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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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allen Händen, als dieses Decret erschien. Das Ministerium legt dem Kaiser die
Lächerlichkeit als Vorwurf für den Reichstag in den Mund, er habe durch Erör¬
terungen aus dem Gebiete der Theorie der Umsturzpartei neuen Muth verliehen:
nämlich wegen der ewigen Wahrheit, woher die Staatsgewalten stammen. Das
Ministerium erlaubt sich endlich, der Majorität des Reichstags zu sagen, sie
bestehe nicht aus achtbaren Elementen.

Das Ministerium läßt einen 18jährigen Kaiser sagen: "Wir verleihen die¬
jenigen Rechte, Freiheiten und Institutionen, die Wir nach Unserem besten Wissen
als die heilsamsten und förderlichsten für das Wohl Oestreichs erkannt haben" --
und diese Rechte, Freiheiten und Institutionen werden nach dem besten Wissen
und Gewissen von 300 Volksvertretern, worunter Heroen der Wissenschaft und
Patrioten mit greisen Haaren, unisono als die nnheilsamsten für Oestreich
erkannt. Außer der von Melden belagerten Wiener Presse und den Naderern der
Journale hat sich nicht eine einzige Stimme zu Gunsten dieser Charte erhoben.

Der ganze Staatsstreich hat nur Eine Quelle. Die Minister fühlten es, daß
sie abtreten müssen. Jeder Tag brachte eine neue Blamage, jede Stunde ein
neues Brandmal für die Impotenten. Statt aber abzutreten, haben sie lieber das
Reich einer nicht ausbleibenden Revolution hingegeben, und Kaiser und Thron des
Vertrauens beraubt. Mit erhöhter Verehrung ward der gütige Ferdinand genannt,
Franz Joseph hat niclMie Liebe des Volkes. Seit der Thronbesteigung wird erschossen,
die Reichsversammlung wurde schmachvoll aufgelöst, und eine Verfassung gegeben, wo¬
gegen der ganze Absolutismus als ein Hesperidenäpfel betrachtet wird. Die erste
Fru le dieser Missethat am Reiche und Volke ist die Freude -- daß Preußens
König deutscher Kaiser werden möge. So viele Stimmen darüber gehört wurden,
die erregtesten Tricvloreträger wollten sich jetzt selbst opfern, um nur das geliebte
Deutschland vor einem solchen Ministerium, vor solchem Wort- und Treubruch,
vor solcher Perfidie und Ignoranz zu bewahren. Der "Bundestag und die Ver¬
träge von 18! 5" -- das sind die Endziele Schwarzenberg-Stadion'scher Politik
A. im intimen Bündniß rin Nußland.




Die östreichischen Verhältnisse gehen raschen Schrittes ihrer endlichen Entscheidung
entgegen. Das Ministerium selbst beschleunigt in polizeilicher Kurzsichtigkeit die nahende
Krise. So lange die Vertreter Polens nud Südtyrvls, Czechen mit Deutschen in
Einem Hause saßen, waren alle föderalistischen Ansprüche jener Volksstämme, bei welche"
das Nationalitätsgefühl überwiegend einflußreich ist, gehemmt, oder vielmehr in der
Schwebe. Der Reichstag ist nun ans eine, das Freiheitsgefühl tief verletzende Weise
aufgelöst, die Führer und Herren der nationalen Frage ihren Ländern zurückgegeben,
einige als Märtyrer Gegenstand der tiefsten Sympathie geworden. Das Ministerium
hat sich einer lästigen Majorität entledigt und geht einem entscheidenden Votum der
Gesammtheit entgegen.


allen Händen, als dieses Decret erschien. Das Ministerium legt dem Kaiser die
Lächerlichkeit als Vorwurf für den Reichstag in den Mund, er habe durch Erör¬
terungen aus dem Gebiete der Theorie der Umsturzpartei neuen Muth verliehen:
nämlich wegen der ewigen Wahrheit, woher die Staatsgewalten stammen. Das
Ministerium erlaubt sich endlich, der Majorität des Reichstags zu sagen, sie
bestehe nicht aus achtbaren Elementen.

Das Ministerium läßt einen 18jährigen Kaiser sagen: „Wir verleihen die¬
jenigen Rechte, Freiheiten und Institutionen, die Wir nach Unserem besten Wissen
als die heilsamsten und förderlichsten für das Wohl Oestreichs erkannt haben" —
und diese Rechte, Freiheiten und Institutionen werden nach dem besten Wissen
und Gewissen von 300 Volksvertretern, worunter Heroen der Wissenschaft und
Patrioten mit greisen Haaren, unisono als die nnheilsamsten für Oestreich
erkannt. Außer der von Melden belagerten Wiener Presse und den Naderern der
Journale hat sich nicht eine einzige Stimme zu Gunsten dieser Charte erhoben.

Der ganze Staatsstreich hat nur Eine Quelle. Die Minister fühlten es, daß
sie abtreten müssen. Jeder Tag brachte eine neue Blamage, jede Stunde ein
neues Brandmal für die Impotenten. Statt aber abzutreten, haben sie lieber das
Reich einer nicht ausbleibenden Revolution hingegeben, und Kaiser und Thron des
Vertrauens beraubt. Mit erhöhter Verehrung ward der gütige Ferdinand genannt,
Franz Joseph hat niclMie Liebe des Volkes. Seit der Thronbesteigung wird erschossen,
die Reichsversammlung wurde schmachvoll aufgelöst, und eine Verfassung gegeben, wo¬
gegen der ganze Absolutismus als ein Hesperidenäpfel betrachtet wird. Die erste
Fru le dieser Missethat am Reiche und Volke ist die Freude — daß Preußens
König deutscher Kaiser werden möge. So viele Stimmen darüber gehört wurden,
die erregtesten Tricvloreträger wollten sich jetzt selbst opfern, um nur das geliebte
Deutschland vor einem solchen Ministerium, vor solchem Wort- und Treubruch,
vor solcher Perfidie und Ignoranz zu bewahren. Der „Bundestag und die Ver¬
träge von 18! 5" — das sind die Endziele Schwarzenberg-Stadion'scher Politik
A. im intimen Bündniß rin Nußland.




Die östreichischen Verhältnisse gehen raschen Schrittes ihrer endlichen Entscheidung
entgegen. Das Ministerium selbst beschleunigt in polizeilicher Kurzsichtigkeit die nahende
Krise. So lange die Vertreter Polens nud Südtyrvls, Czechen mit Deutschen in
Einem Hause saßen, waren alle föderalistischen Ansprüche jener Volksstämme, bei welche»
das Nationalitätsgefühl überwiegend einflußreich ist, gehemmt, oder vielmehr in der
Schwebe. Der Reichstag ist nun ans eine, das Freiheitsgefühl tief verletzende Weise
aufgelöst, die Führer und Herren der nationalen Frage ihren Ländern zurückgegeben,
einige als Märtyrer Gegenstand der tiefsten Sympathie geworden. Das Ministerium
hat sich einer lästigen Majorität entledigt und geht einem entscheidenden Votum der
Gesammtheit entgegen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/42>, abgerufen am 15.01.2025.