zeitungshalle, so sehr sie im Re¬
sultat mit denen der Regierungspresse übereinzukommen schienen, leicht von der¬
selben unterscheiden. So wie die Apostaten vom Protestantismus trotz ihrer Be¬
geisterung für das Princip der allgemeinen Kirche dennoch auf protestantischen Bo¬
den bleiben — denn die aus der Reflexiv» hergeleitete Anerkennung des Alte»
setzt Freiheit voraus, während das Princip der Kirche Gehorsam ist, — so bleibt
der Radicale, wenn er durch die vermeintlichen Consequenzen seines Princips zum
entgegengesetzten Extreme fortgetrieben ist, immer ein verkappter Jacobiner. Seine
Principien gehen nicht in die Gesinnung über, er behält immer die sophistische
Freiheit, mit deu Gesichtspunkten zu wechseln und wenn er heute dem Philister
vorwirft, er gehe mit seinen Wünschen über seine Kräfte hinaus, so wird er
morgen unter Umständen hinzusetzen, aber diese Wünsche gehen noch lange nicht
weit genug, darum weg überhaupt mit dem Philister und es lebe das souveräne
Volk und die Guillotine!

Während der Zeit des Landtags und des Polenprocesses behielt die Ironie
gegen die Philister die conservative Maske. Das Blatt wurde auffallend unpo¬
pulär. Als aber die Lärmglocke der französischen Revolution erscholl, da regten
sich mit Macht die alten Sympatien. Die Zeitungshalle wurde der Versammlungs¬
ort der Demagogen; in der Nacht des 18. März wurde sie vom Militär erstürmt.

Das Volk hatte gesiegt. Gleich darauf brachte die Zeitungshalle einen Ar¬
tikel, der in Berlin das ungeheuerste Aufsehn erregte. Es hieß darin, mit den
vorläufigen Errungenschaften der politischen Freiheit sei es nicht abgethan, es
handle sich jetzt um einen viel ernsthafterer Conflict, den zwischen Arm und Reich,
und diesem Uebelstand müsse sofort abgeholfen werden. Darüber gerieth die Bour¬
geoisie ganz eigentlich außer sich, sie rückte deu vermessenen Wühler mit Schlepp-
säbeln auf den Leib und zwang ihn zu einer Art Deprecation. Seitdem ging
Julius nicht anders aus, als mit einer Muskete auf dem Rucke»; er predigte
von der Souveränität des Volks, und Träume von Marat und Robespierre um-
gaukelten seine Nächte.

Die Zeitungshalle wurde nun ihrem Ton wie ihrem Inhalt nach ein Blatt
der entschiedenen Demokratie, d. h., es wurde grob, cynisch, es machte Lärm
ohne erheblichen Grund, es war unermüdlich in Forderungen, nur um deu eignen
Radikalismus unausgesetzt in Athem zu erhalten, es lästerte die Fürsten und
schmeichelte dem Pöbel, vor alle» Dingen, es erklärte die Polen für das erste
Volk der Erde. Als der demokratische Kongreß in Berlin zusammentrat, gelang
es Julius, sei» Blatt zum officiellen Organ der Demokratie zu erheben. Aber es
dauerte nicht lange, die Reform trat bald in seine Stelle. Julius konnte einerseits seine
Vergangenheit nicht in Vergessenheit bringen, er war zu bekannt, um die Rolle eines Pro-


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[0444] zu umgehen. Eine Deduction, gegen welche die conservativen Journale entschie¬ den Protest einlegen mußten. Ueberhaupt konnte man die Ansichten der Zeitungshalle, so sehr sie im Re¬ sultat mit denen der Regierungspresse übereinzukommen schienen, leicht von der¬ selben unterscheiden. So wie die Apostaten vom Protestantismus trotz ihrer Be¬ geisterung für das Princip der allgemeinen Kirche dennoch auf protestantischen Bo¬ den bleiben — denn die aus der Reflexiv» hergeleitete Anerkennung des Alte» setzt Freiheit voraus, während das Princip der Kirche Gehorsam ist, — so bleibt der Radicale, wenn er durch die vermeintlichen Consequenzen seines Princips zum entgegengesetzten Extreme fortgetrieben ist, immer ein verkappter Jacobiner. Seine Principien gehen nicht in die Gesinnung über, er behält immer die sophistische Freiheit, mit deu Gesichtspunkten zu wechseln und wenn er heute dem Philister vorwirft, er gehe mit seinen Wünschen über seine Kräfte hinaus, so wird er morgen unter Umständen hinzusetzen, aber diese Wünsche gehen noch lange nicht weit genug, darum weg überhaupt mit dem Philister und es lebe das souveräne Volk und die Guillotine! Während der Zeit des Landtags und des Polenprocesses behielt die Ironie gegen die Philister die conservative Maske. Das Blatt wurde auffallend unpo¬ pulär. Als aber die Lärmglocke der französischen Revolution erscholl, da regten sich mit Macht die alten Sympatien. Die Zeitungshalle wurde der Versammlungs¬ ort der Demagogen; in der Nacht des 18. März wurde sie vom Militär erstürmt. Das Volk hatte gesiegt. Gleich darauf brachte die Zeitungshalle einen Ar¬ tikel, der in Berlin das ungeheuerste Aufsehn erregte. Es hieß darin, mit den vorläufigen Errungenschaften der politischen Freiheit sei es nicht abgethan, es handle sich jetzt um einen viel ernsthafterer Conflict, den zwischen Arm und Reich, und diesem Uebelstand müsse sofort abgeholfen werden. Darüber gerieth die Bour¬ geoisie ganz eigentlich außer sich, sie rückte deu vermessenen Wühler mit Schlepp- säbeln auf den Leib und zwang ihn zu einer Art Deprecation. Seitdem ging Julius nicht anders aus, als mit einer Muskete auf dem Rucke»; er predigte von der Souveränität des Volks, und Träume von Marat und Robespierre um- gaukelten seine Nächte. Die Zeitungshalle wurde nun ihrem Ton wie ihrem Inhalt nach ein Blatt der entschiedenen Demokratie, d. h., es wurde grob, cynisch, es machte Lärm ohne erheblichen Grund, es war unermüdlich in Forderungen, nur um deu eignen Radikalismus unausgesetzt in Athem zu erhalten, es lästerte die Fürsten und schmeichelte dem Pöbel, vor alle» Dingen, es erklärte die Polen für das erste Volk der Erde. Als der demokratische Kongreß in Berlin zusammentrat, gelang es Julius, sei» Blatt zum officiellen Organ der Demokratie zu erheben. Aber es dauerte nicht lange, die Reform trat bald in seine Stelle. Julius konnte einerseits seine Vergangenheit nicht in Vergessenheit bringen, er war zu bekannt, um die Rolle eines Pro-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/444>, abgerufen am 15.01.2025.