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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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sich doch mit dem Bewußtsein tragen, dadurch die gute Sache der politischen Frei¬
heit zu fördern.

Endlich kam der große Tag der Barrikaden, und unserer alten Freundin er¬
ging es, wie manchem andern Kopf, sie fing an, außer sich zu gerathen. Doch
muß man gestehn, daß bei ihr dieser Zustand eine ebenso liebenswürdige als selt¬
same Form annahm. In dem "Extrablatt der Freude" wurde nicht nur der Jubel
über die Errungenschaften des 18. März , deren Umfang man damals noch gar
nicht vollständig ermessen konnte, mit einer lyrischen Virtuosität ausgeströmt, wie
nur ein Bourgeois in Feiertagen ihrer fähig ist, nicht nur wurde das Mittel, zu
denselben zu gelangen, die Jnsurrection, vollständig in der Ordnung gefunden,
sondern das Herz der Tante war weit genng, sämmtliche streitende Parteien mit
gleicher Inbrunst zu umfassen, den König wie das Volk, die Garde wie die Emente.
Das Volk wurde wegen seiner Tapferkeit, seiner Großmuth, seiner Mäßigung in
den Himmel erhoben, und von den Soldaten gesagt, sie wären sähig, Europa
zu erobern, denn nur von den Berlinern, der heldeinuüthigsteu aller Nationen
seien sie gewichen. Jetzt werde übrigens Alles ans -das Vollkommenste gut, frei,
glücklich u. tgi. werden, Deutschland, Preußen, der König, das Volk, die Repu¬
blik -- Alles, Alles werde gedeihen nach der glorreichen Nacht des 18. März.

Noch ein paarmal unternahm es die Voß, in leitenden Artikeln sich über die
Politik vernehmen zu lassen. Eigentlich ist der Grundzug ihrer Politik Loyalität,
und wenn sie die Berliner Barrikaden rühmt, so ist auch das nnr Patriotismus:
jetzt könnt ihr Pariser u. s. w. uns nichts vorwerfen, wir haben unsere Revolu¬
tion, mit Nationaleigenthum und allen übrigen Pertinentien so gut als ihr! Gern
würde sie auch ein wenig Republik haben, wenn nnr der König dabei bestehn könnte.

Im Ganzen hat sich aber die Politik wieder.in die Inserate zurückgezogen,
wo sie mehr Raum, mehr Freiheit und dadurch auch mehr Laune und Naivität
findet. Hier darf sie ohne Groll und ohne Bangen sich dem lieblichen Lüftchen
der augenblicklichen Stimmung überlassen, lieben, hassen, schmollen, kokettiren, wie
der Geist es ihr gebietet. Und darum ist anch unsere Freundin, obgleich alle
die jungen Schwestern, die um die Volksgunst mit ihr buhlte", verständiger, ge¬
setzter, brauchbarer waren, dennoch der Liebling Herrn Bnffcy's geblieben, denn
er treibt Politik nur der Zerstreuung wegen, und das hat er bequemer in dem
confusen Geplauder der guten Tante, als in dem weitläufigen Näsonniren der
übrigen Zeitungen, die durch Gründe, Cvnscquenzmacherei und ähnliches pedanti¬
sche Gehabe die gute Lanne und die individuelle Freiheit des Hausbesitzers ver¬
kümmern.


2. Die Spenersche.

Die beiden guten Alten sind Zwillingsschwestern, aber die Vossische, als Be¬
sitzerin einer öffentlichen Wirthschaft, hat vorzüglich locale Bekanntschaften und


sich doch mit dem Bewußtsein tragen, dadurch die gute Sache der politischen Frei¬
heit zu fördern.

Endlich kam der große Tag der Barrikaden, und unserer alten Freundin er¬
ging es, wie manchem andern Kopf, sie fing an, außer sich zu gerathen. Doch
muß man gestehn, daß bei ihr dieser Zustand eine ebenso liebenswürdige als selt¬
same Form annahm. In dem „Extrablatt der Freude" wurde nicht nur der Jubel
über die Errungenschaften des 18. März , deren Umfang man damals noch gar
nicht vollständig ermessen konnte, mit einer lyrischen Virtuosität ausgeströmt, wie
nur ein Bourgeois in Feiertagen ihrer fähig ist, nicht nur wurde das Mittel, zu
denselben zu gelangen, die Jnsurrection, vollständig in der Ordnung gefunden,
sondern das Herz der Tante war weit genng, sämmtliche streitende Parteien mit
gleicher Inbrunst zu umfassen, den König wie das Volk, die Garde wie die Emente.
Das Volk wurde wegen seiner Tapferkeit, seiner Großmuth, seiner Mäßigung in
den Himmel erhoben, und von den Soldaten gesagt, sie wären sähig, Europa
zu erobern, denn nur von den Berlinern, der heldeinuüthigsteu aller Nationen
seien sie gewichen. Jetzt werde übrigens Alles ans -das Vollkommenste gut, frei,
glücklich u. tgi. werden, Deutschland, Preußen, der König, das Volk, die Repu¬
blik — Alles, Alles werde gedeihen nach der glorreichen Nacht des 18. März.

Noch ein paarmal unternahm es die Voß, in leitenden Artikeln sich über die
Politik vernehmen zu lassen. Eigentlich ist der Grundzug ihrer Politik Loyalität,
und wenn sie die Berliner Barrikaden rühmt, so ist auch das nnr Patriotismus:
jetzt könnt ihr Pariser u. s. w. uns nichts vorwerfen, wir haben unsere Revolu¬
tion, mit Nationaleigenthum und allen übrigen Pertinentien so gut als ihr! Gern
würde sie auch ein wenig Republik haben, wenn nnr der König dabei bestehn könnte.

Im Ganzen hat sich aber die Politik wieder.in die Inserate zurückgezogen,
wo sie mehr Raum, mehr Freiheit und dadurch auch mehr Laune und Naivität
findet. Hier darf sie ohne Groll und ohne Bangen sich dem lieblichen Lüftchen
der augenblicklichen Stimmung überlassen, lieben, hassen, schmollen, kokettiren, wie
der Geist es ihr gebietet. Und darum ist anch unsere Freundin, obgleich alle
die jungen Schwestern, die um die Volksgunst mit ihr buhlte«, verständiger, ge¬
setzter, brauchbarer waren, dennoch der Liebling Herrn Bnffcy's geblieben, denn
er treibt Politik nur der Zerstreuung wegen, und das hat er bequemer in dem
confusen Geplauder der guten Tante, als in dem weitläufigen Näsonniren der
übrigen Zeitungen, die durch Gründe, Cvnscquenzmacherei und ähnliches pedanti¬
sche Gehabe die gute Lanne und die individuelle Freiheit des Hausbesitzers ver¬
kümmern.


2. Die Spenersche.

Die beiden guten Alten sind Zwillingsschwestern, aber die Vossische, als Be¬
sitzerin einer öffentlichen Wirthschaft, hat vorzüglich locale Bekanntschaften und


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[0436] sich doch mit dem Bewußtsein tragen, dadurch die gute Sache der politischen Frei¬ heit zu fördern. Endlich kam der große Tag der Barrikaden, und unserer alten Freundin er¬ ging es, wie manchem andern Kopf, sie fing an, außer sich zu gerathen. Doch muß man gestehn, daß bei ihr dieser Zustand eine ebenso liebenswürdige als selt¬ same Form annahm. In dem „Extrablatt der Freude" wurde nicht nur der Jubel über die Errungenschaften des 18. März , deren Umfang man damals noch gar nicht vollständig ermessen konnte, mit einer lyrischen Virtuosität ausgeströmt, wie nur ein Bourgeois in Feiertagen ihrer fähig ist, nicht nur wurde das Mittel, zu denselben zu gelangen, die Jnsurrection, vollständig in der Ordnung gefunden, sondern das Herz der Tante war weit genng, sämmtliche streitende Parteien mit gleicher Inbrunst zu umfassen, den König wie das Volk, die Garde wie die Emente. Das Volk wurde wegen seiner Tapferkeit, seiner Großmuth, seiner Mäßigung in den Himmel erhoben, und von den Soldaten gesagt, sie wären sähig, Europa zu erobern, denn nur von den Berlinern, der heldeinuüthigsteu aller Nationen seien sie gewichen. Jetzt werde übrigens Alles ans -das Vollkommenste gut, frei, glücklich u. tgi. werden, Deutschland, Preußen, der König, das Volk, die Repu¬ blik — Alles, Alles werde gedeihen nach der glorreichen Nacht des 18. März. Noch ein paarmal unternahm es die Voß, in leitenden Artikeln sich über die Politik vernehmen zu lassen. Eigentlich ist der Grundzug ihrer Politik Loyalität, und wenn sie die Berliner Barrikaden rühmt, so ist auch das nnr Patriotismus: jetzt könnt ihr Pariser u. s. w. uns nichts vorwerfen, wir haben unsere Revolu¬ tion, mit Nationaleigenthum und allen übrigen Pertinentien so gut als ihr! Gern würde sie auch ein wenig Republik haben, wenn nnr der König dabei bestehn könnte. Im Ganzen hat sich aber die Politik wieder.in die Inserate zurückgezogen, wo sie mehr Raum, mehr Freiheit und dadurch auch mehr Laune und Naivität findet. Hier darf sie ohne Groll und ohne Bangen sich dem lieblichen Lüftchen der augenblicklichen Stimmung überlassen, lieben, hassen, schmollen, kokettiren, wie der Geist es ihr gebietet. Und darum ist anch unsere Freundin, obgleich alle die jungen Schwestern, die um die Volksgunst mit ihr buhlte«, verständiger, ge¬ setzter, brauchbarer waren, dennoch der Liebling Herrn Bnffcy's geblieben, denn er treibt Politik nur der Zerstreuung wegen, und das hat er bequemer in dem confusen Geplauder der guten Tante, als in dem weitläufigen Näsonniren der übrigen Zeitungen, die durch Gründe, Cvnscquenzmacherei und ähnliches pedanti¬ sche Gehabe die gute Lanne und die individuelle Freiheit des Hausbesitzers ver¬ kümmern. 2. Die Spenersche. Die beiden guten Alten sind Zwillingsschwestern, aber die Vossische, als Be¬ sitzerin einer öffentlichen Wirthschaft, hat vorzüglich locale Bekanntschaften und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/436>, abgerufen am 15.01.2025.