Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.fachheit der Lebensformen als Gegensatz zu einer großen Sentimentalität des Arcnzbottn. it. 1S<0. 52
fachheit der Lebensformen als Gegensatz zu einer großen Sentimentalität des Arcnzbottn. it. 1S<0. 52
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fachheit der Lebensformen als Gegensatz zu einer großen Sentimentalität des
Empfindens verwandt hat. Die wichtigsten Eigenthümlichkeiten, welche das
Gemüthsleben des Landmannes charakrerisircn, sind verhältnißmäßig wenig
ausgebeutet. Durch seine Beschäftigung mit den mannigfaltigsten Formen des
Naturlebens erhält der Landwirth ein gutes Verständniß für das Charakteri¬
stische. Die Persönlichkeit seiner Feldfrüchte, seiner Thiere, seines Bodens gibt
ihm die Fähigkeit auch das Individuelle im Menschenleben zu verstehen und zu
achten, er hat einen richtigen Blick für Menschen und ist im Verkehr mit ihnen
in der Regel vorsichtig, oft listig; wo die Rücksicht auf seinen Vortheil und das
Nützliche ihn nicht ungerecht macht, ist er geneigt den Fremden, welcher ihm im-
ponirt, anzuerkennen und gelten zu lasse«. Deshalb ist der Landmann in der
Politik nichts weniger als ein Gleichmacher; Alles was ihn umgibt hat seiue eigene
eigenthümliche Existenz, der Weizen gedeiht nicht, wo der Roggen noch Frucht
trägt, der Hafer schüttelt seine Rispe da, wo die Gerste kummervoll dahin sieht,
das Rin.d gedeiht oft nicht, wo das Schaaf sich behaglich nährt. Ja, da er ge¬
wohnt ist auch die kleinen Unterschiede in dem individuellen Leben seines Kreises zu
berücksichtigen, so ist er auch Mensche» gegenüber sorgfältig beflissen, dieselben nach
ihrer Stellung und Persönlichkeit zu unterscheiden, und jedem einen besondern
Antheil von Achtung zu gewähren, für sich selbst aber seinen Theil mit eifersüch¬
tiger Wachsamkeit zu behaupten. Deshalb umgibt er sein Leben überall mit einem
gewissen Ceremoniell und mit Schicklichkeitsformen, über welche wir lächeln mögen,
die aber doch ihren guten Grund haben. Der große Bauer sieht herab auf den
kleinen Bauer, der Halbbaucr ans den Gärtner oder Kossäten, der Freigärtner
auf den Tagelöhner, der Großkuecht auf die andern Knechte, der Knecht auf
deu Pferdejungen und so herab. Jede Wirthschaft ist ein administratives Ge¬
bäude voll von Graden und Abstufungen, von deuen jede ihr eigenes Selbst¬
gefühl hat, sie ist eine Art von chinesischem Knopssystem, von dem niedrigsten
Mandarin, dem Gänsejungen, bis zur strahlenden Sonne des Ganzen hinauf,
dem Herrn. Diese Gewohnheit, die verschiedenen Thätigkeiten in Rang und
Stellung zu charakterisiren, ist eine Hauptursache, daß der Landbewohner monar-
chische Jnstincte hat und den rothen socialistischen Theorien unzugänglich blei¬
ben wird. Es ist belehrend zu untersuchen, welche Wirkung diese streng monar¬
chische Verfassung des Landbaus, welche offenbar aus der ursprüngliche,! Anlage
des Volkes hervorgegangen ist, in den verschiedenen Ländern auf die Staatsform
jetzt ausgeübt hat, am vollständigsten ausgebildet ist sie bei den Deutschen,
f"se gar nicht vorhanden bei den Nordamerikanern. Es mag jedem überlassen blei¬
ben, ob er den Mangel derselben für einen Vorzug der nordamerikanischen Freiste
ten halten will, sicher ist, daß dieser Mangel zunächst eine Folge des hohen Werths
von arbeitender Kraft in Amerika ist, und daß ähnliche Formen wie bei uns, sich
Arcnzbottn. it. 1S<0. 52
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