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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Censur verwehrt es uns nicht, uns über die Orthodoxie zu moquiren, wenn wir
um die Grenzen des Anstandes nicht überschreiten.

Auf die kleinen Plänkler der "Eingesandt" folgte das Gros der Armee, die
Kindtanfs-, Hochzeits-, Todes-Anzeigen; die Anpreisungen der jüdischen National-
Kleider-Magazine: "Meine Herren! es gibt keine Armuth mehr! wer tausend
Thaler gewinnen will, komme, Spandauer Sachen so nud so viel, da sind Bein¬
kleider und Westen so wohlfeil, daß man einen jährlichen Gewinn von 50 Thalern
dabei macht, den Procenten jenes Capitals." Und wie die gute" Botschaften
sonst lauteten.

Ein wunderbares Gesicht machten die Berliner Zeitungen im Jahr 1840, als
mau es höchsten Orts für angemessen erklärte, auch über vaterländische Angele¬
genheiten freimüthig, wenn auch bescheiden und wohlmeinend sich zu äußern. -- Ja
worüber sollte man sich in aller Geschwindigkeit hören lassen? -- Die Spenersche
betrat zuerst die Bahn deS Ruhmes und der Freiheit. Ju einer Reihe leitender
Artikel wurde die Budensrage ventilirt: ob es zweckmäßiger wäre, dein Opernhaus
gegenüber die Neuerung kleiner Verkaufsladen einzuführen, oder den alten Zustand
zu conserviren? Der Federkrieg wurde ziemlich lebhaft geführt, und dauerte einige
Monate. Die Vossische gewann einige Zeit darauf einen noch viel einträglicheren
Inhalt durch den Eifer des Herrn v. Drieberg, das Publikum darüber aufzuklä¬
ren, daß eS keinen Luftdruck gebe, und durch die nicht minder große >We der
Physiker, die Legitimität des Barometers zu retten.

So konnte es indeß auf die Dauer nicht fortgehen. Die Provinzialpresse
bediente sich des neugewonnenen Raums für den Flügelschlag einer freien Seele
mit großer Lebhaftigkeit, man kaun sagen, mit einigem Muthwillen. In Köln,
in Königsberg, selbst in Stettin erschollen StaatSgesprächc, und der Berliner konnte
sich nicht genug wundern, daß er erst ans der Fremde erfahren mußte, was in
seiner unmittelbarsten Nähe gethan würde. Denn der eigentliche Mittelpunkt alles
dessen, was in den deutschen Zeitungen geschrieben wurde, blieb immer Berlin:
entweder wollte man auf die Negierung einwirken oder man wollte sie ärgern. Am
meisten aber mußte es den gutgesinnten Bürger befremden, als selbst die Regie¬
rung, die sich damals gleichfalls der Presse zu bemächtigen suchte, ihre Organe
in die Provinzen verlegte. Das Berliner politische Wochenblatt, welches eigentlich
nie für nule wirkliche Zeitung hatte gelten können, war mit der Thronbesteigung
Friedrich Wilhelm IV. eingegangen, die Staatszeitung nahm mir für eine kurze
Zeit, unter Hermes, einen selbstständigen Anlauf, und man überließ es dem rhei¬
nischen Beobachter und der Zeitung für Preußen, das herrschende System gegen
die subversiven Theorien der Liberalen zu vertheidige".

Freilich wurde der größere Theil dieser Zeitungen dennoch in Berlin geschrieben.
Die abstracte Literatur, welche-in ander" Zweige" in Leipzig wucherte, fand in
den politischen Geschäften doch in Berlin ihren ergiebigste" Boden. Von Stehcly


Censur verwehrt es uns nicht, uns über die Orthodoxie zu moquiren, wenn wir
um die Grenzen des Anstandes nicht überschreiten.

Auf die kleinen Plänkler der „Eingesandt" folgte das Gros der Armee, die
Kindtanfs-, Hochzeits-, Todes-Anzeigen; die Anpreisungen der jüdischen National-
Kleider-Magazine: „Meine Herren! es gibt keine Armuth mehr! wer tausend
Thaler gewinnen will, komme, Spandauer Sachen so nud so viel, da sind Bein¬
kleider und Westen so wohlfeil, daß man einen jährlichen Gewinn von 50 Thalern
dabei macht, den Procenten jenes Capitals." Und wie die gute» Botschaften
sonst lauteten.

Ein wunderbares Gesicht machten die Berliner Zeitungen im Jahr 1840, als
mau es höchsten Orts für angemessen erklärte, auch über vaterländische Angele¬
genheiten freimüthig, wenn auch bescheiden und wohlmeinend sich zu äußern. — Ja
worüber sollte man sich in aller Geschwindigkeit hören lassen? — Die Spenersche
betrat zuerst die Bahn deS Ruhmes und der Freiheit. Ju einer Reihe leitender
Artikel wurde die Budensrage ventilirt: ob es zweckmäßiger wäre, dein Opernhaus
gegenüber die Neuerung kleiner Verkaufsladen einzuführen, oder den alten Zustand
zu conserviren? Der Federkrieg wurde ziemlich lebhaft geführt, und dauerte einige
Monate. Die Vossische gewann einige Zeit darauf einen noch viel einträglicheren
Inhalt durch den Eifer des Herrn v. Drieberg, das Publikum darüber aufzuklä¬
ren, daß eS keinen Luftdruck gebe, und durch die nicht minder große >We der
Physiker, die Legitimität des Barometers zu retten.

So konnte es indeß auf die Dauer nicht fortgehen. Die Provinzialpresse
bediente sich des neugewonnenen Raums für den Flügelschlag einer freien Seele
mit großer Lebhaftigkeit, man kaun sagen, mit einigem Muthwillen. In Köln,
in Königsberg, selbst in Stettin erschollen StaatSgesprächc, und der Berliner konnte
sich nicht genug wundern, daß er erst ans der Fremde erfahren mußte, was in
seiner unmittelbarsten Nähe gethan würde. Denn der eigentliche Mittelpunkt alles
dessen, was in den deutschen Zeitungen geschrieben wurde, blieb immer Berlin:
entweder wollte man auf die Negierung einwirken oder man wollte sie ärgern. Am
meisten aber mußte es den gutgesinnten Bürger befremden, als selbst die Regie¬
rung, die sich damals gleichfalls der Presse zu bemächtigen suchte, ihre Organe
in die Provinzen verlegte. Das Berliner politische Wochenblatt, welches eigentlich
nie für nule wirkliche Zeitung hatte gelten können, war mit der Thronbesteigung
Friedrich Wilhelm IV. eingegangen, die Staatszeitung nahm mir für eine kurze
Zeit, unter Hermes, einen selbstständigen Anlauf, und man überließ es dem rhei¬
nischen Beobachter und der Zeitung für Preußen, das herrschende System gegen
die subversiven Theorien der Liberalen zu vertheidige».

Freilich wurde der größere Theil dieser Zeitungen dennoch in Berlin geschrieben.
Die abstracte Literatur, welche-in ander» Zweige» in Leipzig wucherte, fand in
den politischen Geschäften doch in Berlin ihren ergiebigste» Boden. Von Stehcly


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[0434] Censur verwehrt es uns nicht, uns über die Orthodoxie zu moquiren, wenn wir um die Grenzen des Anstandes nicht überschreiten. Auf die kleinen Plänkler der „Eingesandt" folgte das Gros der Armee, die Kindtanfs-, Hochzeits-, Todes-Anzeigen; die Anpreisungen der jüdischen National- Kleider-Magazine: „Meine Herren! es gibt keine Armuth mehr! wer tausend Thaler gewinnen will, komme, Spandauer Sachen so nud so viel, da sind Bein¬ kleider und Westen so wohlfeil, daß man einen jährlichen Gewinn von 50 Thalern dabei macht, den Procenten jenes Capitals." Und wie die gute» Botschaften sonst lauteten. Ein wunderbares Gesicht machten die Berliner Zeitungen im Jahr 1840, als mau es höchsten Orts für angemessen erklärte, auch über vaterländische Angele¬ genheiten freimüthig, wenn auch bescheiden und wohlmeinend sich zu äußern. — Ja worüber sollte man sich in aller Geschwindigkeit hören lassen? — Die Spenersche betrat zuerst die Bahn deS Ruhmes und der Freiheit. Ju einer Reihe leitender Artikel wurde die Budensrage ventilirt: ob es zweckmäßiger wäre, dein Opernhaus gegenüber die Neuerung kleiner Verkaufsladen einzuführen, oder den alten Zustand zu conserviren? Der Federkrieg wurde ziemlich lebhaft geführt, und dauerte einige Monate. Die Vossische gewann einige Zeit darauf einen noch viel einträglicheren Inhalt durch den Eifer des Herrn v. Drieberg, das Publikum darüber aufzuklä¬ ren, daß eS keinen Luftdruck gebe, und durch die nicht minder große >We der Physiker, die Legitimität des Barometers zu retten. So konnte es indeß auf die Dauer nicht fortgehen. Die Provinzialpresse bediente sich des neugewonnenen Raums für den Flügelschlag einer freien Seele mit großer Lebhaftigkeit, man kaun sagen, mit einigem Muthwillen. In Köln, in Königsberg, selbst in Stettin erschollen StaatSgesprächc, und der Berliner konnte sich nicht genug wundern, daß er erst ans der Fremde erfahren mußte, was in seiner unmittelbarsten Nähe gethan würde. Denn der eigentliche Mittelpunkt alles dessen, was in den deutschen Zeitungen geschrieben wurde, blieb immer Berlin: entweder wollte man auf die Negierung einwirken oder man wollte sie ärgern. Am meisten aber mußte es den gutgesinnten Bürger befremden, als selbst die Regie¬ rung, die sich damals gleichfalls der Presse zu bemächtigen suchte, ihre Organe in die Provinzen verlegte. Das Berliner politische Wochenblatt, welches eigentlich nie für nule wirkliche Zeitung hatte gelten können, war mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV. eingegangen, die Staatszeitung nahm mir für eine kurze Zeit, unter Hermes, einen selbstständigen Anlauf, und man überließ es dem rhei¬ nischen Beobachter und der Zeitung für Preußen, das herrschende System gegen die subversiven Theorien der Liberalen zu vertheidige». Freilich wurde der größere Theil dieser Zeitungen dennoch in Berlin geschrieben. Die abstracte Literatur, welche-in ander» Zweige» in Leipzig wucherte, fand in den politischen Geschäften doch in Berlin ihren ergiebigste» Boden. Von Stehcly

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/434>, abgerufen am 15.01.2025.